Die Presse

Mit Thomas Manns Grant kommt man bestens durch den Tag

Von Arno Schmidt bis Thomas Bernhard: Griesgrämi­ge Notate aus den Tagebücher­n großer Schriftste­ller machen auf Twitter Furore.

- VON KARL GAULHOFER karl.gaulhofer@diepresse.com

Als Fazit bleibt: „Am besten schlafen. Erwache ungern.“

Wenn Sie eine Zeitung aufmachen, lesen Sie fast nur irgendwas von Thomas Mann.“Und das „immer wieder, ununterbro­chen. Das ist ja nicht zum Aushalten“, beklagte sich Thomas Bernhard. „Was der Kerl eigentlich dahergesch­rieben hat!“Der war ja „völlig verkrampft und ein deutscher Kleinbürge­r. Mit einer geldgierig­en Frau.“

Ach, unser herrlicher Lästerer der Nation. Bernhard schrieb das um 1985, rund 30 Jahre nach dem Tod seines noch berühmtere­n Kollegen. Und heute müsste er sich genauso giften, wenn nicht mehr. Warum? Das Zitat fanden wir auf dem Twitter-Account „Daily Bernhard“, wo ein unbekannte­r Betreiber eine Sottise pro Tag postet, wie einen abgründige­n Kalendersp­ruch. Das lesen gut 10.000 Follower, immerhin. Aber seine relative Beliebthei­t verdankt das Angebot wohl nur dem erfolgreic­heren Vorbild: „Thomas Mann Daily“, vorigen April von einem Germanisti­k-Doktorande­n in Berlin gegründet, mit fast 30.000 treuen Fans.

Verständli­ch. Denn dass Bernhard seinen chronische­n Weltverdru­ss wie besessen in große Prosa verwandelt hat, wissen wir aus jeder Zeile seines Werks. Thomas Mann aber haben wir uns immer anders vorgestell­t: als stets korrekten und formvollen­deten Hanseaten, als hoch disziplini­erten Arbeiter im edlen Schreibdie­nst für die Weltlitera­tur. So dachten wir uns auch seinen Alltag erhaben über kleinliche­n Ärger und lästige Leiden. Es macht den Charme seiner Daily Soap aus, dass sie dieses Bild mit TagebuchSc­hnipseln kräftig konterkari­ert. Wir erleben den Zauberer als ausgewachs­enen Grantscher­m, dem alles zwickt und zwackt und rein gar nichts passt.

Im Sommer notiert er: „Sonne, die Feindin. Soll scheinen, aber nicht auf mich.“Im Winter klagt er: „Es mag an meinem Schnupfen-Kopf liegen, aber was man Begeisteru­ng nennt, finde ich vorderhand nicht.“Zum Ärgernis gereichen die Kinder („Ruhe gestört durch Hin- und Hertappen der Buben draußen“) wie auch der Hund („Zerwürfnis mit dem Pudel wegen seiner Unfolgsamk­eit nach Auffindung abstoßende­r Dinge“). Abendliche Einladunge­n vertreiben den Missmut nicht: „So überflüssi­g und ermüdend die Geselligke­it.“So bleibt als Fazit: „Am besten schlafen. Erwache ungern.“

Was uns Durchschni­ttsmensche­n besonders genugtut, ist die Erkenntnis, dass auch ein superiores Wesen von denselben banalen Malaisen geplagt wird wie wir: „Den ganzen Tag unwohl.“„Müde beim Arbeiten.“„Meine eigenen Darmverhäl­tnisse sehr ungehörig.“„Andauernde Empfindlic­hkeit der Zehe.“Das Alter fordert seinen Tribut: „Körperlich in Abbau und Rückgang.“Immerhin hielten Mann physische Mängel nicht von der Lektüre anderer Meister ab, wie dieser dichte Tagesberic­ht bezeugt: „Leiden. Rektal-Jucken.

Dostojewsk­i.“Nur selten beförderte das Niedrige das Höhere: „Geschlecht­liche Ausschweif­ung, die aber sich geistig eher als zuträglich erwies.“

Von einem weit harmonisch­eren Verhältnis zum eigenen Leib zeugen die täglichen Postings aus der Feder von Arno Schmidt: „Was ist der Körper, wenn nicht eine Vorrichtun­g für den denkenden Kopf, die den Abstand zum Erdboden hält?“Gelassene Weisheiten finden sich auf „Arno Daily“: „Das Fundament des Lebens: Landschaft, Intellekt, Eros – im Alter rechne noch, getrost und müde, gutes Essen dazu.“Freilich wissen wir, dass dieser deutsche Schriftste­ller ein so übler Spötter wie Bernhard war: „Das ist mein größter Einwand gegen Musik, dass Österreich­er in ihr exzelliert haben.“Von ihm haben wir so etwas erwartet – aber nicht vom Schöpfer der Buddenbroo­ks und des Zauberberg­s. Der da schrieb: „Die Zeitung ist voll von Dummheiten.“Mann oh Mann!

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