Missgunst subito: Ein Nachtrag zu Benedikt XVI.
Katholische Kirche. Eine Heiligsprechung von Benedikt durch Papst Franziskus wäre mehr als eine Art posthumer Höflichkeit.
Kühl und trocken sei seine Reportage über das Begräbnis von Papst Benedikt XVI. ausgefallen, schrieb ich einem von mir sehr geschätzten Journalistenkollegen. „Kühl und trocken wie das Begräbnis“antwortete er lapidar. Die Vorahnungen der einen, die befürchteten, die Feier werde zu schlicht für einen ehemaligen Papst sein, und die der anderen, sie werde zu pompös sein für jemanden, der nicht mehr Papst war, erwiesen sich als falsch. Die Kirche verfügt auch für eine solche präzedenzlose Situation über einen Vorrat an Riten und Worten (samt italienischem Stilgefühl), auf den sie sich verlassen kann.
Im Vergleich dazu war das Begräbnis von Johannes Paul II. ein triumphaler Anlass. Buchstäblich die ganze Welt hatte sich auf dem Petersplatz zum Abschied von einem großen weltpolitischen Akteur eingefunden. Aber die ernste Stunde der Welt, von der die Krise der Kirchen ein Teil ist, gab jetzt keinen Grund für Triumphalismus.
Die für römisch-katholische Verhältnisse Bescheidenheit bei Benedikt war daher angemessen. Er selbst hatte sich ein Begräbnis für „einen armen Sünder“gewünscht.
Bis jetzt wird Benedikt für seine Entscheidung vor zehn Jahren, vom Papstamt zurückzutreten, ein zweischneidiger Respekt gezollt. Von den einen wurde der Mut gerühmt, das Amt loszulassen, wenn die Kräfte nicht mehr reichen. Andere
wollten darin aber eine Relativierung des Amts sehen. Ein reformierter Theologe fand, Benedikt habe die katholische Auffassung der Identität von Amt und Person aufgegeben. Das ist ein Missverständnis. Das Papstamt ist kein Weiheamt, die Wahl durch die
Kardinäle allein verleiht umfassende Vollmachten. Die letzte Weihe hat Joseph Ratzinger 1977 zum Erzbischof von München erhalten.
Dass Benedikt sich nach seinem Rücktritt „emeritierter Papst“nannte, einen weißen Talar trug und im Vatikan wohnte, brachte ihm viel Kritik ein. Von zwei oder „eineinhalb“Päpsten war die Rede. Wobei die gekünstelte Sorge geäußert wurde, dass sein Nachfolger womöglich daran gehindert geworden sei, auch zurückzutreten. Als ob man sich beim Papst keine andere Sorge machen müsste, als wann er zurücktritt.
Franziskus selbst scheint das weniger tragisch genommen zu haben, er hat Benedikt immer wieder öffentlich Anerkennung erwiesen. Jede Kritik am Vorgänger hätte freilich auch das Amt und seine eigene Position in Mitleidenschaft gezogen. Seine mangelnde Entscheidungsfreude wird man nicht der Präsenz seines Vorgängers anlasten können. Doch Franziskus wird die Frage, welche Posi
tion in der kirchlichen Hierarchie ein emeritierter Papst einnehmen soll, beantworten müssen. Möglicherweise gleich bei sich selbst.
Im Rückblick werden die seltsamen zehn Jahre des emeritierten Papsts dennoch kirchenhistorisch als eine Wendezeit erscheinen. Mit Ausnahme der strikten Einschränkung von Messfeiern im vorkonziliaren tridentinischen Ritus, was eine Einhegung der traditionalistischen Bewegungen schwerer machen wird, hat Franziskus keine Entscheidung Benedikts rückgängig gemacht. Er hat aber die theologisch-disziplinäre Klarheit durch einen Stil der Ambiguität ersetzt.
Glaube und Vernunft
Benedikt XVI. habe die politische Dimension seine Amts nicht verstanden, lautet ein Urteil über ihn. Als Beispiel wird gern seine Vorlesung über Glaube und Vernunft während eines Deutschland-Besuchs genannt, bei der er ein sehr plakatives Wort eines byzantinischen Kaisers über den Islam zitiert hat. Daraufhin brach in der islamischen Welt ein inszenierter Aufruhr aus. Sein Satz wurde als Provokation aufgefasst. Die Affäre, die sogar Christen in Afrika das Leben gekostet hat, ist aber eher ein Zeugnis für die hysterische Irrationalität in Teilen des Islam.
