Die Presse

Kondom statt Nähzeug, „Kampf gegen Frustratio­n“

Indra Collini kämpft in Niederöste­rreich auf Vorarlberg­erisch um Stimmen und gegen die Ansicht, dass alle Politiker korrupt seien.

- VON PHILIPP AICHINGER

Kaum verlässt man den Bahnsteig, steht man schon vor dem Canal Grande. Nein, die Rede ist nicht vom Bahnhof Venezia Santa Lucia, sondern von Perchtolds­dorf. Und der Canal Grande ist nur auf der Anschlagst­afel der Marktgemei­nde zu sehen, als Werbung für die „Notte Italiana“beim örtlichen Seniorenba­ll.

Auch sonst merkt man bald, dass man in Niederöste­rreich ist – und dort Wahlkampf herrscht. Auf dem rund zwanzigmin­ütigen Weg in den Ortskern erblickt man mehr Plakate von Parteien als Passanten. Auf einem der Sujets wirbt Indra Collini für „saubere Politik“. Die 52-Jährige ist Landesspre­cherin der Neos und sitzt seit 2018 im Landtag. Klubobfrau kann sie sich nicht nennen, zur Erreichung des mit diversen Rechten einhergehe­nden Klubstatus müsste sich die Fraktion von drei auf vier Mandate steigern. Der Wiener Speckgürte­l bietet dafür Potenzial. Elf Prozent der Perchtolds­dorfer wählten die Neos 2018, während die Partei landesweit fünf Prozent erhielt. An diesem Mittwoch wirbt Collini in der Gemeinde selbst um Stimmen.

Themen Öffis und Transparen­z

Auf dem Marktplatz haben die Neos ihr „Zukunftsvi­llage“, ein offenes Zelt, aufgebaut. Es gibt pinkfarben­e Zuckerwatt­e, die mehr weiß wirkt. Und Wahlkampfg­eschenke, die teilweise für Verwirrung sorgen. Ob das ein Nähzeug sei, will eine Teenagerin wissen. Nur fast, erklärt eine Neos-Mitarbeite­rin, es handle sich um ein Kondom. Gemeinsame­s Lachen rettet die Situation. Während auf dem Kondom der Schriftzug „für mehr öffentlich­en Verkehr“steht (gemeint sind Busse), gibt es Taschentüc­her („Nase voll von alter Politik?“) oder pinkfarben­e Schnitten.

Neben Collini sind die Nationalra­tsabgeordn­ete Martina Künsberg Sarre und der lokale Jugendkand­idat Christoph Müller vor Ort. Der erste Versuch, einen Passanten mit dem Thema Transparen­z zu überzeugen, will nicht recht gelingen. „Es sind eh alle korrupt“, zürnt er. Die Neos seien anders, entgegnet Collini. Der Mann bleibt bei seiner

These. „Haben Sie noch nie etwas ohne Rechnung machen lassen, um keine Mehrwertst­euer zu zahlen?“, fragt er Collini. Darauf geht sie nicht ein, sie betont lieber, auch gegen zu hohe Parteienfö­rderung zu sein. „Das ist ein guter Punkt“, gesteht ihr der Mann nun zu. Und schimpft dann doch weiter über alle Politiker.

Die negative Grundstimm­ung gegenüber Volksvertr­etern bekommt der Neos-Tross auch an einem Marktstand zu spüren, von dem man die Pinken verscheuch­t: „Ich will ja ein Geschäft machen“, meint der Inhaber. Redefreudi­ger ist ein älterer Herr, der an einem Tisch im Freien Wein trinkt. „Ich bin bald 80 und weiß heute wirklich nicht, wen ich wählen soll“, erklärt er. Collini wittert ihre Chance: „Da muss ich jetzt a Achterl bestellen“, sagt sie. Beim Kreisky, erzählt der Mann, habe ohne Protektion auch nichts funktionie­rt. „Aber damals ist es der Bevölkerun­g gut gegangen“– im Gegensatz zu heute. Um die Zustände zu bekämpfen, brauche man „einen größeren Hebel“, sagt Collini, ein viertes Mandat. „Und dass Korruption normal ist, will ich nicht hinnehmen.“

„Eine Frau mit Kinderwage­n hat keine Hand frei – Collini legt ihr ein Prospekt auf den Kinderwage­n. Die Mutter verspricht, sich „einzulesen“. Eine andere Frau rechnet komplett mit der Politik ab und glaubt an Ungereimth­eiten. „Mit den Wahlkarten wird Schindlude­r getrieben“, ist sie sich sicher. Und dann solle man heutzutage auch schon Babys zur Fremdbetre­uung abgeben. „Das ist Wahlfreihe­it“, kontert Künsberg Sarre.

„TV wie beim Ceau¸sescu“

Collini will „gegen die Frustratio­n“kämpfen – oder „Fruschtrat­ion“, wie sie auf Vorarlberg­erisch sagt. Dass sie aus dem Ländle stammt, sei im niederöste­rreichisch­en Wahlkampf kein Nachteil, meint sie. Es stelle einen Vorteil dar, dass sie „nicht in diesem Biotop sozialisie­rt worden ist“und es nun verändern will. Ein Passant ist sichtlich auch unzufriede­n, vor allem mit diesem „TV Niederöste­rreich“, wie er sagt. „Das ist ja wirklich wie beim Ceaus¸escu“, meint er in Anlehnung an den früheren rumänische­n Diktator. Wen der Passant wählen will, verrät er nicht. Collini hofft aber gerade in Gemeinden wie Perchtolds­dorf auf Stimmengew­inne, auch wenn sie mit manchen pinken Kernthemen in der aktuellen AntiPoliti­ker-Grundstimm­ung nicht durchkomme: „Über Bildung etwa redet im Moment niemand.“

 ?? [ Jana Madzigon ] ?? Indra Collini beim Neos-Wahlkampf in Perchtolds­dorf: Sie will ein viertes Mandat und damit Klubstatus erreichen.
[ Jana Madzigon ] Indra Collini beim Neos-Wahlkampf in Perchtolds­dorf: Sie will ein viertes Mandat und damit Klubstatus erreichen.

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