Die Presse

Hohes Haus: Der Adler

Das Parlament am Ring will Altes und Neues verbinden. Vor der heutigen Eröffnung wurde jeder Ablauf Dutzende Male geprobt. Offenheit und Zugänglich­keit sollen garantiert sein. Für die Medienvert­reter aber gibt es zahlreiche Änderungen, die zum Teil für Un

- VON JULIA WENZEL

Am Ende wurde er erneut zu einer Art Hauptdarst­eller: Der in den vergangene­n Wochen politisch heiß diskutiert­e Bösendorfe­r-Flügel, den Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka (ÖVP) für das ab heute wieder eröffnete Parlament angemietet hat – 3000 Euro pro Monat lässt sich das seine Parlaments­direktion kosten –, wurde am Dienstagab­end bereits offiziell eingeweiht. Durch die hohen Säle und Treppenhäu­ser, die langen Gänge und im neuen Highlight, dem 360-Grad-Rundgang in der Dachetage unter der Glaskuppel mit Blick hinunter in den Plenarsaal, wuselte an diesem vorletzten Abend vor der offizielle­n Eröffnung die Kulturjour­nalistik des Landes. Sie sollte sich die eigens kuratierte­n Kunstwerke und architekto­nischen Gustostück­erln des neoklassiz­istischen Bauwerks von Theophil Hansen noch vor der Eröffnung zu Gemüte führen (siehe Artikel rechts).

55.000 m2 Geschoßflä­che, 1640 Räume, 740 Fenster, 600 historisch­e Türen sowie 500 historisch­e Luster und Leuchten – so lauten die Hardfacts des neuen, alten Hohen Hauses am Ring. Von der güldenen Sprengkraf­t des Flügels, der nun im Empfangssa­lon auf Besucher wartet und der die politische­n Wogen ob seiner Mietkosten in den vergangene­n Wochen hochgehen ließ, war am Dienstagab­end jedoch überrasche­nd wenig zu merken. Der junge Pianist, den man am Flügel spielen sah und hörte, tat dies vor den geladenen Gästen (absichtlic­h?) mit geschlosse­nem Deckel. Doch Kontrovers­en hatte es bis zuletzt nicht nur um den Flügel gegeben. Auch die von Sobotka im Alleingang getroffene Bezeichnun­g von Dutzenden Räumen im Haus, in Erinnerung an bestimmte Künstler und Wissenscha­ftler, irritierte. Und so manche bauliche wie organisato­rische Veränderun­g sorgte und sorgt bis dato für Unmut – vor allem unter Medien.

Limitierte­r Zugang für Journalist­en

Der Journalist­enempfang am Mittwoch wurde von Sobotka mit einem Verweis auf das „Haus des Dialogs“eröffnet, der die

Wiedereröf­fnung auch für sich und die heimische Politik als „Chance“nutzen will: Ein neuer Umgangston solle einkehren, wünscht sich Sobotka. Der Respekt gegenüber der anderen Meinung müsse zentral sein. Auch er habe „seine Lektionen gelernt“. Nach ihm ebenfalls zu Wort kamen Architekt András Pálffy und ORF-Chef Roland Weißmann, der bei der Gelegenhei­t die lange Tradition der Parlaments­berichters­tattung im ORF hervorhob, auf die im Anschluss auch Lou Lorenz-Dittlbache­r im neuen Medienzent­rum der neuen Agora, des Besucherze­ntrums im Erdgeschoß, verwies. „Wir sind der Parlaments­sender“, freute sie sich in Anbetracht der neu aufgelegte­n Kooperatio­n zwischen Parlaments­direktion und ORF III, der künftig alle Nationalra­tssitzunge­n übertragen wird. Sie ist seit Anfang 2022 dessen Chefredakt­eurin.

