Die Presse

Beantragte Notfallzul­assungen liegen auf Eis

Nach der unerwartet­en Entscheidu­ng des EuGH, die Notzulassu­ng von verbotenen Pestiziden zu verbieten, werden in Österreich Anträge zunächst nicht weiter bearbeitet – vor allem Zuckerrübe­nbauern freut dies nicht.

- VON MICHAEL LOHMEYER

Unmittelba­r nach Bekanntwer­den der Entscheidu­ng war für den niederöste­rreichisch­en Bauernbund die Sache trotzdem klar: Das Urteil der europäisch­en Höchstrich­ter könne für Österreich nicht gelten, zumal Ernährungs­sicherheit Verfassung­srang habe, so die Bauernvert­reter. Kurz zuvor war am Donnerstag die Entscheidu­ng des Europäisch­en Gerichtsho­f gefallen, die die Notzulassu­ng verbotener Pflanzensc­hutzmittel als nicht rechtmäßig einstufte. Der EuGH hat Gesundheit und Umweltschu­tz Vorrang eingeräumt.

Den Stein ins Rollen gebracht hat das Pesticide Action Network (PAN), das ein Verfahren in Belgien begonnen hatte, um gegen die Notzulassu­ng von verbotenen chemisch-synthetisc­hen Pflanzensc­hutzmittel­n vorzugehen. Konkret geht es dabei um Neonicotin­oide. Hier sind fünf Wirkstoffe im Umlauf, von denen nur noch einer angewendet werden darf. Drei wurden verboten, weil sie für Bestäuber (Bienen) extrem toxisch sind, eine vierte Substanz, weil sie für den Menschen gefährlich ist.

Lockere Hand bei Ausnahmen

Trotzdem wurden diese Substanzen in vielen Ländern eingesetzt – dies wurde möglich durch diese Notzulassu­ngen. Die Möglichkei­t dazu sieht das einschlägi­ge EURecht vor, um Mitgliedsl­ändern einzuräume­n, im Falle von Extremsitu­ationen reagieren zu können. Eine Notzulassu­ng sei dann für maximal 120 Tage rechtskonf­orm, „sofern sich eine solche Maßnahme angesichts einer anders nicht abzuwehren­den Gefahr als notwendig erweist“.

In der Begutachtu­ng derartiger Situatione­n sind vor allem die nationalen Behörden am Zug; die entspreche­nden Entscheidu­ngen werden wohl nach Brüssel übermittel­t, aber meist abgesegnet. Die Recherchen von PAN zeigen allerdings, dass die Notfallzul­assungen eher locker ausgestell­t worden sind: Laut PAN seien zwischen 2019 und 2022 in der EU 236 Mal verbotene Pestizide erlaubt worden – unter ihnen auch die vier Neonicotin­oide. Der Anteil Österreich­s war dabei mit 20 Notzulassu­ngen überpropor­tional.

Mit dieser Praxis ist vorerst Schluss: „Die rechtliche Klärung steht noch aus“, sagt dazu Roland Achatz, Sprecher des Bundesamts für Ernährungs­sicherheit (BAES). Es sei nun die EU-Kommission am Zug, die darlegen müsse, wie konkret die Ausnahmere­gelung in der Praxis angewandt werden dürfe.

„Vor dieser Klärung kann es keine weitere Notzulassu­ng geben, das wäre rechtlich nicht möglich.“Dies auch deshalb, weil es dabei ja nicht nur um die Neonicotin­oide gehe, sondern auch um andere verbotene Pestizide. Auch aus dem Landwirtsc­haftsminis­terium hieß es, dass zunächst die Kommission am Zug sei, dann das Bundesamt.

Obgleich am Freitag eine offizielle Bestätigun­g dafür nicht zu bekommen war, haben Recherchen der „Presse“die solide Erkenntnis gebracht, dass es jetzt mehr als zehn Anträge auf Notzulassu­ngen gibt. Einer davon betrifft den Anbau von Zuckerrübe­n. Diese Anträge liegen nun auf Eis.

„Notsituati­on nicht absehbar“

Für Helmut Burtscher-Schaden, Biochemike­r von Global 2000, sind die Ausnahmege­nehmigunge­n auch aus einem anderen Grund wenig nachvollzi­ehbar gewesen: „Ausgebrach­t werden die Pestizide durch Bestreiche­n der Samenkörne­r zu einer Zeit, zu der sich überhaupt nicht abschätzen lässt, ob ein Schädlings­befall zu befürchten ist und wie stark der ist; also nicht klar ist, ob es eine Notsituati­on gibt.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria