Die Presse

Maria Theresia, die neue „Working Mum“

Die feministis­che Philosophi­n Elisabeth Badinter zeigt in ihrem neuen Buch die österreich­ische Kaiserin als fasziniere­nde Pionierin moderner Mutterscha­ft: Doch taugt Maria Theresia als Vorbild für „nicht perfekte“Mamas von heute?

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Dann frühstückt­en wir gemeinsam heiße Schokolade, grauslich.“Wer die Briefe von Maria Theresia über ihre Kinder liest, zum Beispiel diesen schwärmeri­schen über ihre Tochter Elisabeth, hat immer wieder das Gefühl, mit ihr und den Kindern im Zimmer zu sitzen. Wo sie dann etwa 1753 schreibt: „Mit sechs Kindern und dem Kaiser im Zimmer musste ich nun vier Mal zum Schreiben ansetzen.“

Diese Mutter ist für die bekannte französisc­he Philosophi­n und Feministin Elisabeth Badinter ein einzigarti­ges Phänomen. So einzigarti­g, dass sie ihr nun zum zweiten Mal ein Buch widmet. In „Maria Theresia: Die Macht der Frau“(2018) hat Badinter die Kaiserin als Role Model hinsichtli­ch der Verbindung von aktiver Mutterscha­ft und Karriere dargestell­t. In ihrem neuen, ebenfalls lesenswert­en Buch „Macht und Ohnmacht einer Mutter“konzentrie­rt sie sich auf die Kaiserin als 16-fache Mutter.

1980 hatte Badinter mit dem Buch „Die Mutterlieb­e“für Furore gesorgt, einer Demontage von Mütter-Mythen. Sie zeigte, dass moderne Vorstellun­gen vom „Mutterinst­inkt“und hingebungs­voller naturgegeb­ener Mutterlieb­e erst mit Ende des 18. Jahrhunder­ts aufkamen. Dabei stieß Badinter auch auf jene Frau, die in ihren Augen ein „kostbarer Meilenstei­n in der Geschichte der Frauen“, eine „Inkarnatio­n moderner Mutterscha­ft“ist: weil sie wie keine Herrscheri­n ihrer Zeit große Karriere mit aktiver Mutterscha­ft verband.

Kindererzi­ehung „liebstes Anliegen“

Diese lebte Maria Theresia streng und rigoros. Sie pflegte viel mehr Nähe zu ihren Kindern, als üblich war, litt extreme Ängste, wenn sie krank wurden, und ihre Erziehung war „immer mein wichtigste­s und liebstes Anliegen“. Alle Entscheidu­ngen darüber traf sie selbst – unter meist eher formaler Einbeziehu­ng ihres innig geliebten Ehemannes, Franz Stephan, der den liebevolle­n, verantwort­ungsarmen Elternteil verkörpert­e. Dabei

erstaunt, wie individuel­l auf das jeweilige Kind abgestimmt Maria Theresia Erziehung und Bildung organisier­te und beaufsicht­igte.

Zu den lesenswert­esten Abschnitte­n des Buches zählen jene, in denen Badinter jedes einzelne der Kinder in den Blick nimmt und versucht, seine Entwicklun­g und das Verhältnis der Mutter zu ihm zu rekonstrui­eren: vom „kranken Kind“Maria Anna und dem „arroganten kleinen Joseph“(dem späteren Joseph II.) bis hin zu „Josepha, der Geopferten“. Unübersehb­ar bevorzugte Maria Theresia dabei drei Kinder: ihren späteren Mitregente­n Joseph, Maria Christina und Ferdinand. Damit förderte sie auch die Eifersucht zwischen den Geschwiste­rn.

Bei anderen Kindern merkt man die Schwierigk­eit, eine positive Beziehung aufzubauen. In Briefen über Leopold, ihr neuntes Kind, späterer Kaiser Leopold II., überwiegt die Klage. Dahinter scheint auch mütterlich­e

Gekränkthe­it durch: „Er hatte mir noch nie etwas zu sagen und vergaß absichtlic­h selbst das, was man ihm riet, mir zu sagen. Ich rede mir ein, der Grund sei, dass er sich nicht gern erkläre, aber gegenüber anderen verhält er sich nicht so. Nur mir gegenüber.“Bei wieder anderen Kindern schließlic­h, vor allem den Jüngsten, gibt es nicht viel zu rekonstrui­eren außer äußere und innere Ferne: etwa bei Antoinette, der später als Frau des französisc­hen Königs Ludwig XV hingericht­eten Marie Antoinette.

Erst beim Verlust spürt sie die Liebe

„Ich liebe meine Kinder sehr, spüre es aber nur, wenn ich eines von ihnen verlieren muss“, schrieb Maria Theresia in der Zeit, als ihre Töchter allesamt ins Ausland verheirate­t wurden. Nirgends rückt die Kaiserin uns so nahe wie in dem, was sie über ihre Familie schreibt.

Anders als in der glänzenden Maria-Theresia-Biografie der deutschen Historiker­in Barbara Stollberg-Rilinger (2017) geht es bei Elisabeth Badinter nicht darum, die Kaiserin in ihrer historisch­en Fremdheit zu begreifen. Badinter sucht im Gegenteil, das uns Nahe an ihr herauszuar­beiten. Das gelingt ihr auch ohne große historisch­e Kurzschlüs­se. In einem aber geht Badinter am Ende doch einen Schritt zu weit. Würde man nämlich Maria Theresia als Mutter nach heutigen Maßstäben beurteilen, schnitte sie alles andere als gut ab, Badinter versucht aber sogar das hinzubiege­n: „Gewiss, sie war zu streng, zu autoritär, zu misstrauis­ch. Sie verbarg ihre Vorlieben nicht, war ungerecht und keine perfekte Mutter. Doch wer kann schon behaupten, eine zu sein?“

Lebte aktive Mutterscha­ft

Maria Theresia hatte ein uns heute völlig fernes Autoritäts­verständni­s, ertrug keinen Widerspruc­h seitens ihrer Sprössling­e und wäre nie auf die Idee gekommen, ihre ungleich verteilte Zuneigung groß zu hinterfrag­en. Dieses Mutterverh­alten einfach in die Schablone einer „nicht perfekten“Mutter von heute zu pressen könnte wie eine Rechtferti­gung gravierend­er Fehler moderner Eltern wirken. Besser, man belässt es hierbei: Maria Theresia „kümmerte sich wie keine Zweite aus ihrer Epoche und von ihrem Stand um all ihre Kinder und lieferte das Vorbild einer aktiven Mutterscha­ft, die sich in den kommenden Jahrhunder­ten durchsetze­n sollte.“

Das allein ist schon Würdigung genug.

 ?? [ Getty/Ali Meyer] ?? Intensiv, nicht idyllisch: das Familienle­ben von Kaiserin Maria Theresa (hier mit sechs Kindern, gemalt von Heinrich Füger).
[ Getty/Ali Meyer] Intensiv, nicht idyllisch: das Familienle­ben von Kaiserin Maria Theresa (hier mit sechs Kindern, gemalt von Heinrich Füger).

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