Wie faszinierend wären indigene Religionen ohne Gewalt?
„Voodoo“wurde im Westen Synonym für Aberglauben, Garant für Gänsehaut. Wohl auch deswegen fördert der Staat Benin nun diese Religion.
Die meisten Praktiken gelten Schutz und Heilung. Aber Ritualmorde sind schwer auszurotten.
Voodoo statt Wissenschaft: Die Corona-Testpflicht für Chinesen ist falsch“, titelt eine deutsche Zeitung. In der Überzeugung, dass die solches Lesenden wissen, was mit „Voodoo“gemeint ist: lächerlicher Aberglaube natürlich – das Gegenteil von Wissenschaft eben.
Und ich stelle mir vor, wie diese Art von Titel irgendwo in Westafrika oder in der Karibik lauten könnte, zum Beispiel: „Katholizismus statt Wissenschaft: Die Corona-Testpflicht für Chinesen
ist falsch“. Was bei den einen Glaube heißt (dessen Verfall dann selbst in Zeitungen beklagt werden kann, die zwei Coronajahre lang darauf gepocht haben, dass nur die Wissenschaft zählt), heißt bei den anderen Aberglaube. Und wo der eine sich via Hahnenopfer mit Gott verbindet oder auf die Welt einzuwirken versucht, indem er in Figürchen piekst, versuchen die anderen es mit einem Gebet.
Jedenfalls wird im westafrikanischen Staat Benin diese Religion nicht nur offiziell anerkannt, sondern von der Politik derzeit sehr gefördert, nicht nur aus religiöser Inbrunst. Von Benin als touristenanlockendem Mekka der Voodoo-Religion träumt der dortige Kultur-und-TourismusMinister,
ein Voodoo-Museum und Voodoo-Festival sind geplant.
Die Rechnung könnte im Hinblick auf westliche Besucher aufgehen, neugierig gemacht durch Mythen in der westlichen Populärkultur. Allein der Name Voodoo garantiert dort seit Langem wohlige Gänsehaut. Man denke an den Voodoo-Priester Baron Samedi im James-Bond-Film „Leben und sterben lassen“(1973) und Hollywood-Zombiefilme, an Comics wie „Tim und Struppi im Sonnentempel“oder die „Voodoo Lounch“-Tournee der Rolling Stones. Außerdem gibt es in Nordamerika, wohin diese Glaubensvorstellungen einst durch Sklaven gekommen ist, einige starke Voodoo-Szenen, etwa in New Orleans.
Auch wenn die Schadensmagie mittels gestochener Püppchen das bekannteste Element ist, macht es nur einen winzigen Teil der Voodoo-Praktiken aus; in ihnen geht es vielmehr um Schutz und Heilung. Trotzdem hüte man sich vor der Verklärung indigener Glaubensvorstellungen. Auch jene, dass man durch Blut und Organe anderer Lebewesen etwas erwirken kann, ist tief verankert. Eine Folge davon in einigen afrikanischen Staaten, vereinzelt auch in Benin: Ritualmorde an Kindern, in Auftrag gegeben etwa von Geschäftsleuten und Politikern, die sich von Herz oder Zunge Gesundheit erhoffen, Macht und Geld.