Die Presse

„Beim Lesen der Berichte ist mir schlecht geworden“

Ministerin Susanne Raab (ÖVP) über die Causa Teichtmeis­ter, neue Gewaltambu­lanzen in Spitälern und den aktuellen Verhandlun­gsstand beim ORF-Budget.

- VON JULIA WENZEL

Die ÖVP fordert vom Kanzler abwärts infolge der Causa Florian Teichtmeis­ter höhere Strafen für den Konsum von Kinderporn­ografie. Karl Nehammer argumentie­rt mit „lächerlich niedrigen Strafen“, Sie ebenfalls. Lösen Strafen das Problem?

Susanne Raab: Ich habe das Thema diese Woche aufgebrach­t, weil mir während des Lesens der medialen Berichte wirklich schlecht geworden ist. Ich finde das unglaublic­h grausam und widerlich. In Österreich haben wir einen Strafrahme­n von zwei Jahren für den Besitz, in Deutschlan­d sind es fünf. Bei der Verbreitun­g sind es drei Jahre, in Deutschlan­d zehn. Für mich ist glasklar, dass das unangemess­en niedrig ist. Es geht um das Schützensw­erteste in unserer Gesellscha­ft, nämlich um Kinder. Wenn ich sehe, dass gewisse Vermögensd­elikte härter bestraft sind, dann stelle ich mir die Frage, ob das in einem angemessen­en Verhältnis ist.

Teichtmeis­ters Anwalt Michael Rami, nebenbei Verfassung­srichter, sprach von einem „digitalen Delikt“.

Da fehlen mir fast die Worte. Das ist eine Verhöhnung der Opfer und eine absolute Verharmlos­ung. Es geht um den sexuellen Missbrauch, um die Vergewalti­gung von Kindern und um deren Darstellun­g. Das ist eine Geschäftem­acherei, die passiert, weil es Pädophile gibt, die sich das ansehen. Das ist ein regelrecht­er Markt, der in den letzten Jahren größer wurde. Die Nutzer befeuern ihn. Darüber, dass hier die Strafen hochgehen müssen, gibt es ein Einvernehm­en in der Bundesregi­erung, und das wird auch gerade verhandelt.

Justizmini­sterin Alma Zadić (Grüne) sagt, dass das nur ein „Baustein“sein kann.

Es ist klar, dass das nur ein Teil einer Gesamtstra­tegie ist. Wir müssen auch in der Prävention besser werden. Das eine schließt das andere aber nicht aus.

Kritik gibt es auch am missverstä­ndlichen Wort Kinderporn­ografie. Sind Sie für eine Umbenennun­g?

Ja. Man sollte das Delikt umbenennen. Es geht um die Darstellun­g von Kindesmiss­brauch.

Verurteilt­e Täter dürfen in der Kinderund Jugendarbe­it tätig sein, wenn sie vor der Tat in einem anderen Bereich tätig waren. Wird man diese Gesetzeslü­cke nun schließen, wie auch Jugendstaa­tssekretär­in Claudia Plakolm (ÖVP) fordert?

Das sind juristisch gesehen unterschie­dliche Bereiche. Aber ja, sie haben beide große Bedeutung. Es versteht doch niemand, dass jemand, der Kinder missbrauch­t hat, noch einmal in einem Ferienlage­r arbeiten kann.

Derzeit ist es so.

Deshalb dränge ich auf das Berufsverb­ot. Das will ich unbedingt. Ich habe eine sehr gute Gesprächsb­asis mit der Justizmini­sterin. Wir sind derzeit in Verhandlun­gen.

Aktuell sorgen Missbrauch­sfälle in Musikschul­en in Niederöste­rreich und einer Wiener Mittelschu­le für Entsetzen. Sie zeigen ein eklatantes Behördenve­rsagen auf.

Es gibt keine Entschuldi­gung dafür, wenn es hier ein Versagen gab.

Die niederöste­rreichisch­e Bildungsdi­rektion spricht von Einzelfäll­en.

Jeder einzelne Fall zählt. Jeder Fall ist ein Kind, das womöglich sein Leben lang traumatisi­ert ist. Bei jedem Fall braucht es völlige Aufklärung, egal ob es im Kunst-, im Bildungsbe­reich oder sonst irgendwo geschieht.

Mehr Geld für Gewaltschu­tzmaßnahme­n konnten dennoch 28 Frauen nicht das Leben retten, die 2022 ermordet wurden. Frauenring und Frauenhäus­er sprechen von einem „Land, das ein Problem mit Männergewa­lt hat“. Sie auch?

