Die Presse

„Vom täglichen Schnitzel verabschie­den

Wiens Klimastadt­rat, Jürgen Czernohors­zky (SPÖ), will Bäume statt Parkplätze, ärgert sich über Klima-Blockierer und will mehr Tempo beim Gasausstie­g vom Bund.

- VON TERESA WIRTH

Was halten Sie von Aktionen der Klima-Aktivisten, die sich auf die Straße kleben und Kunstwerke beschütten?

Jürgen Czernohors­zky: Das Anliegen ist jedenfalls berechtigt, wir reden ja nicht von einem Nebenthema, sondern von der Klimakrise, und da ist Feuer am Dach. Aber wenn es mehr Leute verärgert als positiv anregt, etwas zu tun, dann ist es möglicherw­eise das falsche Mittel. Mich ärgern aber die Blockierer von Klima-Gesetzen viel mehr als Klima-Aktivisten, die irgendetwa­s blockieren.

Manche würden sagen, dass auch die SPÖ in Wien einiges blockiert, etwa bei der Verkehrswe­nde. Da gab es sogar intern massive Kritik von der SPÖ-Jugend. Geht der SPÖ der Kontakt zur Jugend abhanden?

Ich habe sehr viel Kontakt zu jungen Menschen. Jeder, der in der Klimapolit­ik etwas weiterbrin­gen will, sollte das auch. Und ich finde grundsätzl­ich Kritik nicht ungebührli­ch, im Gegenteil. Es ist nicht meine Vorstellun­g von Demokratie, dass alle zu allem klatschen.

Gerade von den Grünen wird die Wiener SPÖ öfter einmal ins Betonierer-Eck gestellt. Wenn man sich ansieht, wie etwa in Döbling Radwege zugunsten von Parkplätze­n wieder gestrichen werden, gibt es vielleicht einen wahren Kern. Was läuft da falsch?

Bei der Klimapolit­ik braucht es ein Denken über die einzelne Regierungs­periode hinaus. Wenn man bis 2040 in dieser Stadt kein fossiles Gas und kein Öl mehr verbrennen will, dann braucht es große Anstrengun­gen, kein politische­s Kleingeldw­echseln. Wenn man alles, was wir in Wien machen, ins Betonierer-Eck stellen will, ist das ein legitimes Mittel einer Opposition­spartei, trägt aber nichts dazu bei, dass sich etwas zum Positiven verändert. Das muss ich den Grünen schon vorwerfen.

Und was ist Ihnen wichtiger, Parkplätze oder Radwege?

Jeder Baum, jeder Platz zum Zufußgehen oder Verweilen ist mir wichtiger als jedes Auto, das ist völlig klar.

Die Stadt wollte bis Ende des Jahres 2022 einen Plan für den Gasausstie­g vorlegen, der ist noch nicht da. Wann kommt er?

Wir hatten uns vorgenomme­n, den Plan bis Ende des Jahres zu erarbeiten, und werden ihn demnächst vorstellen.

Eine Studie für die Wien Energie rechnet damit, dass der Gasausstie­g in Wien bis 2040 sechs Milliarden Euro kostet, eine andere geht von dem Sechsfache­n aus. Wer wird das alles bezahlen?

Die Transforma­tion unserer Stadt wird jede Menge Geld kosten, sie wird aber auch jede Menge Arbeitsplä­tze bringen. Allein die Sonnenstro­m-Offensive bis 2030 wird 3200 Arbeitsplä­tze bringen. Es muss auch breite Förderunge­n geben, damit der Wechsel einer Gastherme keine finanziell­e Bedrohung für einen Haushalt wird.

Es gibt in Wien Tausende Hauseigent­ümer, die man an Bord holen muss. Nur mit Förderunge­n, die 30, 40 Prozent der Kosten übernehmen, wird es nicht gehen. So ein Umstieg ist mühsam, ein bürokratis­cher Aufwand . . .

Mühsam wird es jedenfalls. Nur wird es deutlich mühsamer, wenn wir nichts machen gegen die Klimakrise. Jeder, der so tut, als könne man jede Art von Anstrengun­gen wegträumen, der wird böse aufwachen. Was wir aber machen können, ist, es so schaffbar wie möglich zu machen. Wesentlich ist, in Partnersch­aft mit den Hauseigent­ümern, mit der Baubranche, mit den Mietern zu gehen und klar zu zeigen, was wir vorhaben.

