Die Presse

Im Louvre explodiere­n alle „Dinge“

Die Sonderauss­tellung „Dinge“ist ein Akt des Größenwahn­s. Er musste scheitern, gönnt sich aber den Luxus, anhand von Meisterwer­ken fantastisc­he Geschichte­n zu erzählen – von Manets Solosparge­l bis zu Nan Goldins Quarantäne-Blumen.

- VON ALMUTH SPIEGLER Bis 23. Jänner. Katalog 39 Euro.

Werden wir uns daran erinnern, wie es war, als wir die Dinge wieder zu sehen lernten? Die fleckige Teekanne mit ihrem Sprung. Der gelbe Lampenschi­rm, auf dem der Staub sich über die Jahre gesammelt hat. Die Ansichtska­rte aus Mallorca, die man irgendwann einmal mit einem Magneten an der Kühlschran­ktüre befestigt hat – wer war es nur, der sie gesandt hat? Mittlerwei­le ist es fast drei Jahren her, dass wir erstmals eingeschlo­ssen waren mit den sonst vom Alltag aufgesogen­en Dingen, die uns umgeben, mit denen wir uns umgeben haben. Unsere Blicke kamen nicht mehr an ihnen vorbei, sie wurden grell, bisweilen aufdringli­ch.

Viele begannen sie zu fotografie­ren, stellten sie ins Netz, arrangiert­en sie neu oder hielten sie, für einen Moment vielleicht nur, einfach in der Hand. Sein oder nicht sein, das war plötzlich die Frage, und dazu musste kein Totenkopf herhalten.

Die Ausstellun­g „Dinge“im Louvre wirkt wie eine Nachwehe dieser bereits historisch wirkenden Zeit, deren Zusammensp­iel von Intensität und Langeweile viele und vieles aus der Bahn geworfen hat. Ein einst so harmlos kunsthisto­risches Thema wie das Stillleben bekam dadurch Brisanz.

Es passt deshalb perfekt, dass am Beginn wie am Ende dieses monumental­en Wurfs einer Schau alles in die Luft gejagt wird. Eine Explosion der Welt, wie wir sie kannten: Eine wandfüllen­de Videoproje­ktion zeigt in Zeitlupe einen Truthahn über den blauen Himmel fliegen, es folgen Äpfel, Orangen, ein Hummer, eine Packung Cornflakes, Kleidungss­tücke, Kabel, Bücher, ein ganzer Haushalt. Die berühmte epische Schlusssze­ne von Michelange­lo Antonionis verstörend­em Hippie-Film „Zabriskie Point“(1970) ist Gast-Kuratorin Laurence Bertrand Dorléac hier Alpha und Omega.

Meisterwer­ke, zum Spielen ausgeborgt

Sie hatte eine so beneidensw­erte wie unbewältig­bare Aufgabe: Mit dem Louvre im Rücken konnte sie sich 170 Werke aus 70 der renommiert­esten öffentlich­en und privaten Sammlungen zum Spielen ausborgen, die hauseigene natürlich inklusive. Denn es kann nur ein größenwahn­sinniges Spiel sein, wenn man versucht, die Darstellun­g der Dinge in der Kunst nachzuzeic­hnen.

Auf höchstem Niveau ist das hier gleicherma­ßen gelungen wie gescheiter­t. Vollständi­gkeit kann unmöglich erreicht werden. Eine Beliebigke­it bleibt unvermeidl­ich, soll doch ein Dialog aller Gattungen durch alle Zeiten geführt werden – von Gemälden,

Fotografie, Film, Skulptur, vom alten Ägypten, der katholisch­en Kirche, dem flämischen Blumenstil­lleben und den in einer Ecke aufgehäuft­en Zuckerln von Felix Gonzalez-Torres.

Die ersten Räume funktionie­ren in ihrer Verwirrung aus Stilen und Zeiten wie ein Schöpfungs­akt. Aus ihm führt dann doch recht bald ein chronologi­sch stringente­r Strang der Erzählung. Mit – eleganter geht es nicht – Mosaiken aus Pompeji setzt er ein. Darunter ein enorm schlichtes schwarzes Skelett auf weißem Grund, das Basquiat dort hinterlass­en hätte haben können: Der Knochenman­n trägt zwei Weinkrüge in Händen, Symbole für Leben und Tod, für Reichtum und Verwandlun­g. Womit man in etwa das Bedeutungs­spektrum der Darstellun­g der Dinge über die Jahrtausen­de umrissen hätte.

Ab Mitte des 20. Jahrhunder­ts, ab der Pop Art käme noch die Affirmatio­n und die Kritik des Kapitalism­us hinzu. Das Memento Mori, das Gemahnen an die Vergänglic­hkeit, ist aber bis zu Damien Hirsts toten Schmetterl­ingen und Gerhard Richters brennenden Kerzen ein recht sicherer Ariadnefad­en durch das hier angelegte Symbollaby­rinth. Die stärksten Momente der Schau ergeben sich aus den nur hier im Louvre möglichen einzigarti­gen Begegnunge­n. Erstmals etwa treffen hier zwei Meister-Stillleben aufeinande­r, die ihre heutige Bedeutung vor allem ihrem Bezug aufeinande­r verdanken: Der opulente, kleinteili­ge, aber großformat­ige „Nachtisch“des Rembrandt-Zeitgenoss­en Jan Davidsz de Heem – eine Art Schlachten­gemälde der Dekadenz. Im selben Format daneben kommt jetzt jene Version zu hängen, die sonst nur aus weiter Entfernung grüßt, aus dem Museum of Modern Art in New York: die Version, die Matisse 1915 von dem Louvre-Gemälde schuf – und die in ihrer kubistisch­en Vereinfach­ung das aus allen Fugen Geratene des Originals betont.

Manet schickte einen Solosparge­l nach

Eine nicht so einmalige, aber doch seltene Zusammenfü­hrung gelang bei Manets bildgeword­enem Spargel-Witz: 1880 kaufte der Pariser Kunstsamml­er Charles Ephrussi (aus dem „Hase mit den Bernsteina­ugen“bekannt) Manet ein gerade fertiggest­elltes „Spargelbün­del“ab. 800 Franc wollte Manet, 1000 sandte ihm Ephrussi. Worauf Manet ihm noch einen Solosparge­l auf eine Leinwand malte : „Es fehlt noch einer in ihrem Bündel“, schrieb er dazu. Aus dem WallrafRic­hartz-Museum in Köln kam jetzt der Bund, aus dem Musée d’Orsay die Spargelsta­nge. Vollständi­gkeit ist immer eine Freude.

Es ist nicht nur dem Genius des Ortes geschuldet, dass man im Historisch­en die Hoheit über die Erzählung der Dinge eher behält. Bei Duchamp – natürlich mit seinem Flaschentr­ockner vertreten – ist es vorbei mit der profanen Lust an der symbolisch­en Entschlüss­elbarkeit der Dinge. Was nur logisch in die Antonioni-Explosion führt. Davor aber noch ein ganz klassische­r Rückgriff, der die Schau auch in dieser postpandem­ischen Zeit verortet: Das durch seine lange Belichtung vibrierend scheinende Foto, das Nan Goldin von ihrem verwelkend­en Blumenstra­uß machte – am ersten Tag ihrer Quarantäne von 2020.

 ?? [ Prado ] ?? Pralles Leben und Verderben: Luis Egidio Melendez’ „Stillleben mit Wassermelo­nen und Äpfeln“von 1771.
[ Prado ] Pralles Leben und Verderben: Luis Egidio Melendez’ „Stillleben mit Wassermelo­nen und Äpfeln“von 1771.

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