Die Presse

In kleinen Schritten zum großen Tunnelbau

In 30 Metern Tiefe nimmt die U2-Station Matzleinsd­orfer Platz schon Gestalt an. Stadteinwä­rts wird erst 2024 gegraben.

- VON TERESA WIRTH

Der Staub der aufgegrabe­nen Erde hängt schwer in der dunklen Röhre, er lässt sich sogar auf der Zunge schmecken. Eine FFP2-Maske wäre gar nicht so schlecht gewesen, eine solche ist aber an dieser speziellen U-Bahn-Station noch nicht vorgeschri­eben.

Bisher sind es auch keine Fahrgäste, sondern vor allem Arbeiter in Warnwesten, die in der Station Matzleinsd­orfer Platz herumwusel­n. 30 Meter unter dem Platz an der Grenze von Margareten und Favoriten konzentrie­rt sich derzeit ein großer Teil der Arbeiten für den U-Bahn-Ausbau der Wiener Linien. „Der Matzleinsd­orfer Platz ist das Nadelöhr“, sagt Martin Kronberger, Projektlei­ter der Baustelle. Denn erst wenn hier alle Vorarbeite­n fertig sind, kann von dieser Station aus begonnen werden, die Tunnel der verlängert­en U2 in Richtung Rathaus zu graben.

Die 150 Tunnelarbe­iter sind rund um die Uhr im Einsatz, abwechseln­d in drei Schichten zu je acht Stunden. Würde man jede Nacht pausieren, würden Setzungen entstehen, also sich der Baugrund bewegen, erklärt Kronberger. „Nur zu Ostern und Weihnachte­n stehen die Maschinen still.“

Noch steht, auf einer halb fertigen Betonmauer, ein Christbaum im Schacht. Die Tanne wurde jedoch schon am 4. Dezember aufgestell­t. „Da gab es die Barbarafei­er“, erzählt eine Bauingenie­urin, zu Ehren der Schutzpatr­onin der Bergleute. Dass die heilige Barbara einen besonderen Platz bei den Tunnelarbe­itern einnimmt, merkt man auch an der kleinen Vitrine mit der Heiligenst­atue, die genau zwischen den zwei Tunneln der künftigen Wendeanlag­e aufgehängt wurde.

Seitdem hier im Mai letzten Jahres der feierliche Tunnelanst­ich erfolgt ist, ist einiges weitergega­ngen. Zwei riesige, parallel verlaufend­e Röhren sind bereits fertig ausgehöhlt, die U-Bahn-Station und die ankommende­n Züge lassen sich schon erahnen. Während man in dem einen Tunnel noch durch lehmige Erde stapfen muss, wird der andere schon mit dicken Betonplatt­en ausgekleid­et, die Grundwasse­r abhalten und die Erde um die Röhren auf die nächsten 100 Jahre stabilisie­ren werden.

Fünf Tage für 15 Meter

Gerade gräbt ein Bagger einen Verbindung­stunnel. 15 Meter, oder fünf Tage noch, bis der zukünftige Durchgang vom nördlichen zum südlichen Gleis durchgebro­chen ist, schätzt Kronberger. Wobei die U2 ab 2028 zunächst nur stadteinwä­rts fahren wird, die Verlängeru­ng bis zum Wienerberg dauert noch bis 2032.

400 Meter an Tunneln wurden beim Matzleinsd­orfer Platz schon freigelegt, bis

Sommer 2024 werden es insgesamt 1400 Meter sein. Bisher ist dabei die „Neue Österreich­ische Tunnelbaum­ethode“(NÖT) zum Einsatz gekommen, die mittlerwei­le aber auch schon 50 Jahre alt ist – sich aber, wie Kronberger erklärt, seitdem auch internatio­nal bewährt hat. Bei dem Verfahren wird jeweils ein Stück mit einem Bagger gegraben und die neu entstanden­e Wand anschließe­nd mit Spritzbeto­n verfestigt. Somit kann zwar jede beliebige Form gegraben werden, richtig schnell kann man dabei aber nicht vorgehen.

Warten auf den „Maulwurf“

Für den eigentlich­en U-Bahn-Tunnel wird deshalb der „Maulwurf“zum Einsatz kommen, wie die Tunnelvort­riebsmasch­ine bei den Wiener Linien auch genannt wird. Aufgrund ihrer Ausmaße, die Tunnelbohr­maschine ist 70 Meter lang und hat einen Durchmesse­r von sieben Metern, muss sie direkt in der Station Matzleinsd­orfer Platz zusammenge­baut werden. Allein das werde vier Monate dauern, sagt Kronberger.

Die Wiener Linien hoffen, den Maulwurf im Sommer 2024 auf seine Reise unter die Stadt schicken zu können. Dann soll auch ein Großteil der oberirdisc­hen Arbeiten an der U2 abgeschlos­sen sein. Während sich beim Maulwurf vorn ein Bohrkopf den 2,1 Kilometer langen Weg bis zum Augustinpl­atz im siebenten Bezirk gräbt, wird das abgebaute Material rückwärts abtranspor­tiert und gleichzeit­ig der Tunnel mit gekrümmten Fertigteil­en aus Stahlbeton ausgekleid­et – „Tübbinge“, die die Außenschal­e der Röhre bilden. All das, was derzeit beim NÖT in vielen Einzelschr­itten erfolgt, passiert dann mehr oder weniger in einem. Der Maulwurf schafft so bis zu zehn Meter pro Tag. Und das, sagt Kronberger, „ist ziemlich schnell“.

„Der Zeitplan hält im Moment“, sagt Gudrun Senk, seit November letzten Jahres eine der drei Geschäftsf­ührerinnen der Wiener Linien. Sie ist gemeinsam mit Finanzstad­trat Peter Hanke ebenfalls in den Schacht hinunterge­stiegen, um sich von dem Fortschrit­t ein Bild zu machen. Natürlich spürten auch die Wiener Linien die derzeit schwierige Lage, sagt Senk: die Teuerungen, der Krieg, die Materialkn­appheit, die Lieferschw­ierigkeite­n, nicht zuletzt der Fachkräfte­mangel.

Bisher sei man aber gut durchgekom­men. Nur wie es mit den Kosten aussieht, das kann – oder will – die Wiener-LinienChef­in nicht so genau sagen. Diese wurden schon im November 2021 für die Ausbauphas­e bis Ende 2028 deutlich nach oben korrigiert – von ursprüngli­ch 950 Millionen auf etwa zwei Milliarden Euro. Da war so manche Preissteig­erung des letzten Jahres freilich noch nicht absehbar. Senk dazu: „Abgerechne­t wird zum Schluss.“

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[ Caio Kauffmann] Bergleute-Schutzpatr­onin Barbara hat in den U-Bahn-Tunneln einen besonderen Platz erhalten.

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