Für Bachmann ist die Burg „kein Piratenschiff“
Ästhetik statt Aktivismus: Der designierte Theaterdirektor verrät erste Pläne und Tendenzen.
Noch probt Stefan Bachmann am Schauspiel Köln für seine nächste Inszenierung. Aber in 15 Monaten muss der designierte Direktor des Burgtheaters den Spielplan für seine erste Saison in Wien (2024/25) vorstellen, und die Konzepte für die Bühnenbilder müssen schon vor dem kommenden Sommer stehen.
In einem Interview mit der APA hat Bachmann nun die Richtung skizziert, die er einschlagen will. Man merkt dabei, dass der 56-Jährige den Moden des Zeitgeists durchaus abgeklärt bis skeptisch gegenübersteht: Diversität, Inklusion und Genderfluidität seien „nicht die einzigen Themen, die es gibt“. Mit anderen Sprachen als Deutsch will er das Publikum nur vorsichtig und schrittweise konfrontieren: Wo man „das auf dogmatische, radikale Weise versucht“hat, dort habe man „viele Menschen verloren“.
„Schönheit produzieren“
Die „neue Generation“der Theatermacher hält er für „extrem politisch, wenn nicht gar aktivistisch“. Bachmann warnt aber davor, Politik und Kunst zu verwechseln: „Kunst ohne Ästhetik ist keine Kunst.“Theater sei „immer auch eine Gegenwelt“mit dem utopischen Auftrag, „Schönheit zu produzieren“: „Ich muss ja auch eine Liebe entwickeln zum Leben und zur Welt!“Diese Haltung passe zu seiner künftigen Wirkungsstätte: „Die Burg kann kein Piratenschiff sein“, im Gegensatz etwa zum Wiener Volkstheater oder zur Berliner Volksbühne.
Sehr wohl wünscht sich Bachmann aber eine „zugängliche Burg“mit mehr Besuchern, die bisher nicht ins Theater gegangen sind. Beim Ensemble hat sich der Neue schon in dieser Woche vorgestellt, zusammen mit einem dreiköpfigen Kernteam, das er von Köln übernimmt. In der Öffentlichkeit will er aber noch keine Namen nennen. Als Übernahmekandidaten für das Programm sieht Bachmann seine aktuelle Kölner Regiearbeit „Johann Holtrop“, die Dramatisierung eines Romans von Rainald Goetz.
Und was sagt der künftige Intendant zur Causa Teichtmeister, die gerade alle Gemüter erregt? Hätte das Burgtheater früher auf die Gerüchte reagieren müssen, dass sein Ensemblemitglied Kinderpornografie hortet? „Ich werde mich hüten, von außen eine Beurteilung abzugeben.“Außerdem sei es ihm „immer suspekt, im Nachhinein zu wissen, was man hätte tun sollen“. (APA/red.)
Pädophilie ist ein heikles Thema – in nahezu jeder erdenklichen Hinsicht. Ein positiver Aspekt des Falls Teichtmeister ist, dass er in Österreich einen einigermaßen sachlichen Diskurs darüber angeregt hat. Dennoch ist absehbar, dass die offene, ernsthafte Auseinandersetzung mit pädophilen Neigungen und dem manchmal daraus resultierenden Missbrauch auf lange Sicht ein implizites Tabu bleiben wird.
Man könnte annehmen, dass sich auch das tendenziell eher auf Mehrheitsfähigkeit ausgerichtete Medium Film vor dieser diffizilen, oft das Polemische schürenden Materie scheut. Dabei gibt es erstaunli chvieleFilme, die versuchen, sich ihr auf seriöse Weise anzunähern. Dass die wenigsten davon in den Abos der Streamingdienste zu finden sind, zeugt zwar von ihrem geringen Markt
wert als „Unterhaltung“(entsprechend sind auch diese Streamingtipps nicht als Empfehlungen für einen „netten TV-Abend“zu verstehen). Aber ihre Verfügbarkeit zum Leihen und Kaufen bei diversen Anbietern belegt, dass es hier Interesse an Aufklärung gibt – abseits von sensationalistischen TrueCrime-Formaten wie „To Catch a Predator“.
