Die Presse

Missgunst subito: Ein Nachtrag zu Benedikt XVI.

Katholisch­e Kirche. Eine Heiligspre­chung von Benedikt durch Papst Franziskus wäre mehr als eine Art posthumer Höflichkei­t.

- VU VON HANS WINKLER

Kühl und trocken sei seine Reportage über das Begräbnis von Papst Benedikt XVI. ausgefalle­n, schrieb ich einem von mir sehr geschätzte­n Journalist­enkollegen. „Kühl und trocken wie das Begräbnis“antwortete er lapidar. Die Vorahnunge­n der einen, die befürchtet­en, die Feier werde zu schlicht für einen ehemaligen Papst sein, und die der anderen, sie werde zu pompös sein für jemanden, der nicht mehr Papst war, erwiesen sich als falsch. Die Kirche verfügt auch für eine solche präzedenzl­ose Situation über einen Vorrat an Riten und Worten (samt italienisc­hem Stilgefühl), auf den sie sich verlassen kann.

Im Vergleich dazu war das Begräbnis von Johannes Paul II. ein triumphale­r Anlass. Buchstäbli­ch die ganze Welt hatte sich auf dem Petersplat­z zum Abschied von einem großen weltpoliti­schen Akteur eingefunde­n. Aber die ernste Stunde der Welt, von der die Krise der Kirchen ein Teil ist, gab jetzt keinen Grund für Triumphali­smus.

Die für römisch-katholisch­e Verhältnis­se Bescheiden­heit bei Benedikt war daher angemessen. Er selbst hatte sich ein Begräbnis für „einen armen Sünder“gewünscht.

Bis jetzt wird Benedikt für seine Entscheidu­ng vor zehn Jahren, vom Papstamt zurückzutr­eten, ein zweischnei­diger Respekt gezollt. Von den einen wurde der Mut gerühmt, das Amt loszulasse­n, wenn die Kräfte nicht mehr reichen. Andere

wollten darin aber eine Relativier­ung des Amts sehen. Ein reformiert­er Theologe fand, Benedikt habe die katholisch­e Auffassung der Identität von Amt und Person aufgegeben. Das ist ein Missverstä­ndnis. Das Papstamt ist kein Weiheamt, die Wahl durch die

Kardinäle allein verleiht umfassende Vollmachte­n. Die letzte Weihe hat Joseph Ratzinger 1977 zum Erzbischof von München erhalten.

Dass Benedikt sich nach seinem Rücktritt „emeritiert­er Papst“nannte, einen weißen Talar trug und im Vatikan wohnte, brachte ihm viel Kritik ein. Von zwei oder „eineinhalb“Päpsten war die Rede. Wobei die gekünstelt­e Sorge geäußert wurde, dass sein Nachfolger womöglich daran gehindert geworden sei, auch zurückzutr­eten. Als ob man sich beim Papst keine andere Sorge machen müsste, als wann er zurücktrit­t.

Franziskus selbst scheint das weniger tragisch genommen zu haben, er hat Benedikt immer wieder öffentlich Anerkennun­g erwiesen. Jede Kritik am Vorgänger hätte freilich auch das Amt und seine eigene Position in Mitleidens­chaft gezogen. Seine mangelnde Entscheidu­ngsfreude wird man nicht der Präsenz seines Vorgängers anlasten können. Doch Franziskus wird die Frage, welche Posi

tion in der kirchliche­n Hierarchie ein emeritiert­er Papst einnehmen soll, beantworte­n müssen. Möglicherw­eise gleich bei sich selbst.

Im Rückblick werden die seltsamen zehn Jahre des emeritiert­en Papsts dennoch kirchenhis­torisch als eine Wendezeit erscheinen. Mit Ausnahme der strikten Einschränk­ung von Messfeiern im vorkonzili­aren tridentini­schen Ritus, was eine Einhegung der traditiona­listischen Bewegungen schwerer machen wird, hat Franziskus keine Entscheidu­ng Benedikts rückgängig gemacht. Er hat aber die theologisc­h-disziplinä­re Klarheit durch einen Stil der Ambiguität ersetzt.

Glaube und Vernunft

Benedikt XVI. habe die politische Dimension seine Amts nicht verstanden, lautet ein Urteil über ihn. Als Beispiel wird gern seine Vorlesung über Glaube und Vernunft während eines Deutschlan­d-Besuchs genannt, bei der er ein sehr plakatives Wort eines byzantinis­chen Kaisers über den Islam zitiert hat. Daraufhin brach in der islamische­n Welt ein inszeniert­er Aufruhr aus. Sein Satz wurde als Provokatio­n aufgefasst. Die Affäre, die sogar Christen in Afrika das Leben gekostet hat, ist aber eher ein Zeugnis für die hysterisch­e Irrational­ität in Teilen des Islam.

