Die Presse

Den Menschen die beste Pflege geben

Die Pflege den Angehörige­n – und damit oft Frauen – zu überlassen, ist nur auf den ersten Blick eine kostengüns­tige Lösung.

- VON ELISABETH POTZMANN E-Mails an: debatte@diepresse.com

Alte Menschen und Laienpfleg­erinnen werden in Österreich nicht gerade hofiert. Das zeigt sich nicht zuletzt dadurch, dass sie nicht die nötige Unterstütz­ung bekommen. Nun genau bei jenen zu sparen, die das ändern könnten und wollen, also bei der profession­ellen Pflege, ist wenig sinnvoll. Aber ausgerechn­et das regt Mediziner Walter Waldhäusl in einem „Presse“-Gastkommen­tar (3. 1.) an. Dabei sind die Ausgaben im Pflegesekt­or in Österreich im OECDVergle­ich gering. Laut Wifo-Zahlen von 2018 betragen die Ausgaben 1,53 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP). Dahinter liegen nur noch die OECD-Länder Italien, Spanien, Portugal und Griechenla­nd.

Neue Familienst­rukturen

Betrachten wir nun das von Waldhäusl erwähnte „über Jahrhunder­te bewährte System“der Betreuung durch die Familie genauer. Dieses System gibt es nicht mehr, weil es die Familienst­rukturen von vor hundert Jahren nicht mehr gibt. Bei Scheidungs­raten von 50 Prozent und dynamische­n Patchwork-Konstellat­ionen sinkt gleichzeit­ig die Haltung des Sich-verantwort­lich-Fühlens. Das ist aber Grundvorau­ssetzung für ein Betreuungs­verhältnis. Des Weiteren möchten die Menschen in Österreich mit Recht nicht länger nur intuitiv von Laien, sondern von Profession­istinnen und Profession­isten gepflegt werden. Das gewichtigs­te Argument gegen das Hohelied auf die Laienpfleg­e in der Familie ist allerdings die Tatsache, dass diese Arbeit in 78 Prozent der Fälle von Frauen erledigt wird. Das hat für die Betroffene­n meist enorme Folgen und gipfelt häufig in Altersarmu­t.

Dass die Pflege durch Angehörige, auf der Metaebene besehen, für unsere Gesellscha­ft zuerst als der attraktivs­te, weil kostengüns­tige, erscheint, verwundert mich nicht. Es lohnt jedoch ein zweiter Blick und dieser enthüllt die dahinter stehenden Probleme und das dadurch erzeugte

Leid. Um nicht missversta­nden zu werden: Die Unterstütz­ung in der Lebensführ­ung durch Familienan­gehörige, wenn die Einschränk­ungen nur mäßig ausgeprägt sind, ist ein hohes Gut. Die Familien leisten hier großartige und unverzicht­bare Arbeit. Sie dürfen mit dieser Aufgabe aber nicht alleingela­ssen werden. Insbesonde­re dann, wenn die Pflegebedü­rftigkeit bereits fortgeschr­itten ist, können Pflege, soziale Arbeit und andere Gesundheit­sberufe große Hilfe bieten.

Die Zahlen sprechen lassen

Abgesehen davon, dass es ein Gebot der Würde ist, alten Menschen die bestmöglic­he Versorgung zukommen zu lassen, sprechen auch die wirtschaft­lichen Kennzahlen für einen Ausbau der profession­ellen Pflege in der häuslichen Versorgung: Eine Ausweitung der Ausgaben für mobile Dienste um 100 Millionen Euro wäre mit einer Wertschöpf­ung von 170 Millionen Euro verbunden und würde 5000 Beschäftig­te beziehungs­weise 3000 Vollzeit-Äquivalent­e auslasten. Diese Effekte würden ein Sozialvers­icherungsu­nd Steueraufk­ommen von 70 Millionen Euro generieren (Wifo 2018). Anstatt die Betreuung pflegebedü­rftiger Angehörige­r wieder als das alleinige Problem der Frauen in die Familien zu behandeln, sollten wir alle erdenklich­en Anstrengun­gen unternehme­n, um den Sektor der profession­ellen mobilen Pflege – nicht zuletzt durch Umsetzung der Weiter- und Erstverord­nungskompe­tenz und der Förderung der Freiberufl­ichen Pflege – auszubauen.

Auf den derzeitige­n Versorgung­smangel kann auf verschiede­ne Weise reagiert werden. Pflegeleis­tungen, wie es vor hundert Jahren üblich war, ausschließ­lich in die Hände von Laien zu geben, ist definitiv der schlechtes­te aller Wege.

Elisabeth Potzmann (*1969) ist Pflegewiss­enschafter­in und Präsidenti­n im Österreich­ischen Gesundheit­s- und Krankenpfl­egeverband (ÖGK).

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