„Die Natur sollte Vorrang haben“
Franz Essl (Uni Wien) warnt, dass dem Ökoystem Erde die Luft ausgeht. Er plädiert für rasche Maßnahmen und mehr Geld für Umwelt- und Artenschutz.
Die Feuchtwiese meiner Kindheit ist mittlerweile aufgeforstet“, sagte Franz Essl bei der Auszeichnung zum „Wissenschafter des Jahres 2022“am Montag im Concordia-Presseclub in Wien. Weiter: „Die Blumenwiese mit Brachflächen ist heute eine Christbaumkultur, der Obstgarten mit dem Gartenrotschwanz ist gerodet, und das letzte Vorkommen des Wollgrases ist entwässert und umgeackert.“Diese Wandlungen des Mikrokosmos in Oberösterreich, wo Essl bei Steyr aufgewachsen ist, seien nur einige Beispiele dafür, wie „dem Ökosystem Erde die Luft ausgeht“.
Essl schilderte in seiner Rede bei der Preisverleihung, in der er anfangs seinen Forschungsteams, internationalen Kooperationspartnern und dem Elternhaus dankte, dass es heute „nicht mehr auf die Evolution ankommt in der Frage, welche Arten das 21. Jahrhundert überhaupt überleben werden, sondern auf das Tun des Menschen.“Der
Ökologe, der nach Stationen im Umweltbundesamt und an der University of Lincoln in Neuseeland wieder an seiner Alma Mater, der Uni Wien, im Department für Botanik und Biodiversitätsforschung forscht und lehrt, zielt in seiner Arbeit auf ein besseres Verständnis dessen ab, wie der Mensch und sein Handeln die Erde umgestalten.
Die Menschen verändern den Planeten
„Erstmals trägt eine Art, Homo sapiens, das Schicksal des Planeten. Wir sind eine geologische Kraft geworden. Die Menschheit ist vergleichbar mit dem Asteroiden, der vor 65 Millionen Jahren das Schicksal der Dinosaurier und vieler anderer Arten besiegelt hat.“
Als anschauliches Beispiel für den rasanten Austausch der Tier- und Pflanzenarten in unserer vernetzten Welt hob Essl das Bild eines eigentümlichen Säugetiers hoch, das seine Katzen in Wien kürzlich als stolze Beute im Vorgarten abgelegt haben. Es ist ein Gleitflügelbeutler, ein australisches Beuteltier, das Eichhörnchen ähnelt. „Dass diese eingeschleppte Art direkt bei dem landet, der sich seit Jahren mit Neobiota beschäftigt, ist ein witziger Zufall“, sagte Essl.
Neben wissenschaftlichen Publikationen – Essl gehört zu den meist zitierten Wissenschaftlern Österreichs – über solche Neobiota, also eingeschleppte und eingewanderte Pflanzen und Tiere, veröffentlichte der Ökologe auch Bücher wie „Biodiversität & Klimawandel“, „Aliens – Neobiota & Klimawandel“und „Endemiten“. Letzterer Fachbegriff beschreibt Arten, die nur auf einem Gebiet und sonst nirgendwo vorkommen.
Auf die Frage nach seiner Lieblingsart im Reich der gefährdeten Pflanzen und Tiere nennt Essl eine Kuhschelle, die nur auf warmen halbtrockenen Rasen in Oberösterreich wächst – und sonst nirgendwo. Schon als junger Bursch mit 15 Jahren interessierte sich der Freilandbotaniker für diese Pflanze. Bald trat er der „Botanischen Arbeitsgemeinschaft“am Landesmuseum Linz bei – und senkte damit dessen Altersschnitt beträchtlich, wenn seine Eltern ihn zu den Vereinstreffen kutschierten. Die Anrainer der letzten Wiesen mit dieser Kuhschellenart gründeten bei Sierninghofen-Neuzeug vor 30 Jahren einen Naturschutzverein, sodass bis heute diese Blume und zig andere vor dem Verschwinden gerettet wurden.
Eine Milliarde Euro für Biodiversität
Solch Engagement fordert Franz Essl nun als „Wissenschafter des Jahres“von der Politik und Gesellschaft in größerem Maßstab ein – und sieht die „Umweltwissenschaften als eine der Schlüsseldisziplinen des 21. Jahrhunderts“. Es brauche dringend einen „grünen Marshallplan“und die Aufstockung des österreichischen Biodiversitätsfonds auf eine Milliarde Euro pro Jahr, wiederholte Essl die Forderung des Biodiversitätsrates, zu dessen Leitungsteam er gehört.
Auch mit Fridays for Future kooperiert Essl, gemeinsam mit den Klimaschützern hat er als Ringvorlesung eine der größten Lehrveranstaltungen der Uni Wien erschaffen. Zu den aktuellen Aktivitäten radikalerer Art sagt er: „Die Sorge um die Zukunft ist weit verbreitet, und diese Leute fordern nur, dass das eingelöst wird, wozu sich die Politik und Gesellschaft in diversen Abkommen verpflichtet haben.“
Dass der Klub für Bildungs- und WissenschaftsjournalistInnen, der diese Auszeichnung heuer zum 29. Mal vergab, ihn gewählt hat, zeigt für Essl, dass die Biodiversitätskrise in den Vordergrund rückt. „Ich erwarte, dass die Warnungen der Wissenschaft ernst genommen werden, damit Österreich auch in 20 oder 100 Jahren noch ein lebenswertes Land auf einem lebenswerten Planeten ist.“