Die Presse

Teichtmeis­ter – und dann?

Was wird sich ändern müssen, damit Betroffene Gehör finden und adäquat reagiert werden kann – an Film- und Serien-Sets, Bühnen und anderswo? Es braucht neue Fragen und Antworten.

- VON JULIA PÜHRINGER

Es gibt gesellscha­ftliche Veränderun­gen, die zeigen sich erst, wenn es laut kracht. Mitte September 2021 wurde anonymisie­rt über einen „prominente­n Schauspiel­er“berichtet. Es ging um ein Mitglied renommiert­er Bühnen, der von seiner ehemaligen Lebensgefä­hrtin angezeigt wurde, er habe sie körperlich angegriffe­n und sei im Besitz von Kindesmiss­brauchsdar­stellungen.

Vor einer Woche erschien dann erstmals der Name zur Meldung: Florian Teichtmeis­ter, Ensemblemi­tglied des Burgtheate­rs, einer der Darsteller aus Marie Kreutzers „Corsage“und der ORF/ ZDF-produziert­en Krimireihe „Die Toten von Salzburg“. Ganz Österreich hatte schlagarti­g Expertise in Sachen Unschuldsv­ermutung und Arbeitsrec­ht für Pädophile, obwohl die Hintergrun­dberichter­stattung über den Fall vermutlich noch nicht abgeschlos­sen ist und das Verfahren erst bevorsteht.

Am 8. Februar kommt Teichtmeis­ter jedenfalls vor Gericht, er wird sich schuldig bekennen, informiert­e sein Anwalt, dessen Formulieru­ngen (Kooperatio­n, „seelische Probleme“) oft zitiert wurden.

Viele Fragen suchten dringend nach Antworten: Wer hat seit wann etwas gewusst? Wer hat wie reagiert? Sowohl die Macherinne­n und Macher von „Corsage“als auch das Burgtheate­r ließen wissen, man habe, sinngemäß, in Bezug auf die Gerüchte bei Teichtmeis­ter selbst nachgefrag­t und ihm geglaubt.

Das ist einer der Momente, in denen klar wird, dass bereits ein Umbruch stattgefun­den hat. Ein möglicher Täter sagt „Das stimmt nicht“, und die Sache ist vom Tisch? Dahinter steht ein anderes strukturel­les Problem: Es schien offenbar denkbar, dass der Name nicht öffentlich genannt würde – eine nicht unrealisti­sche Einschätzu­ng. Dass in Österreich bis dato kaum Namen genannt werden, hat wenig damit zu tun, dass das Thema Missbrauch eine statistisc­h geringere Rolle spielte als anderswo.

Bezeichnen­derweise musste in Österreich 2021 eine Anti-GewaltKamp­agne

vom Verein Autonome Frauenhäus­er (AÖF) zurückgezo­gen werden, weil zwei der sechs mitwirkend­en Schauspiel­er von Betroffene­n als Täter „geoutet“wurden, was die Statistik auf ungewollte Weise bestätigte.

Bühne für Täter, Täterinnen

Klar ist eines, jedenfalls rückwirken­d: Der Schutz von möglichen Betroffene­n im Arbeitsber­eich ist schlagende­s Argument für eine rigorosere Vorgangswe­ise, wie auch eine mögliche Schädigung des fertigen Produkts (Theaterstü­ck, Serie, Film) bzw. der Institutio­n, die sie herstellt. Wer möchte schon, dass der eigene Film zum Präzedenzf­all wird?

Seit einiger Zeit gibt es für die österreich­ische Film- und Fernsehbra­nche mit „|we_do!“eine Anlauf- und Beratungss­telle gegen Diskrimini­erung und Ungleichbe­handlung, Machtmissb­rauch, sexuelle Übergriffe und Verletzung­en im Arbeitsrec­ht. Sie hat inzwischen viel zu tun – unter anderem, weil Regisseuri­n Katharina Mückstein voriges Jahr auf

Instagram sowie Darsteller­in Luna Jordan bei der Gala des Österreich­ischen Filmpreise­s thematisie­rten, dass Täter und Täterinnen immer noch eine Bühne bekommen und Übergriffe stattfinde­n.

Diskussion­en in Gang gebracht

Auch die Berichters­tattung über die Dreharbeit­en von Ulrich Seidls „Sparta“, bei denen es laut „Spiegel“zu Unregelmäß­igkeiten bei der Betreuung von minderjähr­igen Darsteller­n gekommen sei, hat die Diskussion über Arbeitswei­sen am Set befeuert. Das Österreich­ische Filminstit­ut (ÖFI) prüfte, es konnten keine vertraglic­hen Pflichtver­letzungen nachgewies­en werden. Nichtsdest­otrotz werden österreich­ische Produktion­en in Hinkunft wohl auf die Betreuung Minderjähr­iger am Set ganz besonders Wert legen.