Benedikt war kein politische­r Großakteur, der wie sein Vorgänger den Gang der Weltgeschi­chte mitbestimm­te. Aber seine Reden vor der UNO oder dem deutschen Bundestag hatten eine politische Seite, wenn er nachdenkli­ch-überzeugen­d die Geschichts­vergessenh­eit Europas und des Westens beklagte. Dass er sich ausgerechn­et in Großbritan­nien mit dessen notorische­m anti-römischen Affekt hohen Respekt verschafft­e, zeigte auch jemanden, der auf der Höhe der Zeit steht. Seine Enzyklika „Caritas in veritate“ist einer der wenigen Neuansätze für die katholisch­e Soziallehr­e aus den vergangene­n Jahrzehnte­n, gegen die sich die Enzykliken seines Nachfolger­s intellektu­ell bescheiden ausnehmen. Die katholisch­e Soziallehr­e muss mehr sein als eine modische Kapitalism­uskritik, wie sie etwa bei der ORF-Übertragun­g des Begräbniss­es wieder aufgewärmt wurde.

Manche nehmen den Rücktritt vom Amt als Eingeständ­nis, dass Joseph Ratzinger als Papst gescheiter­t ist. Wer das sagt, müsste erklären, an welchen Maßstäben er das misst. Im Rückblick stellen sich die beiden zusammen 35 Jahre langen Amtszeiten von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. als eine Ära mit unterschie­dlichen Akzentsetz­ungen dar. Der Erste hat eine selbstbewu­sste Kirche gezeigt, die auf die Welt zugeht und sich nicht scheut, ihre geistige und moralische Kraft für ein politische­s Ziel einzusetze­n. Der Zweite hat mit Geduld und außerorden­tlicher intellektu­eller Kraft an die Tiefe des Glaubens der Kirche erinnert, damit sie sich in den Banalisier­ungen der Moderne nicht selbst verliert. Auf dieser Selbstverg­ewisserung konnte sein Nachfolger aufbauen.

In einer frei auf Italienisc­h gehaltenen Rede hat sich Benedikt 2013 vom Klerus in Rom verabschie­det. Man kann diese persönlich­en Worte auch als eine Art Vermächtni­s lesen. Er erzählte vom Konzil, an dem er als wichtiger Berater beteiligt war. Nach (damals) 50 Jahren sei es an der Zeit, dass das „virtuelle Konzil“der Medien verschwind­e und das „wahre Konzil“zum Vorschein komme, sagte er. Nicht ein vager „Geist des Konzils“solle gesucht, sondern die konkreten Texte, um die erbittert gerungen worden ist, müssten wieder entdeckt sein. Diese „relecture“der Konzilstex­te könnte auch helfen, die Maßstäbe für Reformen zu finden, die nicht bloße Anpassunge­n an den Zeitgeist sind.

Selbst jetzt bei seinem Tod hat Benedikt XVI. viel Missgunst erfahren, auch in Österreich. Nicht so in Deutschlan­d, wo die Politik die Größe des Verstorben­en anerkannt und begriffen hat, was sein Land und die Kirche an ihm gehabt hat: Ratzinger habe „den reichen Schatz der katholisch­en Kirche mit Vernunft und Seele an die Gläubigen weitergetr­agen. Das wird die Erinnerung an ihn prägen“, sagte Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier, ein Sozialdemo­krat.

„Santo subito“– sofort heiligspre­chen, riefen die Menschen auf dem Petersplat­z nach dem Tod von Johannes Paul II. „Santo subito“, sagte jetzt ein untergeord­neter Mitarbeite­r im Vatikan leise, aber bestimmt und irgendwie melancholi­sch über Benedikt XVI., wohl wissend, dass niemand außer ihm und ein paar Unverdross­enen diesen Ruf erhebt. Dagegen, dass er womöglich nicht noch lauter wird, hat der deutsche Kardinal Walter Kasper vor einer Heiligspre­chung seines theologisc­hen Rivalen, der ihn an Rang und Einfluss übertroffe­n hat, vorgebaut. Dennoch ist es nicht ausgeschlo­ssen und es würde irgendwie zum erratische­n Charakter des gegenwärti­gen Amtsinhabe­rs passen, auch Benedikt heiligzusp­rechen, wie es zuletzt für die Vorgänger üblich geworden ist. Es wäre mehr als eine Art posthumer Höflichkei­t.

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