Das 17. Bundesland Deutschlands?
Bei der Eröffnung des österreichischen Parlaments hält Wolfgang Schäuble eine Festrede. Muss das sein?
Am 12. Jänner wird das sanierte Parlamentsgebäude an der Wiener Ringstraße durch einen deutschen Spitzenpolitiker wiedereröffnet. Niemand Geringerer als Wolfgang Schäuble, seit 1972 durchgehend Mitglied des deutschen Bundestags und damit dienstältester Abgeordneter in der Geschichte nationaler deutscher Parlamente, kommt diese Ehre zu.
Warum aber ausgerechnet diese prononcierte bundesdeutsche Persönlichkeit die große Festrede zur Eröffnung des mit Hunderten Millionen an österreichischem (nicht deutschem) Steuergeld renovierten Parlament halten darf, darüber fand bisher keinerlei Debatte statt. Dabei ist es mehr als ungewöhnlich, dass sich ein souveränes Land sein Parlament ausgerechnet durch einen ausländischen Politiker eröffnen lässt. Solches kennt man eher aus Ländern der Dritten Welt oder etwa aus Staaten des britischen Commonwealth, wo noch immer ein Vertreter der britischen Krone die eigentliche Staatsmacht repräsentiert, wenn ein Parlament zusammentritt.
Möglich gemacht hat diesen ungewöhnlichen Umstand wieder einmal der amtierende Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka. Als oberster Herr und Meister der parlamentarischen Abläufe gibt ihm die geltende Geschäftsordnung die Möglichkeiten dazu. Und diese nutzt er weidlich, um dem sanierten Parlamentsgebäude seinen Stempel aufzudrücken. Gut in Erinnerung sind etwa noch seine einsame Entscheidung zur Anschaffung eines goldenen Bösendorfer-Flügels für den Empfangssalon des Parlaments und die Benennung von Räumen und Gängen im Hohen Haus am Ring: vom Romy-Schneider-Wintergarten bis zum Friedrich-Augustvon-Hayek-Gang – immer ist es Sobotka, der entscheidet. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, der eigentlich mächtige Mann im österreichischen Parlament ist der jeweilige Nationalratspräsident.
Seine beiden Stellvertreter, aber auch das Gremium der Präsidiale (also das Zusammenwirken mit den Klubobleuten des Parlaments) scheinen da nur Staffage. Einmal gewählt, kann er tun und lassen, was er will. Und dies kostet Wolfgang Sobotka weidlich aus.
Dass unter diesen Umständen die Wahl ausgerechnet auf Wolfgang Schäuble als Festredner gefallen ist, ist wenig überraschend. Längstdienender Parlamentarier Deutschlands, zweifach Innenminister, als Finanzminister der Austeritätszuchtmeister Europas und Budgetüberschuss-Fetischist Deutschlands (die Auswirkungen seiner rigiden Finanzpolitik werden gerade jetzt angesichts maroder Infrastruktur und skandalöser Zustände der deutschen Bundeswehr überdeutlich), Bundestagspräsident – und schließlich ausgewiesener Konservativer, ein Christlich-Sozialer, wie er im Buche steht, oder wie man in Österreich sagen würde: ein Schwarzer durch und durch. Und zudem hat er vor mehr als zwei Jahrzehnten einen veritablen Finanz- und Korruptionsskandal überstanden und gilt wohl vielen in der ÖVP auch gerade deshalb als Beispiel und Vorbild, was man in der Politik nicht so alles überleben und aussitzen kann.
Protest bleibt aus
Es bleibt die Frage, warum sich keine einzige Partei im Parlament gefunden hat, um gegen diese Entscheidung zu protestieren. Als im Juni der ukrainische Parlamentspräsident im Nationalrat eine Rede hielt, wurde im Vorfeld heftig diskutiert. Diesmal herrscht eisiges Schweigen. Vielleicht hat man aber auch wieder einmal die Tragweite und Symbolik nicht erkannt. Die Optik ist jedenfalls verheerend: Österreichs Parlament wird durch einen amtierenden deutschen Spitzenpolitiker eröffnet, und die heimische Politik sonnt sich zufrieden im Glanze Berlins.