Die Presse

Neues Album. Auf „Every Loser“rockt der 75-jährige Godfather des Punk so vital wie seit Jahrzehnte­n nicht mehr. Daneben grübelt er über die Trümmerlan­dschaft seines Antlitzes.

- VO N SA MIR H. KÖCK tritt Iggy Pop im Ernst-Happel-Stadion in gemeinsam mit den Red Hot Chili Peppers.

ex ist einfach mein Lebensthem­a. Ich praktizier­e ihn täglich“: Darüber freute sich Iggy Pop in einem „Presse“-Interview vor 13 Jahren. Heute ist der Godfather of Punk 75 Jahre alt und offenbar immer noch spitz wie Nachbars Lumpi. Im Booklet seines 19. Albums „Every Lose r“ist vor dem Text des ersten Songs „Frenzy“ein liebevoll gezeichnet­er, erigierter Penis zu sehen. Schon die ersten Worte lassen keine Unklarheit­en aufkommen: „I’ve got a dick and two balls, that’s more than you all.“Danach gibt der Sänger aus Michigan zu bedenken, dass sein Geisteszus­tan d aus hormonelle­n Gründen ein wenig eingeschrä­nkt sein könnte. Egal, wir sollen ihn auch unter erschwerte­n Bedingunge­n lieben: „So shut up and love me, cause fun is my buddy.“

Geschriebe­n hat Iggy Pop den Song gemeinsam mit den Musikern, mit denen er ihn aufgenomme­n hat: der Guns’n’RosesBassi­st Duff McKagan, der Red-Hot-ChiliPeppe­rs-Schlagzeug­er Chad Smith und sein aktueller Produzent Andrew Watt, der die harte Gitarre drischt. „I’m in a frenzy, I’m having a great time“, versichert Pop. Und fürwahr, dieser Mann hat seit 1993, als er mit „American Caesar“wüst triumphier­te, nicht mehr so vital gerockt.

Konsultier­t er den gleichen Arzt wie Mick Jagger? Jedenfalls hält er sich nicht lang auf mit den Unbilden des Alters, etwa den Runze ln auf der einst so muskulösen Brust. Wenn er nicht gerade im Smoking mit französisc­hen Chansonni ren wie Arielle Dombasle auf der Bühne herumwacke­lt, tritt er konsequent oben ohne auf. Ein wenig Altersansi­cht lässt er aber zu: Im Booklet sieht man ihn mit Lesebrille eine Zeitung studieren. Da sieht er tatsächlic­h ein wenig wie eine Oma aus. Wahrschein­lich erholt sich Pop so gut in den Pausen, die die Zyklen der Musikindus­trie vorgeben. Wenn er sich dann wieder auf Walz begibt, kann er auf Kommando explodiere­n, so wie zuletzt im Wiener Konzerthau­s. Woher nimmt die

ser Mann seine Energie, wenn nicht aus seinem Talent, klug zu rasten?

Es gibt in der neuen Liedersamm­lung auch leisere Töne. Aber größtentei­ls wird gerockt, als hätte dieser lang dienende Renegat noch sein Leben vor sich. Bei einigen Songs kommt der Multiinstr­umentalist Josh Klinghoffe­r hinzu, streichelt versonnen ein

Orgelmanua­l oder die Tasten eines Synthesize­rs. Aber wirkungsvo­ller sind die Songs in der genannten Quartettbe­setzung. Etwa im mächtigen „Modern Day Rip Off“: „I’m guilty as sin, but I know how to win“, gibt Pop da mit ätzender Stimme zu bedenken. Quietschen­de Gitarren und unstet böllernde Rhythmen umrahmen die ermutigend­e Botschaft: „I dunno how to die . . . I carry the ball.“

Soweit zur Sonnenseit­e dieses ewigen Krawallsch­anis. Den introspekt­iven Momenten lässt Pop genügend Raum. Etwa im Song „Morning Show“, wo er über die Trümmerlan­dschaft seines Antlitzes grübelt: „The hurt that’s in my face didn’t come from outer space.“Später heißt es sogar: „The clown you loved is dead.“Dennoch tut der Mann seine Pflicht und stapft stoisch in die Maske der Fernsehans­talt: „Íll fix my face and go and do the morning show.“

Wer die Ohren spitzt, erkennt in „All The Way Down“Ähnlichkei­ten zum lockeren New-Wave-Groove seines legendären „New Values“-Albums. Ein unfassbare­r Kracher im Stile der Ramones glü ckte mit „Neo Punk“. Eindrucksv­oll klingt Pops sonore Stimme auch in „Comments“, wo er zwischen Sprechgesa­ng und schiefer Melodie changiert. Kurios ist das kurze, akustische Klavierstü­ck „The News For Andy“, das eine Art Radiowerbe­jingle für Psychiater ist. Eine Spezies, die „the guy with no shirt who rocks“(Selbstbesc­hreibung im Pressetext) nie aufsuchen muss, denn er brüllt sich alles von der Seele. Und verdient noch Geld damit.

Am 14. Juli auf,

 ?? [Atlantic ] ?? Wie sterben geht, das weiß Iggy Pop nicht. Er singt, als hätte er das ganze Leben noch vor sich.
Wien
[Atlantic ] Wie sterben geht, das weiß Iggy Pop nicht. Er singt, als hätte er das ganze Leben noch vor sich. Wien

Newspapers in German

Newspapers from Austria