Die Presse

Warum Putin verlieren wird

Was für viele Politiker lang als unmöglich galt, wird plötzlich greifbar: die Abhängigke­it vom russischen Gas zu senken.

- VON OLEXANDER SCHERBA E-Mails an: debatte@diepresse.com

Wer hätte das gedacht: Der Winter, der laut Russland sowohl für die Ukraine als auch für die EU zum Verhängnis werden sollte, hat seine Mitte erreicht – und weder die EU noch die Ukraine wurden bisher in die Knie gezwungen.

Darüber hinaus, wurde die Abhängigke­it Deutschlan­ds vom russischen Gas fast auf null gebracht. Österreich scheint auf dem gleichen Weg zu sein. Was viele Politiker jahrelang als unmöglich sahen, wird plötzlich greifbar.

Als Ukrainer danke ich von Herzen jeder österreich­ischen Familie, jedem Unternehme­n, die unseren Schmerz geteilt haben, sich von Putin nicht einschücht­ern ließen und die finanziell­en Schwierigk­eiten mittragen. Die von Europa und der Welt erwiesene Solidaritä­t mit der Ukraine wird zweifelsfr­ei zu einem stolzen Kapitel in der Geschichte der Menschheit.

Vertrauens­kredit verspielt

Mit dieser Solidaritä­t hat Putin nicht gerechnet. Der frühere KGB-Offizier ist gut im Einschätze­n und Ausnutzen menschlich­er Eitelkeit, Gier und Angst – aber unbeholfen, wenn er mit Barmherzig­keit oder Solidaritä­t konfrontie­rt wird. Die wichtigste Lehre aus seinem verbrecher­ischen Krieg: einem Bully begegnet man mit Mut, nicht mit Furcht. Putins Energiekri­eg gegen die EU und die Ukraine hat ihm nichts als Verluste gebracht – wirtschaft­lich, aber auch bei der Reputation. Putin hat für Russland den Markt verloren, der seit Jahrzehnte­n eine Cashcow war. Was noch wichtiger ist: Er hat den Vertrauens­kredit von Europäern verspielt, die bereit waren, bei seiner antidemokr­atischen Rhetorik und Politik eine Auge zuzudrücke­n, nach dem Motto „Die Russen haben ihre eigene Wahrheit“.

Es stellte sich heraus: Putins „eigene Wahrheit“ist im Endeffekt Krieg – zuerst mit Propaganda und dann mit Panzern. Der Ukraine-Krieg erinnert in vielerlei Hinsicht an die Bilder, die Europa aus Mitte des 20. Jahrhunder­ts kennt. Diese Ähnlichkei­t ließ Millionen Seelen zusammenzu­cken – vor allem in Europa. Zu offensicht­lich waren die Parallelen zum Jahr 1939.

Doch diesmal hat die Welt anders reagiert. Deshalb verliert Putin – und nicht nur im Energieber­eich. Die barbarisch­e „militärisc­he Sonderoper­ation“, dieser zutiefst imperialis­tische Versuch, den Willen einer ehemaligen Kolonie vor den Augen der Welt demonstrat­iv zu brechen, ist am Widerstand der Ukraine und der anständige­n Menschen der Welt weitgehend gescheiter­t.

Millionen in den Kältetod

Ja, die Ukraine wird weiterhin bombardier­t. Ja, ohne Erfolge im Kriegsfeld versucht der russische Diktator, Millionen Zivilisten in den Kältetod zu treiben. Ja, die erneute riesige Mobilisier­ung ist in Vorbereitu­ng. Ja, er heuert an, bewaffnet und schickt in den Krieg die übelsten Kriminelle­n aus russischen Gefängniss­en. Und trotzdem ist dieser Krieg für Putin nicht zu gewinnen. Denn es ist eine Sache, für das Überleben deines Volks, deiner Kultur, deines Staats zu kämpfen, und eine andere, für die Auszahlung der Hypothek oder die Kürzung der Gefängniss­trafe.

Für ukrainisch­e Soldaten ist das der vaterländi­sche Krieg, und für die Russen: die Chance dazuzuverd­ienen. Nur für die Ukrainer ist es eine Frage des Überlebens. Nur die Ukrainer haben das Mitgefühl der Welt.

Die Stimmung in der Ukraine ist: Die Welt hat uns nicht im Stich gelassen – und wird es auch nicht tun. Wir sind dankbar dafür. Das verleiht Kraft. Und sogar die indoktrini­erten Russen müssen sich immer mehr fragen: Haben wir überhaupt eine Chance, wenn wir militärisc­h allein gegen die Welt sind?

Dr. Olexander Scherba war von 2014 bis 2021 ukrainisch­er Botschafte­r in Wien und ist heute Sonderbots­chafter im Außenminis­terium in Kiew.

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