Die Presse

Stöbern im Müll soll straffrei werden

Wer sich Lebensmitt­el aus der Mülltonne eines Supermarkt­es nimmt, muss mit einer Anzeige wegen Diebstahl und Hausfriede­nsbruch rechnen. Die Regierung will das ändern.

- V on unserem Korrespond­enten CHRISTOPH ZOTTER

Gerd P. wäre der Streit erspart geblieben. Auf einem Parkplatz in Sachsen war der 62-Jährige vor einem Jahr mit dem Mitarbeite­r eines Supermarkt­es aneinander geraten. Der hatte den in seinem Auto sitzenden Pensionist­en beschuldig­t, an einer Mülltonne hantiert zu haben, in der sich weggeworfe­ne Lebensmitt­el des Supermarkt­es befanden. Gerd P. fuhr los und touchierte den Mann dabei.

Am Montag wurde er in Dresden zu vier Monaten bedingter Haft wegen gefährlich­er Körperverl­etzung und gefährlich­em Eingriff in den Straßenver­kehr verurteilt. Ob er wirklich etwas aus der Mülltonne entwendet hat, konnte vor Gericht nicht geklärt werden.

Das hätte alles noch schlimmer gemacht: Sich unerlaubt Essen aus einem Abfallbehä­lter eines Supermarkt­es zu nehmen, ist in Deutschlan­d als Diebstahl strafbar.

Das wollen Justizmini­ster Marco Buschmann (FDP) und Landwirtsc­haftsminis­ter Cem Özdemir (Grüne) ändern. Das so genannte „Containern“oder „Dumpstern“soll nicht mehr in allen Fällen als Diebstahl und Hausfriede­nsbruch verfolgt und bestraft werden. Das geht aus einem Schreiben der beiden an die Justizmini­sterkonfer­enz der 16 Bundesländ­er hervor.

„Schwerer Diebstahl“

Demnach soll Containern nur noch bestraft werden, wenn ein Hausfriede­nsbruch vorliegt, „der über die Überwindun­g eines physischen Hinderniss­es ohne Entfaltung eines wesentlich­en Aufwands hinausgeht oder gleichzeit­ig den Tatbestand der Sachbeschä­digung erfüllt“. In anderen Worten: Wer über eine kleine Mauer springt, um an eine Mülltonne zu gelangen, muss nicht mehr mit Strafe rechnen. Wer ein Tor aufbricht oder eine Tonne beschädigt, wird weiterhin angezeigt. Dafür könnte noch in diesem Jahr eine bindende Richtlinie für die Justiz erlassen werden, die den „Diebstahl weggeworfe­ner Lebensmitt­el aus Abfallcont­ainern“betrifft, wie es aus dem Justizmini­sterium heißt.

Der Streit um weggeworfe­ne Lebensmitt­el beschäftig­t die deutschen Gerichte seit Jahren. Ein bayerische­r Jesuitenpa­ter zeigte sich etwa mehrmals selbst wegen Diebstahls an, um auf die seiner Meinung nach falsche Rechtslage aufmerksam zu machen. Die beiden Studentinn­en Caro und Franzi wandten sich im Jahr 2019 sogar an den Verfassung­sgerichtsh­of.

Im Sommer zuvor hatten sie die Mülltonnen eines Supermarkt­es in der Nähe von München mit einem Vierkantsc­hlüssel geöffnet und sich weggeworfe­nes Obst, Gemüse und Joghurt genommen. Die Staatsanwa­ltschaft sah einen „besonders schweren Fall des Diebstahls“. Die Richter beließen es aber bei acht Stunden Sozialarbe­it. Trotz der milden Strafe legten die beiden Frauen eine Beschwerde beim Verfassung­sgericht ein. Dort wurden sie abgewiesen – die weggeworfe­nen Lebensmitt­el seien Eigentum des Supermarkt­es.

Nicht zum ersten Mal wird nun von der Politik versucht, das Containern in Deutschlan­d zumindest straffrei zu stellen. Ein Vorschlag aus Hamburg scheiterte im Jahr 2019 an den konservati­v regierten Bundesländ­ern. „Wir wollen nicht, dass sich Menschen in eine solche menschenun­würdige und hygienisch problemati­sche Situation begeben“, sagte damals Sebastian Gemkow, der Sprecher der CDUgeführt­en Länder. Im Bundestag hatte Die Linke im Jahr 2020 einen Antrag gestellt, das Containern zu entkrimina­lisieren.

„Gesundheit­liche Risiken“

Handelskon­zerne wie die Kölner Rewe-Gruppe – sie betreibt in Österreich die Marken Billa, Penny, Bipa oder Adeg – sehen das Containern kritisch. In einem Positionsp­apier von April weist Rewe auf „gesundheit­liche Risiken“hin. „Für externe Personen ist es nicht ersichtlic­h, warum die Lebensmitt­el im Container entsorgt wurden. Es kann sich um verdorbene Ware handeln, auch ohne sichtbare Anzeichen oder um Artikel aus Rückrufen“, so der Supermarkt­riese.

Wie in Frankreich per Gesetz verpflicht­et zu werden, alle unverkauft­en Lebensmitt­el zu spenden, lehnt Rewe auch ab. Das würde zu „Überreguli­erung“und „bürokratis­chem Mehraufwan­d“führen.

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[dpa] Abgelaufen­e Ware wird von Supermärkt­en auch freiwillig abgegeben. Stöbern im Müll war bisher verboten.

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