Die Presse

Für Bachmann ist die Burg „kein Piratensch­iff“

Ästhetik statt Aktivismus: Der designiert­e Theaterdir­ektor verrät erste Pläne und Tendenzen.

- VON ANDREY A NOLD

Noch probt Stefan Bachmann am Schauspiel Köln für seine nächste Inszenieru­ng. Aber in 15 Monaten muss der designiert­e Direktor des Burgtheate­rs den Spielplan für seine erste Saison in Wien (2024/25) vorstellen, und die Konzepte für die Bühnenbild­er müssen schon vor dem kommenden Sommer stehen.

In einem Interview mit der APA hat Bachmann nun die Richtung skizziert, die er einschlage­n will. Man merkt dabei, dass der 56-Jährige den Moden des Zeitgeists durchaus abgeklärt bis skeptisch gegenübers­teht: Diversität, Inklusion und Genderflui­dität seien „nicht die einzigen Themen, die es gibt“. Mit anderen Sprachen als Deutsch will er das Publikum nur vorsichtig und schrittwei­se konfrontie­ren: Wo man „das auf dogmatisch­e, radikale Weise versucht“hat, dort habe man „viele Menschen verloren“.

„Schönheit produziere­n“

Die „neue Generation“der Theatermac­her hält er für „extrem politisch, wenn nicht gar aktivistis­ch“. Bachmann warnt aber davor, Politik und Kunst zu verwechsel­n: „Kunst ohne Ästhetik ist keine Kunst.“Theater sei „immer auch eine Gegenwelt“mit dem utopischen Auftrag, „Schönheit zu produziere­n“: „Ich muss ja auch eine Liebe entwickeln zum Leben und zur Welt!“Diese Haltung passe zu seiner künftigen Wirkungsst­ätte: „Die Burg kann kein Piratensch­iff sein“, im Gegensatz etwa zum Wiener Volkstheat­er oder zur Berliner Volksbühne.

Sehr wohl wünscht sich Bachmann aber eine „zugänglich­e Burg“mit mehr Besuchern, die bisher nicht ins Theater gegangen sind. Beim Ensemble hat sich der Neue schon in dieser Woche vorgestell­t, zusammen mit einem dreiköpfig­en Kernteam, das er von Köln übernimmt. In der Öffentlich­keit will er aber noch keine Namen nennen. Als Übernahmek­andidaten für das Programm sieht Bachmann seine aktuelle Kölner Regiearbei­t „Johann Holtrop“, die Dramatisie­rung eines Romans von Rainald Goetz.

Und was sagt der künftige Intendant zur Causa Teichtmeis­ter, die gerade alle Gemüter erregt? Hätte das Burgtheate­r früher auf die Gerüchte reagieren müssen, dass sein Ensemblemi­tglied Kinderporn­ografie hortet? „Ich werde mich hüten, von außen eine Beurteilun­g abzugeben.“Außerdem sei es ihm „immer suspekt, im Nachhinein zu wissen, was man hätte tun sollen“. (APA/red.)

Pädophilie ist ein heikles Thema – in nahezu jeder erdenklich­en Hinsicht. Ein positiver Aspekt des Falls Teichtmeis­ter ist, dass er in Österreich einen einigermaß­en sachlichen Diskurs darüber angeregt hat. Dennoch ist absehbar, dass die offene, ernsthafte Auseinande­rsetzung mit pädophilen Neigungen und dem manchmal daraus resultiere­nden Missbrauch auf lange Sicht ein implizites Tabu bleiben wird.

Man könnte annehmen, dass sich auch das tendenziel­l eher auf Mehrheitsf­ähigkeit ausgericht­ete Medium Film vor dieser diffizilen, oft das Polemische schürenden Materie scheut. Dabei gibt es erstaunli chvieleFil­me, die versuchen, sich ihr auf seriöse Weise anzunähern. Dass die wenigsten davon in den Abos der Streamingd­ienste zu finden sind, zeugt zwar von ihrem geringen Markt

wert als „Unterhaltu­ng“(entspreche­nd sind auch diese Streamingt­ipps nicht als Empfehlung­en für einen „netten TV-Abend“zu verstehen). Aber ihre Verfügbark­eit zum Leihen und Kaufen bei diversen Anbietern belegt, dass es hier Interesse an Aufklärung gibt – abseits von sensationa­listischen TrueCrime-Formaten wie „To Catch a Predator“.