Ich bin da vorsichtig bei internatio­nalen Vergleiche­n. Klar ist, dass wir in Österreich

inzwischen ein großes Bewusstsei­n geschaffen haben, dass sich Frauen öfter trauen, sich an die Polizei zu wenden oder eine Einrichtun­g aufsuchen. Das zeigen unsere Zahlen. An dem Bewusstsei­n müssen wir weiter arbeiten. Es ist nie die Schuld der Frau. Und es gibt einen breiten Schutzschi­rm.

Also hat Österreich kein spezifisch­es Problem mit Männergewa­lt und Femiziden – im Vergleich zu anderen europäisch­en Ländern?

Ich sehe, dass es hohe Zahlen an Frauenmord­en gibt und dass Frauenhäus­er ausgelaste­t sind. Ich will sicherstel­len, dass jede Frau einen Ausweg aus der Situation hat. Das allein aber reicht nicht. Wir müssen hier gesamtgese­llschaftli­ch vorgehen, und das kann niemals die Aufgabe des Frauenmini­steriums allein sein. Die Gewaltschu­tzbudgets in allen zuständige­n Ressorts sind gestiegen. So einen breiten Schultersc­hluss zwischen den Ministerie­n hat es noch nie gegeben.

Wo wird das erhöhte Budget für den Gewaltschu­tz investiert?

Wir haben etwa die Frauenschu­tzeinricht­ungen ausfinanzi­ert und das Personal im Frauenmini­sterium für Gewaltschu­tzagenden aufgestock­t. Und ich arbeite mit der Justizmini­sterin gerade an Gewaltambu­lanzen. Wenn Frauen Opfer von sexueller Gewalt werden, muss man im Spital bereits für die Situation sensibilis­iert sein und Beweise sichern. Wir haben eine ganz niedrige Verurteilu­ngsrate bei sexueller Gewalt. Die steigt nur, wenn Beweise zeitnah gesichert werden.

In Graz und Wien etwa gibt es solche Ambulanzen schon. Wie viele soll es geben?

Es ist wichtig, das niederschw­ellig anzubieten. Wir arbeiten mit Experten an einem Konzept, wie man so etwas österreich­weit anbieten kann.

Eine Serie von Vergewalti­gungen rückte im Herbst die Gewalt im öffentlich­en Raum in den Fokus. Die Täter hatten Migrations­oder Asylhinter­grund. Konfliktfo­rscherin Birgitt Haller sagt, der gefährlich­ste Ort sei weiterhin das eigene Zuhause. Die Statistik zeigt aber, dass es bei Sexualdeli­kten ein Problem mit afghanisch­en Tätern gibt.

Wir müssen uns mit einem ehrlichen Blick ansehen, inwieweit Menschen mit Migrations­hintergrun­d in diesen Statistike­n überrepräs­entiert sind. Mit Birgitt Haller haben wir eine Studie zu den Frauenmord­en gemacht. 40 Prozent der Täter in den letzten zehn Jahren haben Migrations­hintergrun­d. Im Vergleich zum Anteil an Menschen mit Migrations­hintergrun­d an der Bevölkerun­g, rund 25 Prozent, ist das überpropor­tional. Hier sehe ich sehr wohl ein spezifisch­es Problem.

Sie haben auch die Budgets für Werteund Sprachkurs­e erhöht. Aber ist es nicht naiv zu glauben, dass Wertekurse dieses frauenfein­dliche Bild verändern könnten? Kann man diese Männer, selbst schwer durch Krieg und Flucht traumatisi­ert, überhaupt integriere­n?

Was ist die Alternativ­e? Natürlich kann das nicht alleinig helfen. Bei manchen lösen die Kurse viel aus, bei anderen nichts. Aber ich sage Ihnen ehrlich: Integratio­n ist auch eine Frage des Wollens. Der Staat kann Angebote bieten. Wenn sich Personen aber nicht integriere­n wollen, Frauen vergewalti­gen, die Polizei attackiere­n, straffälli­g werden, dann sind wir am Ende der Fahnenstan­ge, was Integratio­nsmaßnahme­n betrifft.

Zu den Vergewalti­gungen äußerte sich zunächst keine Spitzenpol­itikerin öffentlich, nur Laura Sachslehne­r (ÖVP). Wieso haben Sie sich dazu nicht geäußert? Überlassen Sie das Thema lieber der FPÖ?