Benedikt war kein politischer Großakteur, der wie sein Vorgänger den Gang der Weltgeschichte mitbestimmte. Aber seine Reden vor der UNO oder dem deutschen Bundestag hatten eine politische Seite, wenn er nachdenklich-überzeugend die Geschichtsvergessenheit Europas und des Westens beklagte. Dass er sich ausgerechnet in Großbritannien mit dessen notorischem anti-römischen Affekt hohen Respekt verschaffte, zeigte auch jemanden, der auf der Höhe der Zeit steht. Seine Enzyklika „Caritas in veritate“ist einer der wenigen Neuansätze für die katholische Soziallehre aus den vergangenen Jahrzehnten, gegen die sich die Enzykliken seines Nachfolgers intellektuell bescheiden ausnehmen. Die katholische Soziallehre muss mehr sein als eine modische Kapitalismuskritik, wie sie etwa bei der ORF-Übertragung des Begräbnisses wieder aufgewärmt wurde.
Manche nehmen den Rücktritt vom Amt als Eingeständnis, dass Joseph Ratzinger als Papst gescheitert ist. Wer das sagt, müsste erklären, an welchen Maßstäben er das misst. Im Rückblick stellen sich die beiden zusammen 35 Jahre langen Amtszeiten von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. als eine Ära mit unterschiedlichen Akzentsetzungen dar. Der Erste hat eine selbstbewusste Kirche gezeigt, die auf die Welt zugeht und sich nicht scheut, ihre geistige und moralische Kraft für ein politisches Ziel einzusetzen. Der Zweite hat mit Geduld und außerordentlicher intellektueller Kraft an die Tiefe des Glaubens der Kirche erinnert, damit sie sich in den Banalisierungen der Moderne nicht selbst verliert. Auf dieser Selbstvergewisserung konnte sein Nachfolger aufbauen.
In einer frei auf Italienisch gehaltenen Rede hat sich Benedikt 2013 vom Klerus in Rom verabschiedet. Man kann diese persönlichen Worte auch als eine Art Vermächtnis lesen. Er erzählte vom Konzil, an dem er als wichtiger Berater beteiligt war. Nach (damals) 50 Jahren sei es an der Zeit, dass das „virtuelle Konzil“der Medien verschwinde und das „wahre Konzil“zum Vorschein komme, sagte er. Nicht ein vager „Geist des Konzils“solle gesucht, sondern die konkreten Texte, um die erbittert gerungen worden ist, müssten wieder entdeckt sein. Diese „relecture“der Konzilstexte könnte auch helfen, die Maßstäbe für Reformen zu finden, die nicht bloße Anpassungen an den Zeitgeist sind.
Selbst jetzt bei seinem Tod hat Benedikt XVI. viel Missgunst erfahren, auch in Österreich. Nicht so in Deutschland, wo die Politik die Größe des Verstorbenen anerkannt und begriffen hat, was sein Land und die Kirche an ihm gehabt hat: Ratzinger habe „den reichen Schatz der katholischen Kirche mit Vernunft und Seele an die Gläubigen weitergetragen. Das wird die Erinnerung an ihn prägen“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, ein Sozialdemokrat.
„Santo subito“– sofort heiligsprechen, riefen die Menschen auf dem Petersplatz nach dem Tod von Johannes Paul II. „Santo subito“, sagte jetzt ein untergeordneter Mitarbeiter im Vatikan leise, aber bestimmt und irgendwie melancholisch über Benedikt XVI., wohl wissend, dass niemand außer ihm und ein paar Unverdrossenen diesen Ruf erhebt. Dagegen, dass er womöglich nicht noch lauter wird, hat der deutsche Kardinal Walter Kasper vor einer Heiligsprechung seines theologischen Rivalen, der ihn an Rang und Einfluss übertroffen hat, vorgebaut. Dennoch ist es nicht ausgeschlossen und es würde irgendwie zum erratischen Charakter des gegenwärtigen Amtsinhabers passen, auch Benedikt heiligzusprechen, wie es zuletzt für die Vorgänger üblich geworden ist. Es wäre mehr als eine Art posthumer Höflichkeit.