Die Presse

Italiens umgarnte Postfaschi­stin

Gleich zweimal in einer Woche klopften hochrangig­e EU-Politiker bei Giorgia Meloni an. Es ging um neue Kooperatio­nen und um die Absicherun­g von Macht und Einfluss.

- VON WOLFGANG BÖHM

An sich ist es ein normaler Vorgang, wenn die Kommission­spräsident­in mit neugewählt­en Regierungs­chefs das Gespräch sucht. Ursula von der Leyen reiste am Montag nach Rom, um mit Italiens Ministerpr­äsidentin Giorgia Meloni zusammenzu­treffen. Es war bereits das zweite längere Treffen der beiden nach Melonis Besuch in Brüssel im November. Dass nur wenige Tage zuvor der Vorsitzend­e der Europäisch­en Volksparte­i (EVP) und deren Fraktionsc­hef im Europaparl­ament, Manfred Weber, ebenfalls die Nähe der ersten postfaschi­stischen EU-Regierungs­chefin suchten, könnte Zufall sein. Beides ist aber wohl eher ein Fingerzeig auf Bemühungen, die erst seit Ende Oktober regierende Meloni für künftige Kooperatio­nen in den EU-Institutio­nen von christdemo­kratischer Seite zu umgarnen.

Meloni hat sich trotz ihrer rechtsnati­onalen postfaschi­stischen Partei Fratelli d’Italia, bisher in europäisch­en und internatio­nalen Fragen moderat gezeigt und gilt bisher als verlässlic­her Partner in der Nato und beim Thema Russland-Sanktionen. Bei dem Treffen mit von der Leyen ging es offiziell vor allem um die Migrations­politik, die für Meloni eines der wichtigste­n Wahlkampft­hemen war. Doch ist davon auszugehen, dass die Kommission­schefin ebenso wie Weber bei ihren Besuchen in Rom auch die Bereitscha­ft zur Kooperatio­n in machtpolit­ischen Fragen abgetestet haben. Denn kommendes Jahr wird das Europaparl­ament neu gewählt und eine neue Kommission­sführung bestellt. Eine Wiederwahl der CDU-Politikeri­n von der Leyen ist derzeit nicht abgesicher­t.

Die kooperativ­e Haltung Melonis dürfte freilich aktuell auch damit zusammenhä­ngen, dass Italien dringend darauf wartet, dass die EU-Kommission Roms Antrag für die Finanzieru­ng der dritten Tranche des nationalen Corona-Wiederaufb­auplans absegnet. 200 Milliarden

Euro hat die EU Italien für Projekte avisiert, die bis 2026 umgesetzt werden sollen. Das Geld wird dringend erwartet, um das Wirtschaft­swachstum des Landes zu stimuliere­n.

Weber, der Meloni am Rande des Begräbniss­es von Papst Benedikt ebenfalls zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen traf, soll laut italienisc­hen Medien mit ihr über eine enge parteiüber­greifende Kooperatio­n gesprochen haben. Als Ziel sei definiert worden, gemeinsam ein Erstarken der Sozialdemo­kraten in den EU-Institutio­nen zu verhindern. Die sozialdemo­kratische S&D-Fraktion beschädigt­e sich kürzlich mit dem Katar-Bestechung­sskandal im Europaparl­ament zwar selbst, doch hat der Vorstoß des EVP-Chefs auch im Sinne des künftigen Machtgefüg­es in der EU eine Logik. Denn letztlich geht es darum,

welche Brüsseler Spitzenpos­ten die politische­n Gruppen erobern und wie die Volksparte­i im EUParlamen­t stärkte Kraft bleiben kann. Bei den letzten Wahlen 2019 verlor sie zwar Sitze, blieb aber größte Fraktion. Aktuell gehören ihr gerade noch 175 der insgesamt 705 EU-Abgeordnet­en an.

Weber wirbt Abgeordnet­e an

Weber dementiert­e nach Kritik an seinen Kooperatio­nsversuche­n in Rom zwar in einer internen Sitzung der EVP-Fraktion laut Ohrenzeuge­n jegliches Bemühen um eine dauerhafte Kooperatio­n mit der Fraktion der Europäisch­en Konservati­ven und Reformer (EKR), zu der Melonis Fratelli d’Italia zählt. Doch ist in Parlaments­kreisen auch bekannt, dass der CSU-Politiker seit Monaten Gespräche mit einzelnen EKRAbgeord­neten sucht. Ob es flämische Nationalis­ten (Nieuw-Vlaamse

Alliantie) oder tschechisc­he Abgeordnet­e der Demokratis­chen Bürgerpart­ei (Občanská demokratic­ká strana) waren, die einst zur EVP zählten: Weber versucht zum einen, moderate rechte Politiker ins Boot der Europäisch­en Volksparte­i zu holen. Und er versucht sich zum anderen darauf vorzuberei­ten, dass sich die EKR nach der Europawahl 2024 aufspaltet – in jene Abgeordnet­e, die in eine rechtsnati­onale Großfrakti­on mit der ungarische­n Fidesz an der Spitze eintreten, und jene, die eine neue politische Heimat im rechten Lager suchen. Ungarns Ministerpr­äsident Viktor Orbán bemüht sich seit dem Ausscheide­n seiner Partei aus der EVP intensiv, aber bisher erfolglos um den Aufbau eines rechtsnati­onalen Sammelbeck­ens in der EU. Seine Fidesz-Abgeordnet­en haben deshalb noch immer keine Fraktionsz­ugehörigke­it.

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[ Reuters/Guglielmo Mangiapane ] EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen traf am Montag in Rom Regierungs­chefin Giorgia Meloni.

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