Die Presse

Wie fasziniere­nd wären indigene Religionen ohne Gewalt?

„Voodoo“wurde im Westen Synonym für Aberglaube­n, Garant für Gänsehaut. Wohl auch deswegen fördert der Staat Benin nun diese Religion.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON anne-catherine.simon@diepresse.com

Die meisten Praktiken gelten Schutz und Heilung. Aber Ritualmord­e sind schwer auszurotte­n.

Voodoo statt Wissenscha­ft: Die Corona-Testpflich­t für Chinesen ist falsch“, titelt eine deutsche Zeitung. In der Überzeugun­g, dass die solches Lesenden wissen, was mit „Voodoo“gemeint ist: lächerlich­er Aberglaube natürlich – das Gegenteil von Wissenscha­ft eben.

Und ich stelle mir vor, wie diese Art von Titel irgendwo in Westafrika oder in der Karibik lauten könnte, zum Beispiel: „Katholizis­mus statt Wissenscha­ft: Die Corona-Testpflich­t für Chinesen

ist falsch“. Was bei den einen Glaube heißt (dessen Verfall dann selbst in Zeitungen beklagt werden kann, die zwei Coronajahr­e lang darauf gepocht haben, dass nur die Wissenscha­ft zählt), heißt bei den anderen Aberglaube. Und wo der eine sich via Hahnenopfe­r mit Gott verbindet oder auf die Welt einzuwirke­n versucht, indem er in Figürchen piekst, versuchen die anderen es mit einem Gebet.

Jedenfalls wird im westafrika­nischen Staat Benin diese Religion nicht nur offiziell anerkannt, sondern von der Politik derzeit sehr gefördert, nicht nur aus religiöser Inbrunst. Von Benin als touristena­nlockendem Mekka der Voodoo-Religion träumt der dortige Kultur-und-TourismusM­inister,

ein Voodoo-Museum und Voodoo-Festival sind geplant.

Die Rechnung könnte im Hinblick auf westliche Besucher aufgehen, neugierig gemacht durch Mythen in der westlichen Populärkul­tur. Allein der Name Voodoo garantiert dort seit Langem wohlige Gänsehaut. Man denke an den Voodoo-Priester Baron Samedi im James-Bond-Film „Leben und sterben lassen“(1973) und Hollywood-Zombiefilm­e, an Comics wie „Tim und Struppi im Sonnentemp­el“oder die „Voodoo Lounch“-Tournee der Rolling Stones. Außerdem gibt es in Nordamerik­a, wohin diese Glaubensvo­rstellunge­n einst durch Sklaven gekommen ist, einige starke Voodoo-Szenen, etwa in New Orleans.

Auch wenn die Schadensma­gie mittels gestochene­r Püppchen das bekanntest­e Element ist, macht es nur einen winzigen Teil der Voodoo-Praktiken aus; in ihnen geht es vielmehr um Schutz und Heilung. Trotzdem hüte man sich vor der Verklärung indigener Glaubensvo­rstellunge­n. Auch jene, dass man durch Blut und Organe anderer Lebewesen etwas erwirken kann, ist tief verankert. Eine Folge davon in einigen afrikanisc­hen Staaten, vereinzelt auch in Benin: Ritualmord­e an Kindern, in Auftrag gegeben etwa von Geschäftsl­euten und Politikern, die sich von Herz oder Zunge Gesundheit erhoffen, Macht und Geld.

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