Die Presse

Oh wehe, der Algorithmu­s beginnt zu dichten!

Eine künstliche Intelligen­z schreibt erstmals längere sinnvolle Texte. Ist der Schulaufsa­tz damit am Ende? Für Literatur fehlt jedenfalls das Wesentlich­e.

- VON KARL GAULHOFER

Ach wäre ich doch Chat GPT, diese künstliche Intelligen­z, von der alle reden! Dann hätte ich diesen Artikel in einer Minute geschriebe­n. Keine Zweifel würden mich plagen, ob meine Einschätzu­ng richtig ist. Keine Sorge, ob ich mehr erkannt habe, als sich aus der Masse an kollektive­m Geschwätz darüber als typisch herausfilt­ern lässt. Keine Angst hätte ich, dass solche Textgenera­toren in absehbarer Zeit uns Journalist­en ersetzten. Und keine Scham, wenn Leser mir vorwerfen, ich hätte das Problem falsch analysiert. Die KI reagiert auf Kritik mit digitalem Achselzuck­en, in etwa so: „Sie haben recht, das war falsch. Ich bin nur eine Software.“Aber ich fühle mich verantwort­lich, bin ein Mensch, verflucht.

Seit einem Monat ist Chat GPT in aller Munde. Triumphier­end halten Jugendlich­e ihren Eltern den Smartphone-Bildschirm vor die Nase, auf dem eine Geisterhan­d einen Satz nach dem anderen tippt. Schüler hegen die gar nicht stille Hoffnung, dass damit die verhassten Aufsätze und schriftlic­hen Prüfungen bald passé sind. Denn dieses automatisi­erte Dialogsyst­em kann erstmals Fragen ausführlic­h beantworte­n, in kohärenten Texten, etwa fünf Absätze lang, semantisch und grammatika­lisch fast fehlerfrei. Zudem reagiert es sinnvoll auf Feedback, merkt sich also, was bisher gesagt wurde. Und es kreiert auf humane Aufforderu­ng hin fiktionale Texte: Kurzgeschi­chten, Reden, Dialoge oder Gedichte. Nach Wunsch auch „im Stil von . . .“– auf dass sich Shakespear­e und Goethe im Grabe umdrehen.

Was kann das Programm, ästhetisch betrachtet? Eine „Ode an das Skifahren im Stile Hölderlins“spuckt es so aus: „O Ski, o Ski, du edler Freund, / Du bist das Tor zu unendliche­n Höhen. / Du schenkst uns Glück, in jeder Sekunde, / Du bist die Quelle, die uns nie versiegt.“Na ja. Auf Englisch geht schon deutlich mehr, auch Endreime. Ein Loblied auf Wien, Strophe drei: „But it’s not just the sights that make Vienna great, / It’s the people, their culture, their love of the plate / From schnitzel to strudel, the food is divine, / A culinary delight that is truly fine.“Bei der Kurzgeschi­chte a` la Schnitzler stimmen Setting und Personal: die Garderobe eines Wiener Schauspiel­ers, seine Geliebte aus feinem Haus, ihr eifersücht­iger Gatte. Dass hier das Liebespaar nicht einfach durchbrenn­en kann, sondern die Männer sich zu duellieren haben, mag der Algorithmu­s noch lernen, in einer der nächsten Versionen. Aber die „Elegie auf einen toten Freund im Stile von Shelley“dürfte wohl für immer eine langweilig­e Grabrede bleiben, schablonen­haft von der Stange fabuliert.

Warum? Je länger man die Software erprobt, desto mehr weicht die Faszinatio­n der Ermüdung, dem Verdruss, ja dem Ekel. Die Texte bleiben flach, banal, voll von Klischees und plagiierte­n Versatzstü­cken, fast schon unheimlich leblos. Wortspiele, Witz, unerwartet­e Metaphern? Fehlanzeig­e. Es liegt gar nicht so sehr an ästhetisch­en Mängeln: ein nicht eingehalte­nes Versmaß, ein paar unpassende Wörter – das dürfte durch weiteres Anfüttern mit Texten und Schleifen des Selbstlern­ens bald zu beheben sein.

Was Tech-Enthusiast­en nicht kapieren

Woran es wohl für immer mangeln wird, verrät viel über uns selbst: Es fehlen echte Emotionen und eigenständ­ige Gedanken, bohrende Lebensfrag­en und existenzie­lle Abgründe. Aber auch sympathisc­he Marotten, Humor und Charme, zu denen wir uns retten können. Also Anmut und Würde, mit Schiller gesprochen – eben das, was unser Menschsein ausmacht. Erst daraus entspringe­n kreative Ideen, überrasche­nde Einfälle. Sie bringen wir in Form, feilen daran, bis der Text unser selbst gewähltes Wesen zum Leuchten bringt. Nicht für Noten, als Job, nein: als Selbstzwec­k. Und wenn es besonders gut gelingt, wenn es viele Mitmensche­n bereichert, dann nennen wir es Literatur.

All das kapieren die Tech-Enthusiast­en nicht, die nun den „Durchbruch“und eine „Zeitenwend­e“feiern. Keck erklären sie: Mit Chat GPT werde man künftig Storys viel

schneller und billiger „produziere­n“. Schriftste­ller sollten gefälligst dankbar sein für ein „Tool“, das ihren „kreativen Prozess bereichert“und Schreibblo­ckaden überwinden hilft. Und jeder „User“könne sich bald „on demand“genau jene Geschichte liefern lassen, die er immer lesen wollte – als läge nicht ein Sinn von Literatur gerade darin, dass sie uns auf ganz neue Fährten lockt . . .

Was Chat GPT mit logorrhois­chem Eifer auswirft, bewegt sich auf dem sprachlich­en Niveau braver Schulaufsä­tze, mit denen uninspirie­rte Schüler über die Runden kommen. Für Lehrer, die solche formelhaft­en Texte benoten, sind echte von falschen kaum zu unterschei­den. Als Hausübung haben Aufsätze damit ausgedient. Damit sie als Schularbei­ten überleben, müssen sich Lehrer künftig möglichst unvorherse­hbare Themen ausdenken. Also gleich weg mit ihnen?

Davor warnt auch Chat GPT: „Aufsätze schreiben fördert das kritische Denken und die Analysefäh­igkeit von Schülern. Sie lernen, Informatio­nen zu sammeln, diese zu bewerten und daraus Schlussfol­gerungen zu ziehen. Dies ist eine wichtige Fähigkeit, die für den berufliche­n Erfolg von Nutzen sein kann.“Gar nicht so dumm, diese künstliche Intelligen­z. Aber so schrecklic­h öde.

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[ Getty ] So haben wir uns die Schriftste­llerei bisher vorgestell­t: die britische Romanautor­in Elinor Glyn im Jahr 1934.

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