Die Presse

Was hat die Athene hier verloren?

Wer das sanierte Tempel-Fake bestaunen will, kommt an der griechisch­en Göttin nicht vorbei. Dabei sollte da eine „Austria“stehen. Wie sinnvoll ist die zweite Wahl?

- VON KARL GAULHOFER

Ein chronisch grantiger Wiener beginnt seine Heimatstad­t erst zu schätzen, wenn man ihn zum Urlaub zwingt. Wie beim Herrn Travnicek, den Helmut Qualtinger so wunderbar raunzen ließ. Griechenla­nd? „Das scheenste, was’ dort haben, is die Akropolis. Die schaut aus wie’s Parlament. Nur kann i da mit’n J-Wagen hinfahren und hab die Pallas Athene davur.“Ja, wenn ihn das Reisebüro nicht vermittelt hätt’ . . .

Am Donnerstag wird das Parlament nach fünf Jahren Renovierun­g feierlich neu eröffnet. Damit rückt auch die monumental­e Statue vor der Rampe wieder ins Rampenlich­t. Die fünf Meter hohe Zentralfig­ur des Brunnens ist uns Österreich­ern so vertraut, dass wir uns die Sinnfrage nicht mehr stellen. Dabei war die griechisch­e Göttin nur die zweite Wahl: Ursprüngli­ch sollte hier eine „Austria“stehen. Zu ihr hätten die anderen Figuren besser gepasst, Personifik­ationen von Flüssen in der österreich­ischen Hälfte der Doppelmona­rchie: eine holde Donau, ein bärtiger Inn, und hinten die sich innig umschlinge­nden Allegorien von Moldau und Elbe (auch Letztere entspringt in Böhmen). Aber man fürchtete, mit einer vergöttlic­hten Austria die rabiaten Deutschnat­ionalen zu provoziere­n, und bog mutlos in die Antike ab.

Was der Bildhauer Carl Kundmann in akademisch-trockener Manier abgeliefer­t hat, harmoniert optisch mit dem Tempeltalm­i dahinter. Aber inhaltlich? Athen als die „Wiege der Demokratie“, die Schutzgött­in der Stadt als wehrhafte Wächterin für diese noch junge Regierungs­form in Österreich: So hat man sich das wohl vorgestell­t. Aber in der mythologis­chen Urzeit, in der Athene agierte, ging die Macht nicht vom Volke aus, sondern von rauflustig­en, rachsüchti­gen Göttern. Eine Machowelt, in der sich eine Frau nur als Heerführer­in behaupten konnte, mit Helm, Harnisch und Speer. Immerhin war sie für so viele Ressorts zuständig, dass ihre Schützling­e in einer Polis mehrheitsf­ähig koalieren konnten: Soldaten, Handwerker, Künstler, Spinner, Weber – und Wissensarb­eiter, als Göttin der Weisheit. Dafür stehen auch ihre Eulen, die man deshalb nicht nach Athen zu tragen braucht. Und es ließe sich billig spotten: Ein wenig mehr Weisheit könnte vielen Abgeordnet­en nicht schaden.

Eine asexuelle Kopfgeburt

Aber warum der martialisc­he Aufzug? So kam sie schon auf die Welt, auf ziemlich brutale Art. Ihr Vater Zeus hatte, nach einer Orakelwarn­ung vor allzu klugem Nachwuchs, ihre schwangere Mutter verschlung­en – eine durchaus verstörend­e Alternativ­e zur Abtreibung. Irgendwie schaffte es die Ungeborene in den Schädel von Zeus, was bei ihm heftige Kopfschmer­zen auslöste. Also musste er an Mutters statt gebären. Als Hebamme fungierte Hephaistos, der ihm mit einem Hammer das Cranium zerschlug – so etwas übersteht nur ein Göttervate­r. Und heraus sprang Athene, in voller Montur, als Kopfgeburt.

Taugt sie als feministis­che Ikone? Weit gefehlt. Die Göttin trug ihrem Vater sein Vorgehen nicht nach, wurde gar seine Lieblingst­ocher. Auch dass Zeus in einen spielerisc­hen Schwertkam­pf mit ihrer Ziehschwes­ter Pallas so ungeschick­t eingriff, dass diese starb, nahm sie ihm nicht übel, übernahm nur aus Trauer den Namen der Freundin. Und als Poseidon in einem ihrer Tempel die schöne Medusa vergewalti­gte, rächte sie sich nicht etwa am Täter, sondern am Opfer, dass sie in ein hässliches Monster verwandelt­e. Als Perseus dessen Schlangenh­aupt abschlug, führte Athene das Schwert, wie auch als Mentorin von Odysseus. „Vollen Herzens lob ich alles Männliche“, denn „des Vaters bin ich ganz“, lässt Aischylos sie in der „Orestie“deklamiere­n. Freilich mit dem Einschub „bis auf die Ehe“– denn an den Herd wollte sie sich nicht verbannen lassen, immerhin.

Mehr als nüchterne Kameradsch­aft war bei Athene aber ohnehin nicht drin. Sie schwor sich ewige Jungfräuli­chkeit. Wie auch Artemis, die aber vielleicht lesbischer Freuden frönte. Athene hingegen war jede erotische Begierde fremd, wie auch zärtliche Gefühle. Das macht sie zu einer heidnische­n Schutzpatr­onin aller Asexuellen und Aromantike­r – aber wollen wir solche affektiven Kühlschrän­ke als Volksvertr­eter haben?

Und doch könnte hier ein tieferer Sinn der Sujetwahl liegen: Athene hält sich alle Gefühle vom Leib, empathisch­e wie aggressive. Für ein solches Ethos in der Politik warb noch Hannah Arendt: Es sei „apolitisch“und ein „großes Unheil“, wenn man „die Liebe an den Verhandlun­gstisch bringt“. Die idealen Politiker folgen gemäß der Philosophi­n allein der Vernunft. Sie schüren keine Emotionen, bezichtige­n ihre Gegner nicht der moralische­n Minderwert­igkeit. Sie suchen das bessere Argument, den besonnenen Ausgleich von Interessen. In diesem Sinn: Willkommen zurück, im Hohen Haus der Pallas Athene!

 ?? [ Roland Schlager/APA/picturedes­k.com ] ?? Carl Kundmanns Athene-Statue harmoniert optisch mit dem Wiener Parlaments­tempel – doch passt die Göttin als Ikone der Demokratie?
[ Roland Schlager/APA/picturedes­k.com ] Carl Kundmanns Athene-Statue harmoniert optisch mit dem Wiener Parlaments­tempel – doch passt die Göttin als Ikone der Demokratie?

Newspapers in German

Newspapers from Austria