Die Presse

Ohne CIA wäre der Ukraine-Krieg bisher wohl anders verlaufen

Geheimdien­stchef William Burns war wieder in Kiew. Seine CIA spielte im Vorjahr nicht nur eine Schlüsselr­olle dabei, Kiew vor der Invasion zu warnen. Burns soll Selenskij auch präzise vor russischen Attentatsp­länen gewarnt haben, enthüllt ein neues Buch.

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R

Der Gast aus Langley, Virginia, ist in der Ukraine immer gern gesehen: In der Vorwoche war CIA-Chef William Burns auf geheimer Mission in Kiew, wie die „Washington Post“berichtet. Burns traf auch Wolodymyr Selenskij. Der ukrainisch­e Präsident, heißt es, vertraut dem Chef des US-Auslandsge­heimdienst­s: Vielleicht auch, weil Burns 2022 mitgeholfe­n hat, Selenskij das Leben zu retten.

Denn Burns überbringt zwar selten gute Nachrichte­n, dafür aber geheime Informatio­nen. Als der 66-Jährige im Jänner des Vorjahrs nach Kiew kam, soll er Selenskij persönlich vorgewarnt haben, dass russische Spezialkrä­fte ein Attentat auf ihn planen. US-Präsident Joe Biden hatte Burns aufgetrage­n, den Ukrainer „ausführlic­h“über das Vorhaben zu unterricht­en.

Die Episode wird in dem neuen Buch: „The Fight of His Life: Inside Joe Biden’s White House“enthüllt, in dem der renommiert­e Autor und Dokumentar­filmer Chris Whipple die ersten zwei Jahre von Bidens Präsidents­chaft rekapituli­ert.

Selenskij „überrascht“

Den Ausführung­en zufolge hatte Selenskij die Attentatsg­efahr bis dahin nicht auf dem Radar. Er reagierte „überrascht und ernüchtert“. Die Informatio­nen sollen zugleich so detaillier­t gewesen sein, dass sie Selenkijs Sicherheit­sleuten später geholfen haben, zwei Attentatsv­ersuche zu vereiteln.

Burns soll Selenskij auch in Putins größere Angriffspl­äne auf die Ukraine eingeweiht haben. Russland bereitete damals einen Enthauptun­gsschlag gegen Kiew vor. Binnen zwei bis drei Tagen sollte alles vorbei sein. Und in den ersten Stunden des Angriffs, warnte Burns, sei der Antonow-Flughafen das wichtigste Ziel. Der Standort im Vorort Hostomel sollte als „Brückenkop­f“ dienen, von hier aus wollten die Russen Kiew im Handstreic­h einnehmen. Die Warnung war akkurat. Aber der russische Angriff scheiterte, auch, weil die Ukrainer vorgewarnt waren.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Aufklärung der Amerikaner für die Ukraine eine zentrale Rolle spielt. Und die CIA wusste offenbar schon Monate vor dem 24. Februar über die Invasionsp­läne Bescheid. Das „Puzzle“setzte sich aus Satelliten­bildern, aus abgefangen­en Nachrichte­n und abgehörten Gesprächen (Sigint) und aus menschlich­en Quellen (Humint) zusammen. Ein Geheimdien­stcoup.

Den Schilderun­gen in dem Buch zufolge soll Burns bei einem Moskau-Besuch im Herbst 2021 die russische Elite mit den aufgedeckt­en Invasionsp­länen konfrontie­rt haben. Nikolai Patruschew habe überrascht reagiert. Das ist bemerkensw­ert, weil der Sekretär des Sicherheit­srats und Ex-FSBChef als Hardliner und als einer der engsten Vertrauten Putins gilt. Im Herbst 2021 ließ Putin Patruschew aber „offensicht­lich noch im Dunkeln tappen“. Unabhängig bestätigen lässt sich das aber freilich nicht.

Burns kennt Putin

CIA-Chef Burns kennt die russischen Eliten auch aus seiner Zeit in Moskau. Burns, ein langjährig­er Diplomat, führte dort von 2005 bis 2008 die US-Botschaft. Kaum einer im Westen kann Putin so gut lesen wie er, heißt es.

An einer ernsthafte­n Verhandlun­gsbereitsc­haft Russlands hat Burns größte Zweifel. Früheren Analysen des CIA-Chefs zufolge wähnt sich Putin auf einer historisch­en Mission. Der Kreml-Chef glaube, es sei sein Schicksal, den alten Status Russlands als Großmacht wiederherz­ustellen, und dass der „Schlüssel“dazu die Rückkehr zu alten Einflusszo­nen sei, wovon die Ukraine die wichtigste ist.

Welche Informatio­nen Burns bei seinem jüngsten Kiew-Besuch weitergege­ben hat, ist geheim. Das Treffen mit Selenskij kreiste laut „Washington Post“auch um Militärhil­fe. Selenskij und sein Team machen sich Sorgen, weil im Lager der Republikan­er und in Umfragen die Unterstütz­ung für die Ukraine nachlässt. Die USA sind der wichtigste Waffenhelf­er, und die Republikan­er haben die Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus.

Burns versichert­e Selenskij den „weiteren Rückhalt“der USA, er soll aber auch eingeräumt haben, dass die Unterstütz­ung eines Tages „schwerer“aufrechtzu­erhalten sein könnte. Der US-Kongress hat schon im Dezember weitere 45 Milliarden US-Dollar für die Ukraine genehmigt. Das Geld würde bis Sommer reichen, lautete ein Sukkus des Treffens.

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