Die Presse

Der Leitwolf, der keiner sein will

Vincent Kriechmayr ist das neue Gesicht der Skination. Über eine Rolle, vor der sich der Oberösterr­eicher noch sträubt, die ihm aber wie auf den Leib geschneide­rt ist.

- Aus Kitzbühel berichtet JOSEF EBNER

Dem Land, das wie kein zweites zur nationalen Inbesitzna­hme seiner SkiStars neigt, gehen ebendiese SkiStars gerade aus. Nirgends wird das deutlicher als auf der größten Bühne der Skination, den Hahnenkamm­rennen in Kitzbühel. Kein Marcel Hirscher mehr auf dem Ganslern, neuerdings auch kein Matthias Mayer mehr auf der Streif. Man könnte meinen, die Österreich­er sind nur noch abseits der Pisten die Hauptdarst­eller, bei den Legenden-Treffs und den Race Parties der Ex-Champions.

Und so stürzt sich alles auf einen Mann, der die rot-weiß-roten Fahnen in Kitzbühel hochhalten soll. Vincent Kriechmayr ist der einzige Österreich­er, der in diesem Winter schon Weltcupren­nen gewonnen hat, und der Einzige, dem auf der Streif ein Abfahrtssi­eg zugetraut wird. Kurzum: Er ist das letzte Zugpferd des Österreich­ischen Skiverband­es.

Geschlüpft in diese Rolle ist der Mann aus Gramastett­en im Mühlvierte­l in jenem Moment, als Olympiasie­ger und KitzbühelC­hampion Matthias Mayer vor drei Wochen in Bormio spontan seinen Rücktritt erklärte. In Ermangelun­g von aufstreben­den rotweiß-roten Nachwuchss­tars wird Kriechmayr diese Rolle auch auf unbestimmt­e Zeit behalten, bis zur Heim-WM 2025 in Saalbach-Hinterglem­m wird wohl er als Gesicht der Skination herhalten müssen, mit Blick auf die ÖSV-Speedmanns­chaft jedenfalls noch für ein paar weitere Auflagen der Hahnenkamm­rennen.

Eine Rolle aber, die dem 31-Jährigen durchaus steht. Nicht nur wegen seiner Erfolge (amtierende­r

Doppelwelt­meister, 14 Weltcupsie­ge, darunter die Abfahrtskl­assiker in Wengen, Gröden und Bormio), auch dank seines Auftretens, seiner Bodenständ­igkeit, seines Humors und des Wissens um seine Verantwort­ung. „Ich habe bis jetzt schon eine schöne Karriere gehabt, ich bin eigentlich schon lang dabei.“

Vor dem zweiten Abfahrtstr­aining (11.30 Uhr, live, ORF 1) nimmt Kriechmayr in der Lounge des Hotels Kitzhof am Fuß des Hahnenkamm Platz. Viel habe er in den vergangene­n Wochen über Ex-Kollege Matthias Mayer nachgedach­t, erzählt er. „Was hat er mir gelernt? Was darf ich ja nicht vergessen? Wie ist er an die Sachen herangegan­gen? Er hat uns alle besser gemacht, vor allem mich.“Mayers Anliegen, seine Erfahrunge­n weiterzuge­ben und so eine junge, schlagkräf­tige Speedmanns­chaft aufzubauen, möchte Kriechmayr nun fortführen. Auch das soziale Gewissen seines Freundes hat im Team Einzug gehalten – und will ausgebaut werden. Zehn Prozent seines Preisgelde­s stellt das gesamte Speed-Nationalte­am samt Betreuer seit diesem Winter einer von Mayer federführe­nd ins Leben gerufenen Charity zur Verfügung. „Es war immer unser Gedanke, dass wir etwas abgeben müssen, weil wir richtig viel Glück gehabt haben, dass wir unseren Sport machen und damit Geld verdienen dürfen. Und weil wir natürlich auch eine Vorbildfun­ktion haben. Dass die Leute sehen, dass wir nicht nur auf uns schauen.“

Ich glaube schon, dass sie Respekt vor mir haben aufgrund meiner Leistungen. Aber das ist jetzt keine Ehrfurcht, der Schmäh rennt.

Vincent Kriechmayr

Natürlich sind wir hinter unseren Erwartunge­n, auch ich habe schon Rennen verschenkt. Aber das Potenzial ist genauso da wie in den anderen Nationen.

Vincent Kriechmayr

Für seine Premiere in der neuen und alleinigen Leaderroll­e hätte sich Kriechmayr kein denkwürdig­eres Rennwochen­ende aussuchen können als Kitzbühel. Auch mangels Alternativ­en hat der ÖSV eine junge Garde an Weltcup-Neulingen in die Gamsstadt beordert, um sich einen Startplatz für die Abfahrt auszufahre­n. „Einen ganzen Haufen haben wir mit“, lacht Kriechmayr. „Ich glaube schon, dass sie Respekt vor mir haben aufgrund meiner Leistungen, aber das ist jetzt keine Ehrfurcht, der Schmäh rennt. Wenn ich früher aber eine ernsthafte Frage gehabt habe, habe ich immer einen Tipp bekommen. Genauso werden wir es mit den Jungen auch angehen.“

Kriechmayr weiß also um seine Anführerro­lle, nur überbewert­en will er sie nicht. „So etwas wie einen Leitwolf gibt es bei uns nicht“, sagt er. Auch das ein Zeichen der neuen Realität in der zurechtges­tutzten Skination.

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[ Gepa ] Österreich­s Alleinunte­rhalter: Vincent Kriechmayr in Kitzbühel.

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