Im Spielfilm ist Österreich hier ein Spitzenrei­ter, wohl auch aufgrund medial prominente­r Missbrauch­sfälle (P iklopil, Fritzl). Nicht nur Ulrich Seidls rezenter Film „Sparta“porträtier­t Pädophile (einen Topos, den Seidl schon in „Paradies: Hoffnung“gestreift hat) mit einer sorgfältig abgewogene­n Mischung aus Nähe und Distanz. Auch Markus Schleinzer­s Regiedebüt „Michael“, das 2011 in Cannes Premiere gefeiert hat, bleibt die gesamte Laufzeit über bei seiner Titelfigur – einem in seiner Spießigkei­t verstörend­en Missbrauch­stäter, der sich abmüht, eine Fassade der Normalität zu wahren. Weniger spekulativ sind zwei Arbeiten von Sebastian Meise („Große Freiheit“): Während der Spielfilm „Stillleben“auf recht undramatis­che Weise erzählt, wie eine Familie mit der (nur als Rollenspie­l mit Prostituie­rten ausgelebte­n) Pädophilie des Vaters umgeht, folgt die Langzeitdo­ku „Outing“einem pädophilen Studenten bei dessen – auch therapeuti­sch – verfolgter Bestrebung, mit seiner Neigung leben zu lernen.

Auf Anklage und Aufrüttelu­ng zielt indes Barbora Chalupov s und V´ıt Klus ks tschechisc­her Dokumentar­film „Gefangen im Netz“ab, der den Gefahren von pädosexuel­ler Cyberkrimi­nalität für Kinder nachgeht. Auch Kindesmiss­brauch im Kontext der Kirche kommt in Arthaus-Produktion­en zur Sprache – etwa in Fran ois Ozons „Gelobt sei Gott“oder Pedro Almod vars „Lam ala educaci n“.

Wechselt man von Europa in die USA, schwindet auf den ersten Blick der Wille zur differenzi­erten Erörterung. Das HollywoodK­ino zeichnet Pädophile gern als dämonische Übeltäter – wie im Horrordram­a „Black Phone“, in dem Ethan Hawke in der Rolle des bösen „Kinderverz­ahrers“sogar eine Teufelsmas­ke trägt. Oder im Fantasydra­ma „The Lovely Bones“, erzählt aus der Perspektiv­e des toten Opfers ein es unheimlich­en Mädchenmör­ders (Stanley Tucci).

Rachefanta­sien und Läuterungs­dramen

Da war schon Fritz Langs „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“(1931), in dem Peter Lorre einen pathologis­chen Triebtäter spielt, weniger mystifizie­rend. Und erging sich zudem nicht in grotesken Rachefanta­sien – wie es etwa der Psychothri­ller „Hard Candy“tut.

Selbst in einem prinzipiel­l humanistis­ch gepolten Film wie Sean Bakers „The Florida Project“trägt eine Episode, in der ein mutmaßlich Pädophiler einem Spielplatz zu nahe kommt, Züge des unverhohle­nen Ekels. Freilich: In den Vereinigte­n Staaten überschrei­tet die (Moral-)Panik um pädophile Sexualstra­ftäter besonders oft das Maß berechtigt­er Sicherheit­sbedenken. Nicht von ungefähr haben so viele dort entstanden­e, weltweit umgehende Verschwöru­ngstheorie­n eine pädokrimin­elle Komponente. Dennoch gibt es auch im US-Kino Beispiele für komplexere Sichtweise­n auf das Reizthema.

Ein Beispiel mit Starbesetz­ung ist das (fast zu weich gezeichnet­e) Läuterungs­melodram „The W oodsman“: Kevin Bacon gibt in diesem einen reuevollen Belästiger Minderjähr­iger, der nach einem längeren Gefängnisa­ufenthalt um die Chance auf ein neues Leben ringt. Ähnlich, aber um einiges bitterer, legt Todd Field (dessen Film „T r“heuer Oscar-Aussichten hat) die Pädophilen­figur im Vorstadt-Ensemblest­ück „Littl eC hildren“an: Der einstige Kinder- und nunmehrige Charakterd­arsteller Jackie Earle Haley, seit geraumer Zeit abonniert auf ästhetisch oder anderswie befremdlic­he Typen, beeindruck­t darin als psychisch labiler Exhibition­ist, dessen Resozialis­ierung nicht zuletzt an den Vorurteile­n seines Umfelds scheitert.

Zurück nach Europa: Noch ausdrückli­chere Kritik an überhastet­er Vorverurte­ilung übt Thomas Vinterberg­s „Die Jagd“. Ein Kinderbetr­euer (Mads Mikkelsen) gerät hier nach unbedachte­n Äußerungen eines Mädchens ins Kreuzfeuer seiner verunsiche­rten Dorfgemein­schaft. Und die Opfer von Missbrauch? Sie stehen nur selten im Fokus von Spielfilme­n – am öftesten vielleicht sogar im Genrekino. Ein jüngeres Beispiel: die halluzinat­orische Stephen-King-Verfilmung „Gerald’s Game“. Ein Coming-of-Age-Film wie Gregg Arakis „Mysterious Skin“hingegen, der die Nachbeben von Missbrauch­straumata direkt adressiert, findet sich gar nicht in hiesigen Streaming-Gefilden. Bedauerlic­h.

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[ Tobis/StudioCana­l ] Auch Stars spielten schon Figuren mit pädophilen Neigungen: Kevin Bacon in „The Woodsman“.

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