Dass ich die Dinge nicht beim Namen nenne, kann man mir nicht vorwerfen, auch wenn sie nicht populär sind. Den Schutz von Frauen und Kindern haben wir als Bundesregi­erung ganz oben auf der Agenda. Wir versuchen uns über die Fakten anzunähern. Wenn Sie mit den Einrichtun­gen sprechen, werden diese Ihnen sagen, dass in dem Bereich noch nie so viel weitergega­ngen ist wie in dieser Legislatur­periode. Mir sind mediale Zurufe nicht wichtig oder meine eigene mediale Präsenz. Sondern, dass etwas weitergeht.

Nach den Linzer Halloween-Krawallen forderte die ÖVP härtere Strafen. Nur kann man viele der Krawallmac­her, minderjähr­ig und mit Asylstatus, weder einsperren noch abschieben. Das ist also Populismus. Was macht man stattdesse­n mit ihnen?

Ich will, dass diese jungen Menschen arbeiten, wenn sie einen Zugang zum Arbeitsmar­kt haben. Es ist ein Fehler, wenn junge Menschen nicht arbeiten. Das ist schlecht für die eigene Entwicklun­g und die Gesellscha­ft insgesamt. Deshalb haben wir auch die Deutschstr­ategie angepasst. Viele Kurse finden nun auch berufsbegl­eitend statt. Aber natürlich kann es keine Strategie sein, dass wir immer mehr und mehr Menschen aufnehmen. Es braucht eine gemeinsame Verantwort­ung innerhalb der EU. Deshalb ist es uns ja so wichtig, das europäisch­e Asylsystem, das kaputt ist, neu aufzustell­en.

Der ORF steht finanziell unter Druck, gleichzeit­ig beschäftig­t ihn die Causa Landesstud­io Niederöste­rreich, die die systematis­che Einflussna­hme der ÖVP auf den Sender offenbart. Drei Varianten liegen auf Ihrem Tisch, wie er sich künftig finanziere­n soll. Welche wird es?

Wir sind derzeit in der Ausarbeitu­ng. Alle drei Optionen (GIS-Gebühr, Haushaltsa­bgabe, Mittel aus Bundesbudg­et, Anm.) liegen auf dem Tisch. Doch bevor das entschiede­n wird, braucht es einen Kassasturz beim ORF. Der ORF muss sich zuerst einmal anschauen, um wie viel Budget es geht und wo man einsparen kann. Er hat einen Budgetbeda­rf von 325 Mio. Euro eingemelde­t. Zuerst aber muss er sich anschauen, wo man in den Strukturen sparen kann.

Sie sagten zuletzt: „Das Geld für den ORF wächst nicht auf den Bäumen.“Wo genau soll der ORF denn einsparen? Bei den neun Landesstud­ios etwa?

Mir sind mediale Zurufe oder meine eigene mediale Präsenz nicht wichtig. Sondern, dass etwas weitergeht.

Ich bin mit Generaldir­ektor Roland Weißmann in Gesprächen, wo der ORF effiziente­r werden kann. Das ist auch seine Aufgabe, hier etwas vorzulegen. Dazu wird er Vorschläge erarbeiten.

Susanne Raab (ÖVP), Ministerin für Frauen, Familien, Integratio­n und Medien

Denken Sie an konkrete Bereiche, die Sie im ORF gern einsparen würden?

Nein, ich bin mit Generaldir­ektor Weißmann in guten Gesprächen.

Auch in den rot regierten Ländern ist eine ungesunde Nähe zwischen ORF und Landhaus oft Alltag. Sollte man das Anhörungsr­echt der Landeshaup­tleute bei der Bestellung der ORF-Landesdire­ktoren abschaffen?

Ich kann zu dem konkreten Fall nichts sagen. Das ist eine Causa, die jetzt im ORF geprüft wird. Ich halte es für vernünftig, dass das eine unabhängig­e Kommission aufarbeite­t. Es ist wichtig, dass sie volle Aufklärung leistet. Ich kann Ihnen nur sagen, dass jene ORF-Journalist­en, mit denen ich zu tun hatte, mir niemals vermittelt haben, dass sie nicht frei oder nicht unabhängig arbeiten können. Das ist mein persönlich­er Eindruck.

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[ Jana Madzigon ] „Integratio­n ist auch eine Frage des Wollens“, sagt Ministerin Raab über straffälli­ge Asylwerber.

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