Mit Thomas Manns Grant kommt man bestens durch den Tag
Von Arno Schmidt bis Thomas Bernhard: Griesgrämige Notate aus den Tagebüchern großer Schriftsteller machen auf Twitter Furore.
Als Fazit bleibt: „Am besten schlafen. Erwache ungern.“
Wenn Sie eine Zeitung aufmachen, lesen Sie fast nur irgendwas von Thomas Mann.“Und das „immer wieder, ununterbrochen. Das ist ja nicht zum Aushalten“, beklagte sich Thomas Bernhard. „Was der Kerl eigentlich dahergeschrieben hat!“Der war ja „völlig verkrampft und ein deutscher Kleinbürger. Mit einer geldgierigen Frau.“
Ach, unser herrlicher Lästerer der Nation. Bernhard schrieb das um 1985, rund 30 Jahre nach dem Tod seines noch berühmteren Kollegen. Und heute müsste er sich genauso giften, wenn nicht mehr. Warum? Das Zitat fanden wir auf dem Twitter-Account „Daily Bernhard“, wo ein unbekannter Betreiber eine Sottise pro Tag postet, wie einen abgründigen Kalenderspruch. Das lesen gut 10.000 Follower, immerhin. Aber seine relative Beliebtheit verdankt das Angebot wohl nur dem erfolgreicheren Vorbild: „Thomas Mann Daily“, vorigen April von einem Germanistik-Doktoranden in Berlin gegründet, mit fast 30.000 treuen Fans.
Verständlich. Denn dass Bernhard seinen chronischen Weltverdruss wie besessen in große Prosa verwandelt hat, wissen wir aus jeder Zeile seines Werks. Thomas Mann aber haben wir uns immer anders vorgestellt: als stets korrekten und formvollendeten Hanseaten, als hoch disziplinierten Arbeiter im edlen Schreibdienst für die Weltliteratur. So dachten wir uns auch seinen Alltag erhaben über kleinlichen Ärger und lästige Leiden. Es macht den Charme seiner Daily Soap aus, dass sie dieses Bild mit TagebuchSchnipseln kräftig konterkariert. Wir erleben den Zauberer als ausgewachsenen Grantscherm, dem alles zwickt und zwackt und rein gar nichts passt.
Im Sommer notiert er: „Sonne, die Feindin. Soll scheinen, aber nicht auf mich.“Im Winter klagt er: „Es mag an meinem Schnupfen-Kopf liegen, aber was man Begeisterung nennt, finde ich vorderhand nicht.“Zum Ärgernis gereichen die Kinder („Ruhe gestört durch Hin- und Hertappen der Buben draußen“) wie auch der Hund („Zerwürfnis mit dem Pudel wegen seiner Unfolgsamkeit nach Auffindung abstoßender Dinge“). Abendliche Einladungen vertreiben den Missmut nicht: „So überflüssig und ermüdend die Geselligkeit.“So bleibt als Fazit: „Am besten schlafen. Erwache ungern.“
Was uns Durchschnittsmenschen besonders genugtut, ist die Erkenntnis, dass auch ein superiores Wesen von denselben banalen Malaisen geplagt wird wie wir: „Den ganzen Tag unwohl.“„Müde beim Arbeiten.“„Meine eigenen Darmverhältnisse sehr ungehörig.“„Andauernde Empfindlichkeit der Zehe.“Das Alter fordert seinen Tribut: „Körperlich in Abbau und Rückgang.“Immerhin hielten Mann physische Mängel nicht von der Lektüre anderer Meister ab, wie dieser dichte Tagesbericht bezeugt: „Leiden. Rektal-Jucken.
Dostojewski.“Nur selten beförderte das Niedrige das Höhere: „Geschlechtliche Ausschweifung, die aber sich geistig eher als zuträglich erwies.“
Von einem weit harmonischeren Verhältnis zum eigenen Leib zeugen die täglichen Postings aus der Feder von Arno Schmidt: „Was ist der Körper, wenn nicht eine Vorrichtung für den denkenden Kopf, die den Abstand zum Erdboden hält?“Gelassene Weisheiten finden sich auf „Arno Daily“: „Das Fundament des Lebens: Landschaft, Intellekt, Eros – im Alter rechne noch, getrost und müde, gutes Essen dazu.“Freilich wissen wir, dass dieser deutsche Schriftsteller ein so übler Spötter wie Bernhard war: „Das ist mein größter Einwand gegen Musik, dass Österreicher in ihr exzelliert haben.“Von ihm haben wir so etwas erwartet – aber nicht vom Schöpfer der Buddenbrooks und des Zauberbergs. Der da schrieb: „Die Zeitung ist voll von Dummheiten.“Mann oh Mann!