Land im Kreisverkehr zwischen Railjet und Beton
Niederösterreich ist trotz Prestigebahnstrecken eine Autofahrerhochburg. Das will die Landesregierung ändern.
Wien/St. Pölten. 22 Minuten. So lang sitzt man im Zug, wenn man von Wien-Meidling in die niederösterreichische Hauptstadt, St. Pölten, fährt. Wer dieselbe Strecke mit dem Auto zurücklegt, kann zwar einen Blick auf Schloss Schönbrunn erhaschen, braucht dafür aber eine knappe Stunde – bestenfalls. Es ist dies kein Einzelfall an der durch Niederösterreich verlaufenden Westbahnstrecke. St. Pölten–Linz: 44 Minuten im Railjet, mit dem Auto eine halbe Stunde länger. St. Pölten–Amstetten: 23 Minuten im Zug, laut Routenplaner rund 45 mit dem Auto. Und so fort. Sohin überrascht es kaum, dass österreichweit rund jedes vierte Klimaticket im Pendlerland Niederösterreich verkauft wurde, laut Zahlen der Verkehrsverbünde vier Mal so viele wie in der Steiermark.
Klingt nach einem Wunderland des öffentlichen Verkehrs? Das sei es aber nicht, sagen Experten. „Die Mobilitätspolitik ist viel zu autozentriert“, erklärt die Umweltschutzorganisation WWF,
„der öffentliche Verkehr ist abseits einiger weniger prominenter Strecken immer noch zu schlecht ausgebaut und insgesamt viel zu schwach getaktet“. Das gelte vor allem für die „Vernetzung regionaler Bahn- und Buslinien“und die Verbindung von Bezirkshauptstädten. Zudem vermisst der WWF „in vielen Gegenden gut ausgebaute Radwege“.
Also fährt das Land Auto: Laut Statistik Austria kommen auf 1000 Einwohner in Niederösterreich 661 Pkw, das sind um rund 20 Prozent mehr als im Bundesschnitt und auch mehr als in ähnlich strukturierten Ländern wie Oberösterreich. Drei von vier Niederösterreichern fahren täglich oder mehrmals die Woche mit dem Auto, damit liegt man deutlich über dem österreichischen Schnitt. Indes fahren gerade einmal 15 Prozent regelmäßig mit Öffis, die Hälfte der Niederösterreicher nützt sie überhaupt nicht. Über 60 Prozent der Arbeitswege werden mit dem Auto zurückgelegt. Abgesehen davon, dass die Emissionen durch den Verkehr zur Erreichung der Klimaziele überall sinken statt steigen müssten und Niederösterreich als größtem Bundesland dabei eine wesentliche Rolle zukommt, trägt der Autofokus laut WWF dazu bei, „dass Niederösterreich mehr Boden als notwendig verbraucht“.
Ein Beispiel: Im Jahr 2020 wurde laut Umweltbundesamt nur in der Steiermark mehr versiegelt als in Niederösterreich. Und auch ein altes Klischee lässt sich statistisch belegen: Im Herbst hat die Landesregierung den 450. Kreisverkehr Niederösterreichs feierlich eröffnet. Trotzdem drängt das Land auf die vom Bund zum Teil gestoppten Bauvorhaben, von der Ostumfahrung Wiener Neustadt über die S8 durch das Marchfeld bis zur S34 und zur S1 durch die Lobau. „Das ist so beschlossen und gesetzlich verankert. Es gibt einen klaren Auftrag“, so Verkehrslandesrat Ludwig Schleritzko (ÖVP).
Abseits der heftigen Schnellstraßendebatte will der 44-Jährige – er studierte an der Universität für Bodenkultur und hat selbst bei manchen Grünen keinen schlechten Ruf – das Land vom Betonimage befreien: „Wir werden überall als Land der Autofahrer gescholten, aber wir haben wirklich den ehrlichen Willen, das zu ändern. Es wird nur oft nicht gesehen, weil man uns gern benützt für politisches Kleingeld.“Die zentralen Vehikel dafür wurden vor der Wahl präsentiert: Mit einem Bahnausbaupaket sollen in den nächsten 20 Jahren rund 400 Millionen Euro Landesgeld in den Bahnausbau fließen, inklusive Bundesmittel sind es laut Landesregierung mehr als zwei Milliarden Euro. In einem Mobilitätspaket setzte man sich unlängst zum Ziel, bis 2027 rund 400 Kilometer Bahnstrecke auszubauen oder zu erneuern, eine Milliarde Euro sei allein in den nächsten fünf Jahren für den Öffi-Ausbau vorgesehen, hieß es dabei. „Das sind unsere Hausaufgaben für die nächste Periode,“sagt Schleritzko.
„Vielleicht kein drittes Familienauto“
Auch Schleritzko, Landesrat seit 2017, findet, dass es in der Vergangenheit Öffi-Versäumnisse gegeben hat: „In den letzten Jahren hat man sich auf die Hauptstrecken konzentriert, da wurden die Nebenstrecken eher vernachlässigt.“Nachsatz: „Das wird sich mit unserer Bahnoffensive jetzt ändern.“Dazu soll der weitere Ausbau von Radwegen kommen, schon jetzt würden manche Projekte zu 70 Prozent vom Land gefördert.
An eine schnelle Verkehrswende scheint aber auch Schleritzko nicht zu glauben, denn Niederösterreich sei „anders strukturiert, auch topografisch“. Rund 200.000 Niederösterreicher pendeln täglich nach Wien. Man werde also „nicht jeden dazu bringen, dass er kein Auto mehr hat“. Nachsatz: „Aber mein Ziel ist, ihnen zu sagen, dass der öffentliche Verkehr da ist. Und dass sie sich überlegen umzusteigen – damit dann vielleicht nicht das dritte Familienauto angeschafft wird, wenn der Sohn oder die Tochter mit 18 Jahren den Führerschein macht.“