Von TikTok auf die Kabarettbühne
Das Wiener Brüderduo Dr. Bohl hat sich mit spaßigen Interviews einen Namen im Netz gemacht – und steht nun kurz vor seiner zweiten Kabarettpremiere. Die beiden sind nicht die einzigen Onlinekomiker, die auf die Bühne streben.
Mit dem Pfannenwender hat alles begonnen. Oder mit der Brathilfe, wie die Brüder Paulus und Benjamin, die gemeinsam unter dem Namen Dr. Bohl ein Comedy-Duo bilden, ihr wichtigste Requisite nennen: ein knallgelbes Kochutensil, einst entwendet aus dem Elternhaus, dann im Einsatz in der gemeinsamen WG-Küche. Bevor es, bestückt mit einem kleinen Ansteckmikrofon, zum Running Gag ihrer verspielten Fake-Straßeninterviews wurde, mit denen sich Dr. Bohl eine treue Online-Fangemeinschaft aufgebaut haben.
Benjamin, der jüngere der beiden Wiener (23), befragt darin – mit dem Pfannenwender als Mikro – allerlei Charaktere, die von Paulus, dem älteren (26), gespielt werden: Wiener Strizzis, eine resolute, gnadenlos ehrliche Seniorin und verschiedene Studententypen in all ihrer liebevoll zugespitzten Klischeehaftigkeit – von der Boku-Studentin, die beim Interview im Park schlechten Energiefeldern ausweicht, bis zum FHStudenten mit Schultasche, der sich zu Weihnachten Jolly-Buntstifte wünscht.
Das Format haben die beiden Brüder – die ihren echten Nachnamen nicht öffentlich machen wollen – 2016 für ein Geburtstagsvideo für einen Freund erfunden. Eine Weile lang bespaßten sie ihre FacebookFreunde mit den witzigen Clips, bis 2018 einer davon („Studenten in den Sommerferien“) virale Verbreitung fand. Mittlerweile bespielen sie sämtliche Onlinekanäle, knapp 70.000 Nutzer folgen ihnen auf TikTok. Und auch in die etablierteren Bereiche der komischen Kunst dringen Dr. Bohl nun vor: Gerade bereiten sie ihr zweites Kabarettprogramm, „Anabohlika“, vor, das am 16. Jänner im Wiener Stadtsaal Premiere hat.
Kabarett-Ersatz im Lockdown
Sie sind damit Teil einer jungen Komikergeneration, die sich online einen Namen gemacht hat und jetzt auf die Bühnen strebt. Ein Trend, den die Pandemie wohl befeuert hat: In den Lockdowns boten junge SocialMedia-Unterhalter Zerstreuung, scharten Follower um sich – und versuchen nun, auch ein Offlinepublikum aufzubauen. Die TikTokerin Toxische Pommes, im Brotjob Juristin, erreicht mit ihren Parodien über das migrantische Leben in Österreich regelmäßig sechsstellige Views; für die nächsten Termine ihres einstündigen Programms
„Ketchup, Mayo und Ajvar“, in dem sie von ihrem Aufwachsen in Wiener Neustadt nach der Flucht aus Ex-Jugoslawien und der langen Suche nach Zugehörigkeit erzählt, gibt es kaum noch Restkarten. Die Stand-up-Comedienne Julia Brandner hatte ihren Durchbruch mit Instagram-Videos (etwa: „Wenn man mit Männern sprechen würde wie mit
Frauen“); der Wiener Michael Bauer („Heidelbeerhugo“auf TikTok) startet quasi im zweiten Bildungsweg als Kabarettist durch.
Für den Medizinstudenten Benjamin und den mittlerweile fertigen Juristen Paulus von Dr. Bohl war der Schritt auf die Bühne zunächst ein Experiment: Paulus schrieb das erste Programm – in dem auch die aus den Videos bekannten Figuren vorkamen – im Auslandssemester in Bologna, die Premiere erfolgte kurz vor Corona vor Freunden auf einer Kellerbühne. Für weitere Termine führten die Brüder eine Interessentenliste: „Wir wussten ja nicht, ob es noch einmal hundert Leute gibt, die das sehen möchten“, so Paulus. Gab es – immer wieder: Der erste öffentliche Abend im Kabarett Niedermair sei schließlich in vier Minuten ausverkauft gewesen, erzählt er.
„Es ist schon cool, dass sich unsere Generation, die TikTok lustig findet, auch einen eineinhalb Stunden langen Auftritt anschaut. Das habe ich selbst davor auch nicht gemacht.“Zweimal sei er vor der eigenen Premiere im Kabarett gewesen, einmal davon beim eigenen Papa: Dieser, Herbert Knötzl, hatte 1994 die legendäre AnarchoGruppe Projekt X mitgegründet. Sein Humor habe auch die Buben geprägt: „Wir hatten’s lustig in der Familie. Stimmen verstellen war normal. Oder dass dein Papa zu einem Fest als Katze verkleidet kommt – mit so etwas sind wir groß geworden“, so Benjamin.
Kaufen Follower auch Tickets?
Der Umstieg von wenige Sekunden langen Clips auf ein kohärentes, abendfüllendes Programm dürfte nicht allen gelingen, meint die erfahrene Kabarett-Agentin Julia Sobieszek, die seit einem Jahr auch Influencerinnen und Influencer betreut. „Da wird noch eine Auslese stattfinden.“Die Tickets für Social-Media-Comedy-Stars würden sich sehr gut verkaufen. „Aber diese Leute haben auch gerade erst begonnen. Man muss schauen, ob sie wirklich ein Livepublikum aufbauen können. Aus unseren Erfahrungen wissen wir, dass nur zwei bis 20 Prozent der Online-Follower überhaupt Karten kaufen – über einen längeren Zeitraum hinweg.“Dass der Spagat zwischen Online- und Offline-Prominenz möglich ist, zeigt der von ihr betreute Michael Buchinger, der als YouTuber begonnen hat und mittlerweile auch Podcaster, Autor und eben Kabarettist ist. „Die ersten Shows haben wir nur mit Fans gefüllt“, sagt Sobieszek. Jetzt kämen auch Leute, die gar nicht auf Instagram sind.
„Als wir begonnen haben, im Stadtsaal aufzutreten, habe ich gehofft, auch ein bisschen Stadtsaal-Publikum zu bekommen“, sagt Paulus von Dr. Bohl. Das sei nicht eingetreten. „Aber wir stehen ja noch am Anfang.“Der Pfannenwender kommt jedenfalls so bald nicht zurück in die Küchenschublade.