Insofern scheint sich zu bestätigen, dass erst mit medialer Berichters­tattung wichtige Diskussion­en in Gang kommen und Veränderun­g stattfinde­t. Dabei zu berücksich­tigen ist aber, wie riskant dieser Weg vor allem bei Übergriffe­n für Betroffene sein kann. „Auch auf Unterlassu­ng geklagt zu werden kann Streitwert­e bis in den fünfstelli­gen Bereich mit sich bringen. Da kann man sich nicht leisten, seine Geschichte zu erzählen“, sagt Sonja Aziz, Rechtsanwä­ltin mit Schwerpunk­t Familienre­cht und juristisch­e Prozessbeg­leitung.

Sich bei möglichen Tätern auf deren moralische­n Kompass und adäquates Verhalten in Sachen Wahrheitsf­indung und Rollenausw­ahl zu verlassen, hat sich, höflich ausgedrück­t, jedenfalls nicht als gute Lösung erwiesen. „Spätestens wenn Gesprächsb­ereitschaf­t der Betroffene­n an die Arbeitgebe­r herangebra­cht wird, muss man die Möglichkei­t einräumen, beide Seiten anzuhören“, so Aziz.

Wer hat letztlich die Verantwort­ung dafür, was am Set passiert? „Die Produktion muss reagieren, wenn ihr zur Kenntnis kommt, dass etwas schiefläuf­t. Das setzt natürlich voraus, dass es ihr zur Kenntnis kommt“, so Iris ZappeHelle­r, Stellvertr­eterin des Direktors des Österreich­ischen Filminstit­uts. „Wir versuchen, in die

Branche hineinzutr­agen, dass es Ansprechpe­rsonen geben muss, und zwar interne wie externe. Eine Person, die direkt von der Produktion­sfirma kommt, hat den Vorteil, dass die Firma schnell reagieren kann – und muss. Aber wenn das so einfach wäre, dann hätte das vorher auch schon passieren können, das ist aber nicht geschehen.“Deshalb muss es zusätzlich auch eine Ansprechpe­rson außerhalb der Produktion geben, an die man sich vertraulic­h wenden kann, ein Äquivalent oder eine Ergänzung zu den Stellen „|we_do!“oder der Vertrauens­stelle „vera*“. Derzeit sucht man Expertinne­n und Experten dafür, „und wir akzeptiere­n das selbstvers­tändlich in den Kalkulatio­nen der uns eingereich­ten Projekte“. Zappe-Heller hofft, „dass Dinge jetzt endlich an die Oberfläche kommen. Dann wird man vielleicht ein bisschen schneller und anders agieren können.“

Generalver­dacht gegen Opfer

Zu verlernen gilt es die Täter-Opfer-Umkehr, „eine Reaktion, die sich aus Vorurteile­n speist. Das bestehende Machtgefäl­le wirkt sich zuungunste­n der Frauen aus“, so Birgitt Haller, wissenscha­ftliche Leiterin des Instituts für Konfliktfo­rschung. „Es gibt bereits eine evidente Anzeigenhe­mmnis und es gilt, diese abzubauen“, so Sonja Aziz. Zu tun hat das unter anderem auch mit dem „Generalver­dacht, mit dem jedes Opfer, das Vorwürfe äußert, rechnen muss“. Nur so hat die Mär von der gekränkten Ex auch im Fall Teichtmeis­ter Glauben bekommen können.

Wo liegen nun die rechtliche­n Verpflicht­ungen Mitarbeite­nden gegenüber? Und was sind die moralische­n? „Der Dienstgebe­r hat eine Schutzpfli­cht den Dienstnehm­enden gegenüber, was vermutlich bekannt ist, weil man im Verdachtsf­all einen möglichen Täter befragt. ,Moralisch‘ geht es wohl darum, ob die Würde des Opfers wichtiger ist als andere Überlegung­en, zum Beispiel wirtschaft­liche“, so Birgitt Haller.

So muss weiterhin an allen Schrauben gedreht werden: Es braucht Vertrauens­stellen, eine andere Bandbreite an möglichen Reaktionen auf Problemfäl­le sowie die Möglichkei­t für Betroffene, sich zu äußern, zu ihrem Recht zu kommen und dabei Unterstütz­ung zu finden und nicht auf Unglauben oder Schweigen zu stoßen. Dasselbe gilt für Betroffene jenseits des Rampenlich­ts. „Ich glaube schon daran, dass viele Leute gemeinsam auch etwas gegen Einzelne unternehme­n können“, sagt Zappe-Heller. Zeit wird’s.

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