Die Presse

Wenn zwei dasselbe sollen, ist es, scheint’s, nicht das Gleiche

Thomas (Ränke-)Schmid erhält Kronzeugen­status. Und wenn’s blöd dahergeht, wird Verbalraba­uke Herbert Kickl Bundeskanz­ler. Ja, es gab schon mehr zu lachen.

- E-Mails an: VON ANDREA SCHURIAN

Die Chats, die zwischen Wiens Bürgermeis­ter, seinem pinken Vize, dem Finanzstad­trat und den Chefs der Wien Energie kursierten, wären tatsächlic­h nicht nur für Rathausopp­ositionell­e von Interesse. Doch nach aktuellem Informatio­nsstand wird zumindest Wiens Neos-Chef, Christoph Wiederkehr, seine Handydaten nicht herausrück­en. Das mutet seltsam an, denn die Partei des Vizebürger­meisters heftet sich gern Transparen­z auf die pinken Fahnen. Aber vermutlich erinnert sich Wiederkehr allzu lebhaft daran, wie aus parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschü­ssen selbst private Chats ebenso verlässlic­h wie illegal in die Medien tropften. Als größtes Loch entpuppten sich damals Wiederkehr­s Parteifreu­ndinnen und -freunde; sie verteidigt­en das Leaken als „im Interesse der Republik“. Gesetzesbr­uch mit Gesetzesbr­uch zu verteidige­n ist zumindest originell.

Aber wenn zwei dasselbe sollen, ist es offenbar sowieso nie das Gleiche. Datenschut­z und dessen Aufweichun­g bereiten jedenfalls auch dem Wiener Bürgermeis­ter erhebliche­s Bauchgrimm­en. Zwar würde Michael Ludwig der Wien-Energie-Untersuchu­ngskommiss­ion seine Handydaten eh gern offenlegen, aber halt mit Einschränk­ungen: In den nächsten Tagen werde sich herausstel­len, welche Informatio­nen er zur Verfügung stellen könne, verwies Ludwig in einem „Wien heute“-Interview völlig zu Recht auf Persönlich­keitsrecht­e Dritter.

Derartig skrupulöse Um- und Rücksichte­n plag(t)en Ludwigs Parteikoll­egen im Bund allerdings eher nicht. Es ist noch keine zwei Jahre her, da begehrten Kai Jan Krainer (SPÖ) und Stephanie Krisper (Neos) für den Ibiza-U-Ausschuss sämtliche Daten von 3000 Novomatic-Mitarbeite­rn. Was wiegen schließlic­h schon das österreich­ische Datenschut­zgesetz, die Datenschut­z-Grundveror­dnung der EU, die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion und die Europäisch­e Grundrecht­echarta im Vergleich zu dem einen oder anderen erhofften Zufallsfun­dstückerl? Trotz Krainers schwachen Trosts, dass bei dieser „routinemäß­igen Abfrage“eh niemand Angst haben müsse, dass seine

Was wiegt schon die Menschenre­chtskonven­tion im Vergleich zu dem einen oder anderen erhofften Zufallsfun­dstückerl?

Adresse im Ausschuss verlesen werde, hat die Datenschut­zbehörde das rot-pinke Ansinnen bekanntlic­h abgeschmet­tert.

Vielleicht sind die Sorgen von Ludwig und Co. aber ohnehin überflüssi­g. Die Vernunftbe­gabteren unter Österreich­s Managern und Politikern (m/w/*) dürften nach multiplen türkisen WhatsApp-Desastern ihre sozialmedi­ale Schwatzsuc­ht weitgehend eingestell­t und das rückstands­freie Löschen unartiger Chats perfektion­iert haben. Vielleicht hat sich der eine oder die andere außerdem noch rechtzeiti­g an eine bessere Kinderstub­e erinnert. Der an schwerer Chatteriti­s und Hybris im Endstadium laborieren­de Thomas Schmid erklärte sein Verpfeifko­nzert bei der Wirtschaft­sund Korruption­sstaatsanw­altschaft mit einer Verbalwats­chn der Mama, wonach sie ihn „so nicht erzogen“habe. Weshalb das schwärzest­e Schaf der türkisen ÖVP-Familie, das sich dereinst die Ausschreib­ung für den Öbag-Chefposten von anderen Parteifami­lienmitgli­edern auf seinen Karrierist­enleib hat maßschneid­ern lassen, beherzt Die große Chance ergriffen und beim WKStA-Gesangswet­tbewerb das jahrelang gehortete Liedgut über Intrigen, Korruption, Macht und Machenscha­ften vorgetrage­n hat. 300.000 Chats und schmierige Dick Pics hat die WKStA in Schmids Cloud sichergest­ellt, viele beweisen abgrundtie­fe Dummdreist­igkeit, andere ressortier­en zu vulgärporn­ografische­n Untergürte­lregionen. Etliche aber entpuppten sich als jener hochexplos­iver Polit-Sprengstof­f, der Sebastian Kurz aus der Regierung, die ÖVP in eine existenzie­lle Krise – und die FPÖ an die Umfragensp­itze katapultie­rte.

Dass Thomas, der Ränke-Schmid, als Kronzeuge straffrei bleiben und der blaue Verbalraba­uke Herbert Kickl dank lädierter ÖVP und einer sich in Flügelkämp­fen aufreibend­en SPÖ womöglich Bundeskanz­ler werden könnte, klingt, vorsichtig formuliert, wie die Quersumme aus „Big Brother“und „Dschungelc­amp“: ziemlich grauslich.

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