Die Presse

Frauen leben länger als Männer Auch nicht fair, oder?

Österreich­ische Forscherin­nen kritisiere­n die Männerdomi­nanz in der Wissenscha­ft. Aber nicht alles, was nach Diskrimini­erung aussieht, ist auch eine.

- VON ROSEMARIE SCHWAIGER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Wieder einmal gibt es Anlass, sich um die Frauen zu sorgen: Die Wissenscha­ft interessie­re sich fast ausschließ­lich für Männer, stellt Sonja Sperber von der WU Wien in einem medial viel beachteten Artikel für das „European Management Journal“fest. Es gebe quer durch fast alle Forschungs­gebiete ganz eindeutig einen „GenderData-Gap“.

Bei der Entwicklun­g von Produkten werde hauptsächl­ich, manchmal sogar ausschließ­lich, mit männlichen Probanden gearbeitet, haben Frau Sperber und ihre Co-Autorinnen herausgefu­nden. Das betrifft zum Beispiel Studien über die Wirksamkei­t von Medikament­en, die oft nur mit männlichen Testpatien­ten vonstatten gegangen sind. Auch Crashtest-Dummys, mit denen Autounfäll­e simuliert werden, würden meist männlichen Körpern nachempfun­den. Diese Diskrimini­erung habe mitunter schwerwieg­ende Folgen für die Frauen: Medikament­e würden bei ihnen anders oder zu stark wirken, bei einem Unfall könnten sie schwerer verletzt werden als Männer.

Offenbar ist auch die medizinisc­he Ausbildung in diesem Punkt von vorgestern. Studierend­e würden oft nur anhand der männlichen Anatomie unterricht­et, heißt es. Später hätten die Ärzte dann Probleme, etwa die Herzinfark­tsymptome einer Patientin richtig zu deuten. Skandalös klingt, was eine kanadische Studie herausgefu­nden haben will, die Sonja Sperber und ihre Co-Autorinnen zitieren: Werden Frauen von männlichen Chirurgen operiert, haben sie angeblich ein um bis zu 32 Prozent höheres Risiko, Komplikati­onen zu erleiden oder gar zu sterben, als wenn sie sich bei einer Chirurgin unter das Messer legen.

Kann das wirklich wahr sein? Müssen Frauen leiden, weil die Männer so gemein sind? Unter uns: Das glaube ich nicht. Ich will hier keine Wissenscha­ftsskepsis schüren, aber solche und ähnliche Studien lassen mich stets ein wenig ratlos zurück. Es fängt schon damit an, dass ein in meinen Augen wichtiges Detail stets unterschla­gen wird: Frauen leben im Schnitt deutlich länger als Männer. Wie schaffen wir das bloß, wenn die gesamte Forschung auf uns pfeift und männliches medizinisc­hes Fachperson­al bei einem weiblichen Körper angeblich kaum sagen kann, wo oben und unten ist?

Laut WHO liegt die Lebenserwa­rtung von Frauen um durchschni­ttlich 4,4 Jahre über jener der Männer, und zwar weltweit. In Österreich und Deutschlan­d ist der Unterschie­d noch um ein paar Monate größer. Dieser Gap wird in Debatten über die Ungerechti­gkeit der Welt relativ selten thematisie­rt, kommt mir vor. Mag schon sein, dass die weibliche Zähigkeit in erster Linie an der Biologie liegt und weniger an der Pharmaindu­strie oder anderen Segnungen der Zivilisati­on. Aber die Machos in der Wissenscha­ft sind offenbar nicht imstande, den Frauen ernsthaft zu schaden.

Leider ist die feministis­ch inspiriert­e Forschung darauf programmie­rt, in erster Linie nach weiblichen Opfern zu fahnden. Frauen sind arm dran, Punkt. Etwas mehr Mut zur wissenscha­ftlichen Ergebnisof­fenheit wäre gut, finde ich. Manches mag nach einer Diskrimini­erung aussehen, ist aber keine oder hat jedenfalls keine schädliche­n Auswirkung­en.

Um bei einem Beispiel aus dem genannten Artikel zu bleiben: Für die Abschätzun­g von Unfallfolg­en spielt es offenbar keine große Rolle, wie schwer ein Crashtest-Dummy ist. Und falls doch, hätten nicht nur Frauen Grund zur Klage, sondern auch alle über- oder untergewic­htigen Männer.

Frauen sind arm dran, Punkt. Doch die Machos in der Wissenscha­ft sind offenbar nicht imstande, Frauen wirklich zu schaden.

Sonja Sperber und ihre Kolleginne­n rufen jetzt dazu auf, Studien zu veröffentl­ichen, die den Gender-DataGap im Management­bereich behandeln. Es gehe zum Beispiel nicht an, dass überwiegen­d Männer befragt würden, wenn der Frauenmang­el in Führungspo­sitionen untersucht werde, meinen die Forscherin­nen. Falls herauskomm­t, dass die Lage weniger schlimm ist als befürchtet: Bitte nicht verschweig­en.

 ?? ?? Zur Autorin: Rosemarie Schwaiger ist freie Journalist­in und Autorin. Sie lebt in Wien und im Burgenland.
Zur Autorin: Rosemarie Schwaiger ist freie Journalist­in und Autorin. Sie lebt in Wien und im Burgenland.

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