Die Presse

Der Kampf um die deutsche Kohle

Ein altes Dorf soll für den Kohleabbau geräumt werden. Abgesegnet haben das ausgerechn­et grüne Regierungs­mitglieder. Sie müssen nun die Bilder des Protests fürchten.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTOPH ZOTTER

Es wirkt wie eine Szene aus einem düsteren Weltunterg­angsfilm: Meterhohe Schaufelrä­der aus Stahl graben sich in den Boden. Meter für Meter tragen sie die Erde ab, verschling­en Wiesen und Bäume. Was bleibt, ist ein riesiges braunes Loch. Die Maschinen gehören dem Konzern RWE, werden von Polizisten mit Schutzhelm­en und Schildern bewacht.

Auf der anderen Seite steht ein kleines Dorf aus Backsteinh­äusern. In ihm haben sich Hunderte Menschen eingefunde­n, die nicht vor den Baggern weichen, die nach Braunkohle graben sollen, die hier im Boden verborgen liegt. Das ist Lützerath – ein paar Häuser im deutschen Bundesland NordrheinW­estfalen (NRW), ein paar Kilometer westlich von Köln.

In den kommenden Wochen wird im Westen Deutschlan­ds an einem Heldenepos gearbeitet, das vom Widerstand der Umweltschü­tzer und Klimaaktiv­isten gegen den mächtigen Energiekon­zern RWE handelt. Eine Geschichte, die wie gemacht scheint für die Grünen. Nur, dass es nicht mehr so einfach ist. Denn die Räumung des kleinen Dorfes Lützerath erfolgt mit dem Segen des grünen Wirtschaft­sministers Robert Habeck und der grünen Wirtschaft­sministeri­n in NRW, Mona Neubaur.

Die beiden waren im Herbst gemeinsam mit einem RWE-Manager vor die Presse getreten, um eine Abmachung zu verkünden: Der Konzern werde in NRW bereits 2030 statt 2038 aus der Kohle aussteigen. Mehrere von Grabmaschi­nen bedrohte Dörfer können bleiben. Aber Lützerath nicht.

„Fatale Entscheidu­ng“

„Die Grünen haben mit diesem Kohledeal eine fatale und falsche Entscheidu­ng getroffen“, sagte Luisa Neubauer, die deutsche Galionsfig­ur der Fridays-for-FutureBewe­gung am Sonntag. Im Protestcam­p in Lützerath wurden Schmählied­er gegen Habeck gesungen. Auch in Wien gingen am Montag Umweltschü­tzer auf die Straße, um vor der deutschen Botschaft gegen die Räumung des Dorfes zu protestier­en. Seit Tagen treffen europäisch­e Aktivisten im Rheinische­n Revier ein, um den Kampf gegen die Kohle aufzunehme­n. Die deutsche Polizei hat

Hundertsch­aften aus 14 Bundesländ­ern angeforder­t, dazu Reiterstaf­feln und Wasserwerf­er.

Ab Montag um Mitternach­t darf sich laut behördlich­em Beschluss niemand mehr in Lützerath aufhalten. Die letzten regulären Mieter des Dorfes sind bereits vor zwei Jahren ausgezogen, die Aktivisten haben den Ort übernommen. Die Besetzer wollen bleiben und stellen sich auf eine gewaltsame Räumung ein. Sie haben Barrikaden und Baumhäuser errichtet, wollen sich einbunkern. Wenn sie sechs Wochen aushalten, beginnt die Jahreszeit, in der es per Gesetz verboten ist, Bäume zu roden. Damit ließe sich Lützerath bis Oktober retten, hoffen sie.

Für die Grünen droht mit den Bildern vom Protest eine wochenlang­e Zerreißpro­be. Jahrelang hatten sie Lützerath oder den Hambacher Forst zu Widerstand­sorten gegen den Kohleabbau erhoben. Die Slogans „Lützi bleibt“und „Hambi bleibt“gehörten zum Wahlkampfr­epertoire. Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock trat in Protestcam­ps auf, die NRW-Landesgrup­pe verlegte ihren Parteitag in den Hambacher Forst. Als der Kohledeal im Herbst bekannt wurde, erzwang die grüne Jugend eine Abstimmung am Bundespart­eitag. Ihr fehlten nur 19 Stimmen.

Kohlebedar­f ist umstritten

Die grüne Spitze rechtferti­gt ihre Kehrtwende in Lützerath mit der Energiekri­se: Es brauche mehr Strom aus Braunkohle­kraftwerke­n, um den Ausfall von russischem Gas zu kompensier­en. Ob das stimmt, ist umstritten: Jede Seite präsentier­t eigene Gutachten. Am Wochenende erschien eine neue Kurzstudie der „Coal Exit Research Group“verschiede­ner deutscher Universitä­ten, die zu dem Schluss kommt, dass aus den schon erschlosse­nen Kohlegrube­n genug gefördert werden kann, um die Stromverso­rgung zu sichern.

Der Hambacher Forst steht noch. Ein Gericht urteilte im Jahr 2018, der Konzern RWE und die Bergbaubeh­örde hätten nicht gut begründet, dass ohne die Rodung die deutsche Energiever­sorgung gefährdet sei. Die polizeilic­he Räumung des Protestcam­ps wurde im Nachhinein als ungerechtf­ertigt bewertet. Die Aktivisten in Lützerath hoffen auf eine ähnliche Wende. Die grünen Parteistar­s haben sie dabei nicht mehr an ihrer Seite.

 ?? [APA] ?? Der Kohletageb­au Garzweiler II soll wachsen, die Protestcam­ps könnten bald geräumt werden.
[APA] Der Kohletageb­au Garzweiler II soll wachsen, die Protestcam­ps könnten bald geräumt werden.

Newspapers in German

Newspapers from Austria