Im Spielfilm ist Österreich hier ein Spitzenreiter, wohl auch aufgrund medial prominenter Missbrauchsfälle (P iklopil, Fritzl). Nicht nur Ulrich Seidls rezenter Film „Sparta“porträtiert Pädophile (einen Topos, den Seidl schon in „Paradies: Hoffnung“gestreift hat) mit einer sorgfältig abgewogenen Mischung aus Nähe und Distanz. Auch Markus Schleinzers Regiedebüt „Michael“, das 2011 in Cannes Premiere gefeiert hat, bleibt die gesamte Laufzeit über bei seiner Titelfigur – einem in seiner Spießigkeit verstörenden Missbrauchstäter, der sich abmüht, eine Fassade der Normalität zu wahren. Weniger spekulativ sind zwei Arbeiten von Sebastian Meise („Große Freiheit“): Während der Spielfilm „Stillleben“auf recht undramatische Weise erzählt, wie eine Familie mit der (nur als Rollenspiel mit Prostituierten ausgelebten) Pädophilie des Vaters umgeht, folgt die Langzeitdoku „Outing“einem pädophilen Studenten bei dessen – auch therapeutisch – verfolgter Bestrebung, mit seiner Neigung leben zu lernen.
Auf Anklage und Aufrüttelung zielt indes Barbora Chalupov s und V´ıt Klus ks tschechischer Dokumentarfilm „Gefangen im Netz“ab, der den Gefahren von pädosexueller Cyberkriminalität für Kinder nachgeht. Auch Kindesmissbrauch im Kontext der Kirche kommt in Arthaus-Produktionen zur Sprache – etwa in Fran ois Ozons „Gelobt sei Gott“oder Pedro Almod vars „Lam ala educaci n“.
Wechselt man von Europa in die USA, schwindet auf den ersten Blick der Wille zur differenzierten Erörterung. Das HollywoodKino zeichnet Pädophile gern als dämonische Übeltäter – wie im Horrordrama „Black Phone“, in dem Ethan Hawke in der Rolle des bösen „Kinderverzahrers“sogar eine Teufelsmaske trägt. Oder im Fantasydrama „The Lovely Bones“, erzählt aus der Perspektive des toten Opfers ein es unheimlichen Mädchenmörders (Stanley Tucci).
Rachefantasien und Läuterungsdramen
Da war schon Fritz Langs „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“(1931), in dem Peter Lorre einen pathologischen Triebtäter spielt, weniger mystifizierend. Und erging sich zudem nicht in grotesken Rachefantasien – wie es etwa der Psychothriller „Hard Candy“tut.
Selbst in einem prinzipiell humanistisch gepolten Film wie Sean Bakers „The Florida Project“trägt eine Episode, in der ein mutmaßlich Pädophiler einem Spielplatz zu nahe kommt, Züge des unverhohlenen Ekels. Freilich: In den Vereinigten Staaten überschreitet die (Moral-)Panik um pädophile Sexualstraftäter besonders oft das Maß berechtigter Sicherheitsbedenken. Nicht von ungefähr haben so viele dort entstandene, weltweit umgehende Verschwörungstheorien eine pädokriminelle Komponente. Dennoch gibt es auch im US-Kino Beispiele für komplexere Sichtweisen auf das Reizthema.
Ein Beispiel mit Starbesetzung ist das (fast zu weich gezeichnete) Läuterungsmelodram „The W oodsman“: Kevin Bacon gibt in diesem einen reuevollen Belästiger Minderjähriger, der nach einem längeren Gefängnisaufenthalt um die Chance auf ein neues Leben ringt. Ähnlich, aber um einiges bitterer, legt Todd Field (dessen Film „T r“heuer Oscar-Aussichten hat) die Pädophilenfigur im Vorstadt-Ensemblestück „Littl eC hildren“an: Der einstige Kinder- und nunmehrige Charakterdarsteller Jackie Earle Haley, seit geraumer Zeit abonniert auf ästhetisch oder anderswie befremdliche Typen, beeindruckt darin als psychisch labiler Exhibitionist, dessen Resozialisierung nicht zuletzt an den Vorurteilen seines Umfelds scheitert.
Zurück nach Europa: Noch ausdrücklichere Kritik an überhasteter Vorverurteilung übt Thomas Vinterbergs „Die Jagd“. Ein Kinderbetreuer (Mads Mikkelsen) gerät hier nach unbedachten Äußerungen eines Mädchens ins Kreuzfeuer seiner verunsicherten Dorfgemeinschaft. Und die Opfer von Missbrauch? Sie stehen nur selten im Fokus von Spielfilmen – am öftesten vielleicht sogar im Genrekino. Ein jüngeres Beispiel: die halluzinatorische Stephen-King-Verfilmung „Gerald’s Game“. Ein Coming-of-Age-Film wie Gregg Arakis „Mysterious Skin“hingegen, der die Nachbeben von Missbrauchstraumata direkt adressiert, findet sich gar nicht in hiesigen Streaming-Gefilden. Bedauerlich.