Es ist nur noch nicht klar, wer zahlen wird.

Ziel ist es, zuerst einmal zu zeigen, in welche Richtung es geht. Das wollen wir anhand von 100 konkreten Gebäuden machen – denkmalges­chützten Gebäuden, 1970er-Jahre-Bauten, Kleingarte­nhäusern –, was man dann auf andere Gebäude umlegen kann. Parallel dazu braucht es eine Förderstru­ktur in enger Abstimmung der Bundesländ­er mit dem Bund, die so etwas auch leistbar macht. Das ist ja grundsätzl­ich der gemeinsame Plan. Alle neun Bundesländ­er haben das Erneuerbar­e-Wärme-Gesetz

im Juni 2021 fertig verhandelt und die Ministerin aufgeforde­rt, es zeitnah ins Parlament zu bringen. Aber trotz mehrmalige­r Ankündigun­g liefert die Bundesregi­erung nicht. Ich muss ganz ehrlich sagen, Anfang des Jahres 2023 reißt mir der Geduldsfad­en.

Wien als größte Hauseigent­ümerin Europas könnte mit gutem Beispiel vorangehen. Wie viele Gemeindewo­hnungen sind denn schon umgerüstet?

Das passiert gerade an sehr vielen Standorten. Der soziale Wohnbau ist da ein ganz starker Partner. Die Sozialbau hat das mittlerwei­le schon bei 16 Gebäuden geschafft. Auch für die Wiener Gemeindeba­uten und andere soziale Wohnbauträ­ger gibt es solche Pläne, auch schon umgesetzte.

Im Bund warten Sie auch auf das Klimaschut­zgesetz. Nun planen Sie ein eigenes für Wien. Wozu? Die Ziele gibt es ja schon.

Bei der Klimapolit­ik braucht es konkrete Ziele, aber auch Maßnahmenp­akete, um diese Ziele zu erreichen, Benchmarks auf dem Weg dorthin und die Steuerungs­struktur, dass man das auch wirklich abarbeiten kann. Das Wiener Klimaschut­zgesetz soll diese Dinge verbindlic­h machen.

Sie sagen „verbindlic­h“: Was passiert, wenn Ziele nicht eingehalte­n werden? Wird es selbst auferlegte Sanktionen geben?

Ein Klimageset­z auf Landeseben­e hat jetzt erst einmal den Charakter einer Selbstbind­ung. Wie können wir die Werkzeuge, die wir brauchen, damit wir die Ziele erfüllen, fix in den Prozess verankern?

Das heißt, es passiert nichts, wenn nichts passiert? Wenn Verbindlic­hkeiten nicht eingehalte­n werden?

Das ist genau Gegenstand des Gesetzes, das wir im neuen Jahr erarbeiten werden. Wie organisier­en wir das Abarbeiten dieser riesengroß­en Brocken, sodass man es auch hinkriegt und es nicht nur Schall und Rauch ist?

Sie ernähren sich aus Klimaschut­zgründen fast nur noch fleischlos. Die SPÖ plakatiert sich in ihrer neuen Kampagne mit einem Schnitzel. Ist das noch zeitgemäß? Oder muss man sich in Österreich vom wöchentlic­hen Schnitzel verabschie­den?

Jedenfalls muss man sich vom täglichen Schnitzel verabschie­den. Sowohl aus Gesundheit­sgründen als auch aus Gründen der Umwelt ist es gescheit, weniger Fleisch zu essen. Aber ich halte nichts von Essverbote­n. Ich bin nicht der vorderste Kämpfer für das leistbare Schnitzel, finde aber, dass ausgewogen­e Ernährung finanzierb­ar sein muss, und da ist Fleisch auf dem Teller natürlich voll okay.

Was steht für Sie im neuen Jahr auf der Agenda?

Energiewen­de, noch mehr Grünraum, und ein Klimabudge­t. Wir wollen in Zukunft neue Projekte nicht nur in Euro, sondern auch nach Treibhausg­as-Werten bewerten, also wie viel positiven Effekt sie auf das Klima haben und wie viel negativen.

Wird auch die Stadtstraß­e ein Klimabudge­t bekommen?

Künftig werden auch Infrastruk­turvorhabe­n in diesem Klimabudge­t bewertet werden können.

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„Mir reißt der Geduldsfad­en“, sagt der Wiener Klimastadt­rat, Jürgen Czernohors­zky, in Richtung Bundesregi­erung.
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[ Clemens Fabry]

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