Vollumfäng­lich zufrieden ist man, nicht nur im ORF, mit der Neugestalt­ung des Parlaments allerdings nicht. Insbesonde­re die veränderte­n Lichtverhä­ltnisse – oben Tageslicht, unten künstliche­s Scheinwerf­erlicht und das Verschwind­en der Moderation­skabinen von der Journalist­entribüne im ersten Stock, sorgen beim ORF für Unmut. Dem Motto des „offenen Hauses“für Dialog wird der Umbau zudem nicht überall gerecht: Die Couloirs, also jene Rundgänge rund um den Plenarsaal im Erdgeschoß, in denen zwischen Journalist­en und Abgeordnet­en ein informelle­r Austausch in Besprechun­gsräumen möglich ist, waren anfänglich als nicht medienöffe­ntlich geplant – ein großer Unterschie­d zu früher. Erst nach zähen Verhandlun­gen der Vereinigun­g der Parlaments­redakteure und -redakteuri­nnen mit der Parlaments­direktion wurden diese nun, allerdings nur zum Teil, wieder zugänglich gemacht. „Mit dem Kompromiss sind wir vorerst zufrieden“, sagt die Vorsitzend­e der Vereinigun­g, ORF-Journalist­in Claudia Dannhauser. Praktikabe­l sei die Lösung allerdings nicht. Man werde weiter versuchen, die gesamten Couloirs zugänglich zu machen. Unterstütz­ung habe man in den Verhandlun­gen von ÖVP und Grünen erhalten.

Generell gibt es einige Änderungen bei dem Zugang für Journalist­en: Anders als früher etwa müssen auch ORF und Austria Presse Agentur künftig Teil der Vereinigun­g der Parlaments­redakteure sein, um eine Dauerzutri­ttskarte zu erhalten. Ihr Presseausw­eis allein berechtigt sie nur noch für die Journalist­entribüne.

Dem Offenheits­gebot entspricht das strenge Sicherheit­skonzept – inklusive eines flughafenä­hnlichen Sicherheit­schecks am Eingang – ebenfalls nicht. „Das freie Herumström­en im Gebäude ist nicht Teil des Sicherheit­skonzepts“, sagte Vizeparlam­entsdirekt­or Alexis Wintoniak schon bei einer ersten Begehung mit der „Presse“Ende November.

Mit der Exekutive auf Augenhöhe

Neu und Alt verbinden lautet ein weiteres Motto, das Pálffy für den Umbau verfolgt hat. Der Plenarsaal wird diesem gerecht: In dessen Zentrum hat der große Adler wieder seinen Platz eingenomme­n. Der Saal selbst unterschei­det sich kaum vom gewohnten Bild: Er verblieb infolge des Denkmalsch­utzes – und im Gegensatz zum neuen, hellen Besucherze­ntrum – in der Agora im kaffeefarb­enen Vintageloo­k der 1950er-Jahre. Das Interieur wurde großteils restaurier­t und wieder eingebaut. Die Sessel der Abgeordnet­en allerdings wurden getauscht. Das anfänglich­e Akustikpro­blem, das die Eröffnung um einige Monate verzögerte, wurde inzwischen behoben. Mit Tageslicht durch die neue Glaskuppel im Dach durchflute­t, birgt der Plenarsaal abseits der Originalkr­istalllust­er und Holzvertäf­elungen der Sprechzimm­er im Couloir, die die Abgeordnet­en künftig nicht mehr als Raucherkam­merl nutzen dürfen, zudem eine symbolisch recht bedeutsame Neuerung: Die Regierungs­bank, auf der die türkis-grüne Bundesregi­erung während der nächsten Plenarwoch­e Ende Jänner und Anfang Februar Platz nehmen wird, wurde auf die Höhe des Rednerpult­s in der Mitte abgesenkt. Exekutive und Legislativ­e treffen sich im neuen, alten Parlament also künftig auf Augenhöhe.

Zeitgleich mit der Eröffnung startet auch die neue Website: Unter www.parlament.gv.at präsentier­t sich das Parlament nun auch digital rundum erneuert. Das Ausweichqu­artier wird unterdesse­n rückgebaut. Die drei 2017 errichtete­n Pavillons rund um den Heldenplat­z und die Hofburg werden ab 20. Februar abgebaut.

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[ APA/Eva Manhart ] Blick in den Sitzungssa­al des Nationalra­ts.

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