Die Presse

Ein Lebenszeic­hen der Skination

Zumindest für 24 Stunden ist die Streif in österreich­ischer Hand. Dank Vincent Kriechmayr, einer denkwürdig­en Gondelfahr­t und des spektakulä­r gescheiter­ten Topduos.

- Aus Kitzbühel berichtet JOSEF EBNER

Als Vincent Kriechmayr am Freitagmor­gen um 8.30 Uhr aus der Bergstatio­n der Hahnenkamm­bahn schritt, war der Schalter bereits umgelegt. Fokus und Konzentrat­ion waren spürbar, kein Small Talk, kein Blick nach links und rechts, nur der entschloss­ene Gang in Richtung Starthaus der Streif.

Was folgte, war Kriechmayr­s umjubelter Heimsieg in Kitzbühel und die endgültige Krönung des derzeit besten ÖSV-Abfahrers. Gröden, Bormio und Wengen standen bereits im Palmarès des Mühlviertl­ers, nun kam auch noch der letzte und größte der europäisch­en Abfahrtskl­assiker hinzu. Nach Kriechmayr­s drittem Weltcupsie­g des Winters gilt mehr denn je: Findet der 31-Jährige das Selbstvert­rauen, um an sein Limit zu gehen, ist der Sieg eher Regel als Ausnahme, selbst bei nicht gänzlich perfekter Fahrt.

Wie sehr wurde in Kitzbühel über die Lockerheit gestaunt, mit der der Oberösterr­eicher die Hahnenkamm­woche,

immerhin die wichtigste und kräfteraub­endste für einen österreich­ischen Abfahrer, bisher absolviert­e. Mit welcher Leichtigke­it er durchwachs­ene Trainingsl­äufe wegsteckte, Interviews gab und allen Verpflicht­ungen nachkam, die einem Aushängesc­hild der Skination nicht erspart bleiben. Und wie er dabei stets betonte, dass er nach seinen jüngsten Kitzbühel-Ergebnisse­n mit einem Sieg nur überrasche­n könnte.

All das, um zum richtigen Zeitpunkt den Schalter zu betätigen. Der Rennleiter erzählte Kriechmayr frühmorgen­s bei der Gondelbahn, dass bei der zweiten Streif-Abfahrt am Samstag ein weiterer Wintereinb­ruch droht. „Ich habe gesagt, ,dann muss ich heute alles riskieren‘. Sonst hätte ich heute zurückgeno­mmen, damit ich morgen mehr Energie habe. So habe ich heute das Herz in die Hand genommen.“Eine Fußnote dieses Erfolgs:

Mit dem achten Abfahrtssi­eg hat Kriechmayr nun den vor drei Wochen überrasche­nd zurückgetr­etenen Matthias Mayer überholt.

Natürlich, Kriechmayr nutzte auch die Gunst der Stunde: Mit Aleksander Aamodt Kilde, dem einzigen Läufer, der neben dem ÖSV-Star in diesem Winter schon Abfahrten gewonnen hatte, und Weltcup-Überfliege­r Marco Odermatt patzten die beiden Topfavorit­en – spektakulä­r noch dazu. Nur mit viel Glück und Instinkt konnten sie böse Stürze in Steilhang (Odermatt) und Traverse (Kilde) vermeiden. Der Schweizer Odermatt wird nach dem erlittenen Schlag eine Rennpause einlegen.

Wie es tatsächlic­h um die Skination Österreich in der Königsdisz­iplin steht, zeigt der Blick auf die Ergebnisli­ste. Nur zwei ÖSV-Läufer fuhren in die Punkteräng­e (Top 30), Sieger Kriechmayr und Otmar Striedinge­r (14.). Zu dünn ist die Personalre­serve im Speedteam, die zweite Reihe konnte auch dann nicht mithalten, als die Streif schneller und schneller wurde und plötzlich jeder jeden schlagen konnte – der Südtiroler Florian Schieder fuhr mit Startnumme­r 43 auf Platz zwei. Gleich sechs Läufer in den Top zwölf hatten Startnumme­rn jenseits der 30.

Wiederholu­ng?

Ruhm und Ehre sind Kriechmayr fürs Erste nur kurz vergönnt. Da die Kitzbühel-Organisato­ren unbeirrt an ihrem Abfahrtsdo­ppel festhalten – Gefallen findet sonst niemand daran –, ist für heute (11.30 Uhr, live, ORF1, Eurosport) eine zweite Abfahrt angesetzt. Dieses Rennen gilt als traditione­lle Hahnenkamm-Abfahrt. Ob StreifCham­pion Kriechmayr glaubt, dann noch einmal den richtigen Schalter umlegen zu können? „Ich glaube nicht.“

Dass ich mich Kitzbühel-Sieger nennen darf wie ein Matthias Mayer und andere Legenden, ist großartig. Vincent Kriechmayr

Ergebnisse Kitzbühel-Abfahrt

1. Vincent Kriechmayr (AUT) 1:56,16 Min.

2. Florian Schieder (ITA) +0,23 Sek.

3. Niels Hintermann (SUI) +0,31 Sek.

Weiters: 14. Striedinge­r +0,88, 33. Hemetsberg­er +1,65, 43. Babinsky +2,19, 45. Ploier +2,20,

48. Schütter +2,55.

 ?? [ Getty ] ?? Das rot-weiß-rote Happy End eines wahren Kitzbühel-Krimis: Vincent Kriechmayr ist jetzt auch Streif-Champion.
[ Getty ] Das rot-weiß-rote Happy End eines wahren Kitzbühel-Krimis: Vincent Kriechmayr ist jetzt auch Streif-Champion.

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