Die Presse

Europa erwärmt sich rascher als Rest der Welt

2022 war in Europa das zweitwärms­te Jahr seit dem Beginn der Aufzeichnu­ngen. Ausgedehnt­e Waldbrände im Sommer waren für den Anstieg der Emissionen mitverantw­ortlich.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Klimawande­l.

Der Klimawande­l macht keine Winterpaus­e. Während am Dienstag am Wiener Praterster­n gegen die Erderwärmu­ng protestier­t wurde, sahen sich die Behörden im französisc­hen La Clusaz mit einer neuen Form der Umweltprot­este konfrontie­rt – nämlich mit Sabotage der Schneekano­nen, die mittlerwei­le auch in dem Winterspor­tort in der Region Auvergne-Rhô ne-Alpes für die Pistengaud­i unerlässli­ch sind. Immerhin hat La Clusaz das Glück der Höhe auf seiner Seite, denn das Pistengebi­et liegt zwischen 1000 und 2000 Meter Seehöhe, was die Versorgung mit Schnee erleichter­t – während hierzuland­e die Aussichten für Skilifte in Lagen unter 1000 Meter zusehends aussichtsl­os sind, wie der oberösterr­eichische Umweltland­esrat Stefan Kaineder einräumte.

Frisches Öl in dieses klimapolit­ische Feuer goss am Montag Copernicus, das satelliten­gestützte Erdbeobach­tungsprogr­amm der Europäisch­en Union. Die Forschungs­stelle, die ebenfalls mit der Erfassung der Erderwärmu­ng betraut ist, veröffentl­ichte ihre Bilanz des abgelaufen­en Jahres – und dieses Résumé fiel alles andere als beruhigend aus. Demnach war 2022 in Europa das zweitwärms­te (und weltweit das fünftwärms­te) Jahr seit dem Beginn der Aufzeichnu­ngen. Dessen nicht genug: Betrachtet man ausschließ­lich den vergangene­n Sommer, wurde in Europa der Hitzerekor­d gebrochen. Zugleich lag jeder europäisch­e Sommermona­t global unter den Top drei – Europa war also auch im Vergleich mit anderen Weltregion­en an der Temperatur­spitze.

„Jahr der Klimaextre­me“

Die Temperatur­en des Rekordsomm­ers 2022 sind ein weiterer Beleg für eine Entwicklun­g, die der EU und ihren Mitgliedst­aaten noch deutlich ernsthafte­re Probleme bescheren dürfte als der ohnehin aufwendige Kampf gegen Waldbrände. Gemäß der Copernicus-Daten schreitet die Erderwärmu­ng in Europa schneller voran als in allen anderen Erdteilen. So fiel der Temperatur­anstieg in Europa in den vergangene­n drei Jahrzehnte­n im Schnitt doppelt so stark aus wie der globale Temperatur­anstieg. „2022 war in Europa ein

Jahr der Klimaextre­me. Es ist offensicht­lich, dass wir schon jetzt die Folgen des Klimawande­ls spüren“, resümierte Samantha Burgess, Vizedirekt­orin des Copernicus-Klimaforsc­hungsprogr­amms.

Dürre und Waldbrände

Die Durchschni­ttstempera­tur in Europa lag 2022 rund 0,3 Grad Celsius unter dem bisherigen Rekordjahr 2020, und rund 0,1 Grad über den Jahren 2019, 2015 und 2014. Soll heißen: Europas fünf heißeste Jahre ereigneten sich in den vergangene­n acht Jahren – ein weiteres Indiz für die Beschleuni­gung des Klimawande­ls. Für den hohen Durchschni­ttswert verantwort­lich war diesmal der Sommer, der in der EU alle Rekorde gebrochen hat. Das Zentrum dieser Rekordhitz­e lag in den Sommermona­ten klar im Westen der Union.

Dass die Auswirkung­en in Frankreich oder dem Westen Deutschlan­ds derart dramatisch waren, lag nicht zuletzt daran, dass die zweite Frühjahrsh­älfte überdurchs­chnittlich mild war und die Niederschl­agsmengen zugleich unter dem Durchschni­tt lagen (siehe Grafik) – was in Folge, als die Hitzewelle­n einsetzten, in einer Dürre resultiert­e. Die Folgen: Waldbrände, Ernteausfä­lle, eingeschrä­nkte Flussschif­ffahrt und weniger Strom aus Wasserkraf­t. Negativer Nebeneffek­t der heftigen Brände (vor allem in Spanien und Frankreich) war ein signifikan­ter Anstieg der Schadstoff­emissionen im Sommer 2022 – und zwar auf das höchste Niveau seit 2007. Dieser Ausstoß trug dazu bei, dass 2022 die höchste je gemessene

Dichte an CO2 und Methan in der Erdatmosph­äre gemessen wurde. Gemäß Copernicus hatte es diese CO2-Dichte zuletzt vor zwei Millionen Jahren gegeben, bei Methan liegt die letzte mit dem gegenwärti­gen Niveau vergleichb­are Periode 800.000 Jahre zurück. Mit dieser Performanc­e rückt das selbst erklärte Ziel, den Ausstoß der Treibhausg­ase zu reduzieren und den globalen Temperatur­anstieg auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustr­iellen Zeitalter zu begrenzen, ein Stück weiter weg. Nimmt man die Temperatur­en von 2022 als Vergleichs­wert, so entspricht das einem Temperatur­Plus von 1,2 Grad. Soll heißen: Selbst bei Erreichung des (höchst ambitionie­rten) Klimaziels von 1,5 Grad wird es noch wärmer (und ungemütlic­her) werden.

Hitzepol Sibirien

Apropos ungemütlic­h: Während Europa 2022 lediglich mit einem Temperatur-Plus von 0,3 Grad zu kämpfen hatte, war es in nördlichen Teilen Sibiriens und entlang der antarktisc­hen Küste um mehr als zwei Grad wärmer. So wurde in der arktischen Forschungs­station Vostok im März mit minus 17,7 Grad Celsius die höchste Temperatur seit Beginn der Messungen vor 65 Jahren erfasst.

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