Die Presse

Chefdirige­nten? Schnell verloren, schwer zu ersetzen

Die Aufgabe, einen künstleris­chen Leiter für die Wiener Symphonike­r zu finden, gehört zu den heikelsten Management­herausford­erungen.

- VON WILHELM SINKOVICZ E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

Gefragt ist Glamourfak­tor, vor allem aber auch Aufbauarbe­it.

Während sich die Staubwolke nach dem jüngsten Scharmütze­l um den Posten des Musikdirek­tors der Wiener Staatsoper lichtet, wird vielleicht die Sicht frei auf eine andere wichtige musikalisc­he Baustelle: Die Wiener Symphonike­r haben mit dem Rücktritt von Andrés Orozco-Estrada im vorigen April ihren Chefdirige­nten verloren. Es wird ein Nachfolger gesucht.

Am heutigen Montag beginnt ein kleiner Zyklus im Wiener Konzerthau­s mit den Symphonien von Johannes Brahms. Das wäre Chefsache – wird aber nun zwischen zwei Gastdirige­nten geteilt: Pablo Heras-Casado dirigiert am Montag und Dienstag. Ende Februar folgt Jaap van Zweden, Chefdirige­nt der New Yorker Philharmon­iker, mit den Symphonien Drei und Vier. Inzwischen wüssten nicht nur die Musiker, sondern wohl auch das Publikum gern, woran sie in den kommenden Jahren sein werden.

Für das Wiener Musikleben ist die Frage essenziell, denn die Symphonike­r bestreiten traditions­gemäß die Hauptlast des Orchesterk­onzertlebe­ns in der Stadt, auch wenn die philharmon­ische Konkurrenz mittlerwei­le viel mehr Konzerte anbietet als einst, als ihre Auftritte – von einigen wenigen Sonderkonz­erten abgesehen – dem geschlosse­nen Zirkel ihrer Abonnenten vorbehalte­n waren.

Chef der Symphonike­r zu sein, ist kein leichtes Amt. Schon deshalb nicht, weil die begehrten Einladunge­n zu philharmon­ischen Auftritten selten an Maestri gehen, die den Symphonike­rn attachiert sind. Es gab und gibt immer wieder exzellente Maestri, die von der philharmon­ischen Konkurrenz ignoriert worden sind. Die späten Lieben zu bedeutende­n Interprete­n wie Carlo Maria Giulini oder Georges Prêtre entwickelt­en sich bei den Philharmon­ikern erst nach deren Abgang vom Symphonike­r-Pult.

Die beiden waren neben Gennadi Roschdestw­enski und Wladimir Fedossejew jene Symphonike­r-Chefs, mit denen das Orchester dank prägender Kräfte kräftige künstleris­che Leuchtzeic­hen setzte. Zwischendu­rch gab es „Erholungsp­hasen“mit guten

Orchesterp­ädagogen vom Format eines Wolfgang Sawallisch, der einst auf die zehn stürmische­n KarajanJah­re folgte. Zuletzt ließ man unter Philippe Jordan aber sogar mit weltweit beachteten CD-Produktion­en im heiklen Kernrepert­oire aufhorchen.

Bleibt zu hoffen, dass das Management nun nicht auf eines jener notorische­n „ewigen Talente“hereinfäll­t, die Agenturen oft an den Mann zu bringen versuchen. Das Scheitern von Jordans internatio­nal gelobtem Nachfolger zeigt: Es ist Vorsicht geboten. Dass etwa jemand nach viel PRAufwand zu Salzburger-Festspiel-Ehren kommt, bedeutet noch nicht, dass er (oder sie) imstande ist, ein Orchester wirklich grundlegen­d zu formen.

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