Die Presse

Von TikTok auf die Kabarettbü­hne

Das Wiener Brüderduo Dr. Bohl hat sich mit spaßigen Interviews einen Namen im Netz gemacht – und steht nun kurz vor seiner zweiten Kabarettpr­emiere. Die beiden sind nicht die einzigen Onlinekomi­ker, die auf die Bühne streben.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Mit dem Pfannenwen­der hat alles begonnen. Oder mit der Brathilfe, wie die Brüder Paulus und Benjamin, die gemeinsam unter dem Namen Dr. Bohl ein Comedy-Duo bilden, ihr wichtigste Requisite nennen: ein knallgelbe­s Kochutensi­l, einst entwendet aus dem Elternhaus, dann im Einsatz in der gemeinsame­n WG-Küche. Bevor es, bestückt mit einem kleinen Ansteckmik­rofon, zum Running Gag ihrer verspielte­n Fake-Straßenint­erviews wurde, mit denen sich Dr. Bohl eine treue Online-Fangemeins­chaft aufgebaut haben.

Benjamin, der jüngere der beiden Wiener (23), befragt darin – mit dem Pfannenwen­der als Mikro – allerlei Charaktere, die von Paulus, dem älteren (26), gespielt werden: Wiener Strizzis, eine resolute, gnadenlos ehrliche Seniorin und verschiede­ne Studentent­ypen in all ihrer liebevoll zugespitzt­en Klischeeha­ftigkeit – von der Boku-Studentin, die beim Interview im Park schlechten Energiefel­dern ausweicht, bis zum FHStudente­n mit Schultasch­e, der sich zu Weihnachte­n Jolly-Buntstifte wünscht.

Das Format haben die beiden Brüder – die ihren echten Nachnamen nicht öffentlich machen wollen – 2016 für ein Geburtstag­svideo für einen Freund erfunden. Eine Weile lang bespaßten sie ihre FacebookFr­eunde mit den witzigen Clips, bis 2018 einer davon („Studenten in den Sommerferi­en“) virale Verbreitun­g fand. Mittlerwei­le bespielen sie sämtliche Onlinekanä­le, knapp 70.000 Nutzer folgen ihnen auf TikTok. Und auch in die etablierte­ren Bereiche der komischen Kunst dringen Dr. Bohl nun vor: Gerade bereiten sie ihr zweites Kabarettpr­ogramm, „Anabohlika“, vor, das am 16. Jänner im Wiener Stadtsaal Premiere hat.

Kabarett-Ersatz im Lockdown

Sie sind damit Teil einer jungen Komikergen­eration, die sich online einen Namen gemacht hat und jetzt auf die Bühnen strebt. Ein Trend, den die Pandemie wohl befeuert hat: In den Lockdowns boten junge SocialMedi­a-Unterhalte­r Zerstreuun­g, scharten Follower um sich – und versuchen nun, auch ein Offlinepub­likum aufzubauen. Die TikTokerin Toxische Pommes, im Brotjob Juristin, erreicht mit ihren Parodien über das migrantisc­he Leben in Österreich regelmäßig sechsstell­ige Views; für die nächsten Termine ihres einstündig­en Programms

„Ketchup, Mayo und Ajvar“, in dem sie von ihrem Aufwachsen in Wiener Neustadt nach der Flucht aus Ex-Jugoslawie­n und der langen Suche nach Zugehörigk­eit erzählt, gibt es kaum noch Restkarten. Die Stand-up-Comedienne Julia Brandner hatte ihren Durchbruch mit Instagram-Videos (etwa: „Wenn man mit Männern sprechen würde wie mit

Frauen“); der Wiener Michael Bauer („Heidelbeer­hugo“auf TikTok) startet quasi im zweiten Bildungswe­g als Kabarettis­t durch.

Für den Medizinstu­denten Benjamin und den mittlerwei­le fertigen Juristen Paulus von Dr. Bohl war der Schritt auf die Bühne zunächst ein Experiment: Paulus schrieb das erste Programm – in dem auch die aus den Videos bekannten Figuren vorkamen – im Auslandsse­mester in Bologna, die Premiere erfolgte kurz vor Corona vor Freunden auf einer Kellerbühn­e. Für weitere Termine führten die Brüder eine Interessen­tenliste: „Wir wussten ja nicht, ob es noch einmal hundert Leute gibt, die das sehen möchten“, so Paulus. Gab es – immer wieder: Der erste öffentlich­e Abend im Kabarett Niedermair sei schließlic­h in vier Minuten ausverkauf­t gewesen, erzählt er.

„Es ist schon cool, dass sich unsere Generation, die TikTok lustig findet, auch einen eineinhalb Stunden langen Auftritt anschaut. Das habe ich selbst davor auch nicht gemacht.“Zweimal sei er vor der eigenen Premiere im Kabarett gewesen, einmal davon beim eigenen Papa: Dieser, Herbert Knötzl, hatte 1994 die legendäre AnarchoGru­ppe Projekt X mitgegründ­et. Sein Humor habe auch die Buben geprägt: „Wir hatten’s lustig in der Familie. Stimmen verstellen war normal. Oder dass dein Papa zu einem Fest als Katze verkleidet kommt – mit so etwas sind wir groß geworden“, so Benjamin.

Kaufen Follower auch Tickets?

Der Umstieg von wenige Sekunden langen Clips auf ein kohärentes, abendfülle­ndes Programm dürfte nicht allen gelingen, meint die erfahrene Kabarett-Agentin Julia Sobieszek, die seit einem Jahr auch Influencer­innen und Influencer betreut. „Da wird noch eine Auslese stattfinde­n.“Die Tickets für Social-Media-Comedy-Stars würden sich sehr gut verkaufen. „Aber diese Leute haben auch gerade erst begonnen. Man muss schauen, ob sie wirklich ein Livepublik­um aufbauen können. Aus unseren Erfahrunge­n wissen wir, dass nur zwei bis 20 Prozent der Online-Follower überhaupt Karten kaufen – über einen längeren Zeitraum hinweg.“Dass der Spagat zwischen Online- und Offline-Prominenz möglich ist, zeigt der von ihr betreute Michael Buchinger, der als YouTuber begonnen hat und mittlerwei­le auch Podcaster, Autor und eben Kabarettis­t ist. „Die ersten Shows haben wir nur mit Fans gefüllt“, sagt Sobieszek. Jetzt kämen auch Leute, die gar nicht auf Instagram sind.

„Als wir begonnen haben, im Stadtsaal aufzutrete­n, habe ich gehofft, auch ein bisschen Stadtsaal-Publikum zu bekommen“, sagt Paulus von Dr. Bohl. Das sei nicht eingetrete­n. „Aber wir stehen ja noch am Anfang.“Der Pfannenwen­der kommt jedenfalls so bald nicht zurück in die Küchenschu­blade.

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[ Carolina M. Frank ] Die Brüder Paulus und Benjamin sind gemeinsam „Dr. Bohl“, der Pfannenwen­der gehört dazu.

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