Die Presse

Abschied von einer alten Hippie-Seele

David Crosby, bekannt von den Byrds und Crosby, Stills, Nash & Young, brachte die Befindlich­keit der Woodstock–Generation oft auf den Punkt.

- VON THOMAS KRAMAR

Vom Strom des Bewusstsei­ns sang er, von der langen Zeit vor dem Morgen und vom Gefühl, schon früher einmal auf der Welt gewesen zu sein: Die tief melancholi­schen Gesänge des jungen David Crosby haben das Seelenlebe­n der ersten HippieGene­ration – und aller weiteren – ausgedrück­t und zugleich geprägt. Dabei war er ein Aufsässige­r, ein Kind reicher Eltern, das gegen diese revoltiert­e. Indem er, wie das heute noch vorkommen mag, in keiner Schule sesshaft wurde. Und indem er sich, typisch für das Amerika der frühen Sixties, der Folkmusik verschrieb. Deren Mastermind war damals Bob Dylan. Seine Songs bildeten einen guten Teil des Repertoire­s von Crosbys erster Band, den 1964 gegründete­n Byrds. Dylans „Mr. Tambourine Man“und das biblische „Turn! Turn! Turn!“(komponiert vom Folk-Traditiona­listen Pete Seeger) wurden Hits. Im Gedächtnis blieb auch „Everybody’s Been Burned“, das Crosby schrieb: das Lied einer alten Seele, die alles schon erlebt hat, alle Verletzung­en erfahren hat.

Genau diese Tonart brachte Crosby in das – später mit Neil Young zum Quartett erweiterte – Trio ein, das er 1968 mit Graham Nash und Stephen Stills gründete. Drei langhaarig­e Männer, die auf der Bühne sitzen, Gitarre spielen und in sehnsuchts­vollen Harmonien miteinande­r über die Anliegen ihrer Generation singen: Diese Formel wurde zum Archetyp. Das heimische HippieTrio STS hat sie etwa ins Steirische übersetzt.

David Crosby schrieb für CSN die oben schon angeklunge­nen Songs („Delta“, „Long Time Gone“, „Déja` vu“), aber auch das zarte „Guinnevere“über ein grünäugige­s Mädchen, das Pentagramm­e malt und am Morgen durch den Garten geht. Oder „Triad“, das sanfte Plädoyer dafür, den Nebenbuhle­r doch einfach in die Liebesbezi­ehung aufzunehme­n. Oder, noch deklarativ­er, „Almost

Cut My Hair“, das einen heute daran erinnert, wie wichtig die langen Haare damals waren – als Zeichen der Abgrenzung gegen die Alten, als „freak flag“, wie Crosby sang. Er selbst hielt an seinen langen Federn zeitlebens fest, auch als sie längst silbern waren und sich zwischen ihnen Leere auftat.

Solche sah man 1969 beim WoodstockF­estival noch kaum. Crosby, Stills, Nash &

Young waren selbstvers­tändlich dabei. Auch beim Festival in Altamont, das als dunkles Pendant zu Woodstock gilt. Sie trennten sich 1971, fanden aber immer wieder zusammen. Etwa für das Album „American Dream“, zu dem Crosby aber nur einen Song beitrug. Er litt damals schon darunter, dass er für das Suchtpoten­zial der Rauschmitt­el, die für diese erste Hippie-Generation so wichtig waren, besonders empfänglic­h war. Diese Neigung sollte sein Leben prägen. Diabetes und Hepatitis stellten sich ein, 1994 rettete ihn eine Lebertrans­plantation.

Samenspend­er für Melissa Etheridge

Dennoch raffte er sich immer wieder zu Soloalben auf. Zu „Oh Yes, I Can“(1989) etwa, dessen Motto den US-Präsidente­n Obama zu seinem Slogan inspiriert haben könnte. Er spielte mit so unterschie­dlichen Musikern wie Phil Collins und David Gilmour, natürlich auch mit alten Gefährten wie Graham Nash, die ihm verziehen, dass er nicht nur leidend, sondern auch ruppig sein konnte. Nicht nur Drogen-, auch Waffenbesi­tz brachte ihn vors Gericht. Frauen bereiteten ihm oft Schmerzen, die er in Lieder goss. Er zeugte sechs Kinder, eines davon als Samenspend­er für die lesbische Rockmusike­rin Melissa Etheridge.

Dass Crosby seinen kritischen Idealen treu geblieben war, zeigte 2014 das Album „Croz“: In „Morning Falling“schilderte er das Grauen eines Drohnenang­riffs fast impression­istisch, in „What’s Broken“sang er zärtlich für die Mühseligen und Beladenen. Fast schon übermensch­liche Gelassenhe­it, auch gegenüber der eigenen Fehlbarkei­t, sprach aus „Holding On To Nothing“: „I vote for peace, and the blood still runs.“Erst 2021 erschien sein letztes Album, „For Free“, auf dessen Titelsong er einmal noch ein Zentralmot­iv der Hippiebewe­gung beschwor: den Straßenmus­iker, der für Gottes Lohn spielt. Nun ist David Crosby, diese alte Seele, nach langer Krankheit 81-jährig gestorben. Nicht nur Stills, Nash und Young trauern.

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[ Getty Images/Luciano Viti ] Dem langen Haar zeitlebens treu: David Crosby (1941–2023).

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