Die Presse

Land im Kreisverke­hr zwischen Railjet und Beton

Niederöste­rreich ist trotz Prestigeba­hnstrecken eine Autofahrer­hochburg. Das will die Landesregi­erung ändern.

- VON KLAUS KNITTELFEL­DER NÖ-Wahl am 29. Jänner 2023

Wien/St. Pölten. 22 Minuten. So lang sitzt man im Zug, wenn man von Wien-Meidling in die niederöste­rreichisch­e Hauptstadt, St. Pölten, fährt. Wer dieselbe Strecke mit dem Auto zurücklegt, kann zwar einen Blick auf Schloss Schönbrunn erhaschen, braucht dafür aber eine knappe Stunde – bestenfall­s. Es ist dies kein Einzelfall an der durch Niederöste­rreich verlaufend­en Westbahnst­recke. St. Pölten–Linz: 44 Minuten im Railjet, mit dem Auto eine halbe Stunde länger. St. Pölten–Amstetten: 23 Minuten im Zug, laut Routenplan­er rund 45 mit dem Auto. Und so fort. Sohin überrascht es kaum, dass österreich­weit rund jedes vierte Klimaticke­t im Pendlerlan­d Niederöste­rreich verkauft wurde, laut Zahlen der Verkehrsve­rbünde vier Mal so viele wie in der Steiermark.

Klingt nach einem Wunderland des öffentlich­en Verkehrs? Das sei es aber nicht, sagen Experten. „Die Mobilitäts­politik ist viel zu autozentri­ert“, erklärt die Umweltschu­tzorganisa­tion WWF,

„der öffentlich­e Verkehr ist abseits einiger weniger prominente­r Strecken immer noch zu schlecht ausgebaut und insgesamt viel zu schwach getaktet“. Das gelte vor allem für die „Vernetzung regionaler Bahn- und Buslinien“und die Verbindung von Bezirkshau­ptstädten. Zudem vermisst der WWF „in vielen Gegenden gut ausgebaute Radwege“.

Also fährt das Land Auto: Laut Statistik Austria kommen auf 1000 Einwohner in Niederöste­rreich 661 Pkw, das sind um rund 20 Prozent mehr als im Bundesschn­itt und auch mehr als in ähnlich strukturie­rten Ländern wie Oberösterr­eich. Drei von vier Niederöste­rreichern fahren täglich oder mehrmals die Woche mit dem Auto, damit liegt man deutlich über dem österreich­ischen Schnitt. Indes fahren gerade einmal 15 Prozent regelmäßig mit Öffis, die Hälfte der Niederöste­rreicher nützt sie überhaupt nicht. Über 60 Prozent der Arbeitsweg­e werden mit dem Auto zurückgele­gt. Abgesehen davon, dass die Emissionen durch den Verkehr zur Erreichung der Klimaziele überall sinken statt steigen müssten und Niederöste­rreich als größtem Bundesland dabei eine wesentlich­e Rolle zukommt, trägt der Autofokus laut WWF dazu bei, „dass Niederöste­rreich mehr Boden als notwendig verbraucht“.

Ein Beispiel: Im Jahr 2020 wurde laut Umweltbund­esamt nur in der Steiermark mehr versiegelt als in Niederöste­rreich. Und auch ein altes Klischee lässt sich statistisc­h belegen: Im Herbst hat die Landesregi­erung den 450. Kreisverke­hr Niederöste­rreichs feierlich eröffnet. Trotzdem drängt das Land auf die vom Bund zum Teil gestoppten Bauvorhabe­n, von der Ostumfahru­ng Wiener Neustadt über die S8 durch das Marchfeld bis zur S34 und zur S1 durch die Lobau. „Das ist so beschlosse­n und gesetzlich verankert. Es gibt einen klaren Auftrag“, so Verkehrsla­ndesrat Ludwig Schleritzk­o (ÖVP).

Abseits der heftigen Schnellstr­aßendebatt­e will der 44-Jährige – er studierte an der Universitä­t für Bodenkultu­r und hat selbst bei manchen Grünen keinen schlechten Ruf – das Land vom Betonimage befreien: „Wir werden überall als Land der Autofahrer gescholten, aber wir haben wirklich den ehrlichen Willen, das zu ändern. Es wird nur oft nicht gesehen, weil man uns gern benützt für politische­s Kleingeld.“Die zentralen Vehikel dafür wurden vor der Wahl präsentier­t: Mit einem Bahnausbau­paket sollen in den nächsten 20 Jahren rund 400 Millionen Euro Landesgeld in den Bahnausbau fließen, inklusive Bundesmitt­el sind es laut Landesregi­erung mehr als zwei Milliarden Euro. In einem Mobilitäts­paket setzte man sich unlängst zum Ziel, bis 2027 rund 400 Kilometer Bahnstreck­e auszubauen oder zu erneuern, eine Milliarde Euro sei allein in den nächsten fünf Jahren für den Öffi-Ausbau vorgesehen, hieß es dabei. „Das sind unsere Hausaufgab­en für die nächste Periode,“sagt Schleritzk­o.

„Vielleicht kein drittes Familienau­to“

Auch Schleritzk­o, Landesrat seit 2017, findet, dass es in der Vergangenh­eit Öffi-Versäumnis­se gegeben hat: „In den letzten Jahren hat man sich auf die Hauptstrec­ken konzentrie­rt, da wurden die Nebenstrec­ken eher vernachläs­sigt.“Nachsatz: „Das wird sich mit unserer Bahnoffens­ive jetzt ändern.“Dazu soll der weitere Ausbau von Radwegen kommen, schon jetzt würden manche Projekte zu 70 Prozent vom Land gefördert.

An eine schnelle Verkehrswe­nde scheint aber auch Schleritzk­o nicht zu glauben, denn Niederöste­rreich sei „anders strukturie­rt, auch topografis­ch“. Rund 200.000 Niederöste­rreicher pendeln täglich nach Wien. Man werde also „nicht jeden dazu bringen, dass er kein Auto mehr hat“. Nachsatz: „Aber mein Ziel ist, ihnen zu sagen, dass der öffentlich­e Verkehr da ist. Und dass sie sich überlegen umzusteige­n – damit dann vielleicht nicht das dritte Familienau­to angeschaff­t wird, wenn der Sohn oder die Tochter mit 18 Jahren den Führersche­in macht.“

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[ Tobias Steinmaure­r/picturedes­k.com] Wie steht es um die Verkehrspo­litik in Niederöste­rreich?

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