Macron wagt Machtprobe mit Linken
Die Regierung legt den Entwurf für die höchst umstrittene Pensionsreform vor. Das Rentenalter soll demnach auf 64 Jahre erhöht werden. Prompt wurden Proteste angekündigt.
Nach 2030 können die Franzosen und Französinnen erst ab 64 Jahren, statt wie heute mit 62, mit einer Vollrente pensioniert werden. Zudem müssen sie 43 Jahre gearbeitet haben. Damit soll das System der Altersvorsorge langfristig gesichert werden – so sieht es der Entwurf für eine Pensionsreform vor, die höchst umstritten ist.
Dass das Pensionsalter zur Finanzierung des staatlichen System der Altersvorsorge erhöht werden muss, ähnlich wie in anderen Ländern, stand für die Regierung und für die oppositionelle konservative Partei Les Républicains (LR) außer Frage. Entgegengesetzter Meinung waren die Gewerkschaften und die politische Linke, die diese Reform als finanziell unnötig und sozial ungerecht ablehnen. Die anstehende Parlamentsdebatte drohte sehr lebhaft zu werden. Zudem wurden schon im Vorfeld Proteste angekündigt. Zum ersten Mal sind die rivalisierenden Gewerkschaftsverbände im Widerstand geeint.
Bis zuletzt hatte die Regierung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron versucht, die Gegner der Reform von der Notwendigkeit und vom Sinn der Reform zu überzeugen. Für die linken Oppositionsparteien gab es da nichts zu diskutieren; die Vorlage ermöglichte es, im Parlament und auf der Straße eine Aktionseinheit zu schaffen, die in den vergangenen Wochen wegen Meinungsverschiedenheiten immer mehr Brüche aufgewiesen hatte.
Forderung der Konservativen
Mehr Erfolg hatte Premierministerin Elisabeth Borne im Auftrag von Präsident Macron bei den Konservativen. Das war eigentlich zu erwarten, denn mit welcher Glaubwürdigkeit hätten die LR-Abgeordneten einen Vorschlag ablehnen können, der genau die Punkte enthält, die seit Jahren zum Programm ihrer Partei gehören? Schon Präsidentschaftskandidaten wie François Fillon 2012 oder erneut
2022 Valérie Pécresse waren für die Erhöhung des Pensionsalters auf 65 Jahre sowie eine längere Beitragsdauer eingetreten.
In den Verhandlungen mit der Regierung hatten die LR-Vertreter zuerst aber eine andere, schrittweise Lösung angeregt: Bis zum Ende von Macrons Mandat 2027 solle das gesetzliche Pensionsalter zunächst auf 63 Jahre angehoben und dann geprüft werden, ob weitergegangen werden müsse. Dabei entstand der Eindruck, dass LR um ein soziales Image bemüht war und in der Öffentlichkeit besser dastehen wollte als die Regierungsparteien, die den Pensionsantritt zum Teil auch mit 65 Jahren festschreiben wollten.
Scharfe Kritik an den Plänen
Verständlich ist das Zögern, weil Macrons Reform den Umfragen zufolge – gelinde gesagt – nicht gerade populär ist. Laut einer vom Fernsehsender BFMTV veröffentlichten
Befragung des Instituts Ipsos sprechen sich 79 Prozent gegen die geplante Erhöhung des Pensionsalters aus. Laut einer anderen Umfrage von Odoxa für das Wirtschaftsmagazin Challenge sind sogar 83 Prozent gegen den Ruhestand mit erst 65 Jahren. Kein Gehör findet in der Debatte das Argument, dass inzwischen ja in zahlreichen europäischen Ländern bereits eine Altersgrenze von 67 beschlossen wurde und dass auch in Frankreich die Lebenserwartung gestiegen ist.
Heilige Kuh der Sozialpolitik
In Frankreich ist das Rentenalter aber eine heilige Kuh in der Sozialpolitik. Seitdem der sozialistische Präsident François Mitterrand 1982 im Rahmen diverser Sozialreformen die Pensionierung mit 60 Jahren nach 37,5 Jahren Versicherungsdauer eingeführt hatte, galt dies den Gewerkschaften immer als „Errungenschaft“, an der nicht
gerüttelt werden durfte. Nachdem rechte Regierungen mit Anläufen zu einer Reform mehrfach gescheitert waren, mussten die Sozialisten unter François Hollande zur Sicherung der langfristigen Finanzierung bis 2035 gestuft eine längere Lebensarbeitszeit als Bedingung für eine Vollrente beschließen.
Dank der Hilfe durch die Konservativen kann Borne nun hoffen, dass die Reform im Parlament durchkommt. Den Entwurf wollte die Premierministerin noch am Dienstag präsentieren. Als soziale Abfederung der bitteren Pille für die Gewerkschaften soll die Vorlage neu eine Mindestvollrente von 1200 Euro pro Monat garantieren und Arbeitnehmern in sehr ermüdenden Berufen (wie den Schwerarbeitern) eine frühere Pensionierung ermöglichen. Die Details dazu waren aber noch in Diskussion und dürften ab 6. Februar im Parlament Gegenstand von zahlreichen Änderungsanträgen sein.