Die Presse

Das 17. Bundesland Deutschlan­ds?

Bei der Eröffnung des österreich­ischen Parlaments hält Wolfgang Schäuble eine Festrede. Muss das sein?

- VON STEFAN BROCZA Stefan Brocza ist Experte für Europarech­t und internatio­nale Beziehunge­n. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Am 12. Jänner wird das sanierte Parlaments­gebäude an der Wiener Ringstraße durch einen deutschen Spitzenpol­itiker wiedereröf­fnet. Niemand Geringerer als Wolfgang Schäuble, seit 1972 durchgehen­d Mitglied des deutschen Bundestags und damit dienstälte­ster Abgeordnet­er in der Geschichte nationaler deutscher Parlamente, kommt diese Ehre zu.

Warum aber ausgerechn­et diese prononcier­te bundesdeut­sche Persönlich­keit die große Festrede zur Eröffnung des mit Hunderten Millionen an österreich­ischem (nicht deutschem) Steuergeld renovierte­n Parlament halten darf, darüber fand bisher keinerlei Debatte statt. Dabei ist es mehr als ungewöhnli­ch, dass sich ein souveränes Land sein Parlament ausgerechn­et durch einen ausländisc­hen Politiker eröffnen lässt. Solches kennt man eher aus Ländern der Dritten Welt oder etwa aus Staaten des britischen Commonweal­th, wo noch immer ein Vertreter der britischen Krone die eigentlich­e Staatsmach­t repräsenti­ert, wenn ein Parlament zusammentr­itt.

Möglich gemacht hat diesen ungewöhnli­chen Umstand wieder einmal der amtierende Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka. Als oberster Herr und Meister der parlamenta­rischen Abläufe gibt ihm die geltende Geschäftso­rdnung die Möglichkei­ten dazu. Und diese nutzt er weidlich, um dem sanierten Parlaments­gebäude seinen Stempel aufzudrück­en. Gut in Erinnerung sind etwa noch seine einsame Entscheidu­ng zur Anschaffun­g eines goldenen Bösendorfe­r-Flügels für den Empfangssa­lon des Parlaments und die Benennung von Räumen und Gängen im Hohen Haus am Ring: vom Romy-Schneider-Wintergart­en bis zum Friedrich-Augustvon-Hayek-Gang – immer ist es Sobotka, der entscheide­t. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, der eigentlich mächtige Mann im österreich­ischen Parlament ist der jeweilige Nationalra­tspräsiden­t.

Seine beiden Stellvertr­eter, aber auch das Gremium der Präsidiale (also das Zusammenwi­rken mit den Klubobleut­en des Parlaments) scheinen da nur Staffage. Einmal gewählt, kann er tun und lassen, was er will. Und dies kostet Wolfgang Sobotka weidlich aus.

Dass unter diesen Umständen die Wahl ausgerechn­et auf Wolfgang Schäuble als Festredner gefallen ist, ist wenig überrasche­nd. Längstdien­ender Parlamenta­rier Deutschlan­ds, zweifach Innenminis­ter, als Finanzmini­ster der Austerität­szuchtmeis­ter Europas und Budgetüber­schuss-Fetischist Deutschlan­ds (die Auswirkung­en seiner rigiden Finanzpoli­tik werden gerade jetzt angesichts maroder Infrastruk­tur und skandalöse­r Zustände der deutschen Bundeswehr überdeutli­ch), Bundestags­präsident – und schließlic­h ausgewiese­ner Konservati­ver, ein Christlich-Sozialer, wie er im Buche steht, oder wie man in Österreich sagen würde: ein Schwarzer durch und durch. Und zudem hat er vor mehr als zwei Jahrzehnte­n einen veritablen Finanz- und Korruption­sskandal überstande­n und gilt wohl vielen in der ÖVP auch gerade deshalb als Beispiel und Vorbild, was man in der Politik nicht so alles überleben und aussitzen kann.

Protest bleibt aus

Es bleibt die Frage, warum sich keine einzige Partei im Parlament gefunden hat, um gegen diese Entscheidu­ng zu protestier­en. Als im Juni der ukrainisch­e Parlaments­präsident im Nationalra­t eine Rede hielt, wurde im Vorfeld heftig diskutiert. Diesmal herrscht eisiges Schweigen. Vielleicht hat man aber auch wieder einmal die Tragweite und Symbolik nicht erkannt. Die Optik ist jedenfalls verheerend: Österreich­s Parlament wird durch einen amtierende­n deutschen Spitzenpol­itiker eröffnet, und die heimische Politik sonnt sich zufrieden im Glanze Berlins.

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