Sind wir süchtig nach digitalen Medien?
Studien legen nahe: Im Umgang mit YouTube, Facebook, Instagram und Co. mangelt es uns an Selbstkontrolle. Die Forschung zeigt aber auch: Schlechte Gewohnheiten kann man ändern.
Digitale Medien sind heute allgegenwärtig, Smartphones bestimmen zunehmend unseren Alltag. Sei es der aktuelle Wetterbericht, der Weg zum Restaurant oder das Neuste aus dem Freundeskreis – ein Blick auf das Smartphone hilft. Laut Deloittes „Globale Mobile Consumer Survey“nutzten durchschnittliche Amerikaner:innen im Jahr 2018 das Smartphone etwa 52-mal am Tag. Im Umkehrschluss muss das dann wohl bedeuten, dass digitale Medien unser alltägliches Leben extrem bereichern. Ansonsten würden wir nicht derart viel Zeit an unseren Smartphones verbringen. Richtig?
Nicht unbedingt: Die meisten von uns kennen sicherlich das teils bedrückende Gefühl, den Tag am Smartphone vergeudet zu haben. Aus „kurz mal meine E-Mails checken“wird leicht ein stundenlanges, oft sinnloses „Browsen“sozialer Medien. Aktuelle Umfragen aus den USA zeigen: Die Befragten würden gerne weniger Zeit mit den Smartphones und in den sozialen Medien verbringen; ganz ähnlich wie sie gerne mehr sparen oder gesünder essen würden. Aber warum tun sie es nicht?
Eine Studie von Hunt Allcott, Matthew Gentzkow und Lena Song (Digital Addiction. American Economic Review, 2022) legt nahe, dass digitale Medien – ähnlich wie Zigaretten oder Glücksspiele – süchtig machen.
Jeder Tag beginnt mit E-Mails
Der Suchtfaktor digitaler Medien kommt in zwei Beobachtungen zum Ausdruck. Zum einen führt die Nutzung digitaler Medien zur Bildung neuer Gewohnheiten. Ich zum Beispiel starte mittlerweile jeden Tag – selbst am Wochenende – mit einem Blick auf meine E-Mails. Ob das gesund ist? Vermutlich nicht. Denn hinzu kommt, dass es uns an Selbstkontrolle im Umgang mit digitalen Medien zu mangeln scheint. Auch ich würde in Zukunft gerne weniger Zeit mit digitalen Medien verbringen. Aber das ist leichter gesagt als getan. So kommen Allcott und Co. zu dem Schluss, dass etwa ein Drittel der Zeit, die wir mit sozialen Medien verbringen, auf mangelnde Selbstkontrolle zurückgeführt werden kann.
Allcott, Gentzkow und Song analysierten dazu den Konsum digitaler Medien in einer Gruppe von 2000 US-Nutzer:innen von Facebook und Instagram. Diese installierten eine App, welche von März bis Juli 2020 die Nutzung ausgewählter Dienste wie Facebook, Instagram, Twitter, YouTube etc. (kurz Fitsby) aufzeichnete. Im Abstand von jeweils drei Wochen nahmen die Teilnehmer:innen zudem an vier Umfragen teil, in denen sie auch ihre zukünftige Fitsby-Nutzung vorhersagten. So konnte man feststellen, ob sie sich eines potenziellen Mangels an Selbstkontrolle bewusst waren. Um Rückschlüsse auf das Suchtpotenzial digitaler Medien ziehen zu können, wurden die Teilnehmer:innen nach dem Zufallsprinzip in verschiedene Gruppen eingeteilt. Eine erste erhielt drei Wochen lang einen Bonus von etwa 2,50 Dollar pro Stunde als Anreiz, um ihre FitsbyNutzung zu reduzieren. Eine zweite Gruppe erhielt zwölf Wochen lang die Möglichkeit, ihre zukünftige Nutzung via App zeitlich zu beschränken: Wurde das selbst gesetzte „Tageslimit“erreicht, schloss sich diese automatisch. Eine Kontrollgruppe erhielt weder einen Bonus noch die Möglichkeit, sich Tageslimits zu setzen.
Sowohl der Bonus als auch die Möglichkeit, sich Zeitbeschränkungen aufzuerlegen, führten zur Reduktion der Fitsby-Nutzung im Vergleich zur Kontrollgruppe. Obwohl nur temporär gültig, hatte der Bonus einen dauerhaften, wenn auch abnehmenden Effekt. Das heißt: Auch nach Ablauf des Bonus, also in den Wochen vier und fünf, war die durchschnittliche Fitsby-Nutzung deutlich niedriger als in der Kontrollgruppe, nämlich um 12 bzw. 19 Minuten pro Tag. In der zweiten Gruppe setzten sich fast 80 Prozent bindende Tageslimits, was eine Reduktion der Fitsby-Nutzung von im Schnitt etwa 22 Minuten pro Tag zur Folge hatte.
Bildung von Gewohnheiten
Der dauerhafte Effekt des Bonus legt nahe, dass die Nutzung digitaler Medien zur Bildung von Gewohnheiten beiträgt. Reduziert man die Nutzung digitaler Medien über einen gewissen Zeitraum, gehen diese Gewohnheiten verloren, was wiederum die zukünftige Nutzung digitaler Medien reduziert. Die Teilnehmer:innen sind sich dieses Suchtpotenzials digitaler Medien bewusst; sie sagen den Effekt des Bonus auf ihr zukünftiges Nutzungsverhalten korrekt vorher. Des Weiteren deuten die Ergebnisse auf einen Mangel an Selbstkontrolle im Umgang mit digitalen Medien hin. Andernfalls würde der Großteil die tägliche Nutzungszeit nicht im Voraus beschränken. Die Umfragen in der Kontrollgruppe zeigen aber auch, dass das Ausmaß ihrer Selbstkontrollprobleme unterschätzt wird: Im Schnitt wurde die zukünftige Fitsby-Nutzung um etwa 6,1 Minuten pro Tag unterschätzt. Die Autor:innen gehen davon aus, dass Selbstkontrollprobleme alleine etwa 31 Prozent der Nutzung sozialer Medien erklären können.
Natürlich müssen die Ergebnisse mit Vorsicht interpretiert werden. Es handelt sich um eine kleine, nichtrepräsentative Stichprobe. Zudem hat die einsetzende Covid-Pandemie im Frühjahr 2020 den Konsum digitaler Medien sicherlich beeinflusst. Doch die Studie legt nahe: Wir sollten unseren Umgang mit digitalen Medien kritisch hinterfragen.