Die Presse

Vorwurf der Amtsverfeh­lung gegen Ungarns EU-Kommissar

Europaparl­ament will interne Untersuchu­ng von Olivér V´arhelyis Verhalten in Bosnien.

- V on unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Hintertrei­bt der ungarische EU-Kommissar die Erweiterun­gspolitik der Union? Diesen Vorwurf erhebt das Europaparl­ament in seinem am Mittwoch beschlosse­nen neuen Jahresberi­cht über die Umsetzung der Gemeinsame­n Außenund Sicherheit­spolitik der EU. Auf Initiative der Fraktion der Sozialdemo­kraten fügte das Parlament diesem Bericht die Aufforderu­ng an die Europäisch­e Kommission hinzu, eine „unabhängig­e und unparteiis­che Untersuchu­ng der Frage zu lancieren, ob das Verhalten und die Politiken, die der Kommissar für Nachbarsch­aft und Erweiterun­g betreibt, eine Verletzung des Verhaltens­kodex für die Mitglieder der Kommission und der Pflichten der Kommission aus den Verträgen darstellt.“

Es geht hier um den Verdacht, dass Olivér Várheyli, der vormalige ungarische EU-Botschafte­r und Vertrauens­mann von Ungarns nationalau­toritärem Ministerpr­äsidenten, Viktor Orbán, die separatist­ischen Vorhaben des bosnischen Serbenführ­ers, Milorad Dodik, zumindest stillschwe­igend gutheißt. Dodik ist ein enger Verbündete­r Orbáns. 2021 hat Ungarn der Republika Srpska ein günstiges Darlehen über 100 Millionen Euro gewährt – rechtzeiti­g vor den Wahlen.

Sezession still unterstütz­t

Auf Dodiks Geheiß haben die Parlamenta­rier der autonomen Republika, die Teil Bosnien und Herzegowin­as ist, am 10. Dezember 2021 darüber abzustimme­n begonnen, sich aus den bosnisch-herzegowin­ischen Staatsinst­itutionen zurückzuzi­ehen: von der Armee über die Verwaltung bis zur Gerichtsba­rkeit. Das wäre Sezession und der Bruch des Abkommens von Dayton aus dem Jahr 1995, das den von den bosnischen Serben und ihren Verbündete­n in Belgrad begonnenen Krieg beendet hat und dem Land bis heute einen (wenn auch fragilen) Frieden gebracht hat.

Doch statt sofort scharf gegen diese Abspaltung­spläne aufzutrete­n

und Dodik zur Ordnung zu rufen, schwieg Várhelyi. Vielmehr erhärtet ein an die bosnisch-herzegowin­ische Nachrichte­nseite „Istraga“durchgesto­chenes Dokument, dass der Kommissar die separatist­ischen Pläne der bosnischen Serben zumindest stillschwe­igend gutgeheiße­n hat. In diesem Dokument fasst der EUBotschaf­ter in Sarajewo, der Österreich­er Johann Sattler, die Gespräche Várhelyis mit politische­n Vertretern Bosnien und Herzegowin­as während eines Arbeitsbes­uchs am 24. und 25. November 2021 zusammen. Hinsichtli­ch der damals schon bekannten Pläne Dodiks, ab dem 10. Dezember die Abspaltung vorzuberei­ten, habe der Kommissar laut diesem Memo Sattlers erklärt, dass diese Sitzung stattfinde­n könne, die bosnischen Serben sich aber dazu verpflicht­et hätten, für sechs Monate keine konkreten daraus

erfolgende­n Gesetze zu beschließe­n. Statt also Dodik zurückzupf­eifen, hat Várhelyi ihm zu verstehen gegeben, dass er ihn nicht behelligen würde, machte er mit seinen Plänen zur Zerstörung Bosnien und Herzegowin­as weiter.

Kommission auf Tauchstati­on

Genau das wirft ihm das Europaparl­ament nun als Amtsverfeh­lung vor. „Wir können es einem Kommissar, der verdächtig­t wird, Sezessioni­sten zu unterstütz­en, nicht erlauben, bei EU-Beitrittsk­andidaten Amok zu laufen“, erklärte der niederländ­ische Sozialdemo­krat Thijs Reuten.

Die Kommission wollte am Mittwoch nicht darauf antworten, ob ihre interne Ethikkommi­ssion dieser Forderung nachkommt. „Unsere Erweiterun­gspolitik liegt nicht in den Händen eines Kommissars allein“, sagte ein Sprecher.

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[ AFP] Olive´r Va´rhelyi ist seit 2019 Kommissar für Erweiterun­g und Nachbarsch­aftspoliti­k.

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