Man hörte, wie Rodolfos Liebe wächst
Intensiv agierende Singschauspieler waren das Atout einer „Bohème“mit vielen Rollendebüts. Dirigentin Eun Sun Kim eilte durch manche Passagen und ließ sogar Benjamin Bernheim volltönend zudecken.
Ein Stupser auf die Nase hier, eine zärtliche Berührung da: Dass kleine Gesten in einer lang bekannten Inszenierung viel ausmachen können, hat die 452. Aufführung von „La Bohème“in der Regie von Franco Zeffirelli gezeigt. Wie Mim`ı und Rodolfo sich hier in der kalten Pariser Mansarde und im Café Momus näherkommen, rührte die Herzen, noch bevor die beiden im Schneetreiben vom Abschied im Frühling sangen.
Nahezu alle Hauptrollen waren mit Sängerinnen und Sängern besetzt, die sich erstmalig am Haus in diesen Partien vorstellten – mit Ausnahme von Benjamin Bernheim, der als Rodolfo die Vorstellung trug. Nicht nur, wie schüchtern er sich im ersten Kennenlernen mit Mim`ı gab und wie liebevoll er bis zum Ende wirkte, machte Eindruck.
Anfangs wenig liebliche Mim`ı
Vor allem war seine raumgreifende, elegant timbrierte Stimme ein Erlebnis für sich. Völlig mühelos und mit sattem Klang sowie Leuchtkraft in allen Registern vermittelte er die zarte, wachsende Verliebtheit des Rodolfo ebenso wie in der Folge die Zerrissenheit und den Schmerz, wobei er jedem noch so kleinen Einsatz hörbar die gleiche Bedeutung zumaß wie den großen Arien.
Als Mim`ı stellte sich Rachel Willis-Sørensen vor, die anfangs weniger lieblich herüberkam als viele ihrer Rollenvorgängerinnen. Das lag wohl auch daran, dass sie dem „S`ı, mi chiamamo Mim`ı“ein wenig zu dramatischen Anstrich gab und manches abrupt nahm. Das Pathos, das sie von Anfang an in ihre Interpretation legte, passte im dritten und vierten Bild dann jedoch umso besser, auch stimmlich wuchs sie immer noch mehr in die Interpretation hinein – und wusste zu berühren.
In Zeffirellis Theatertableaus, die trotz offensichtlicher Armseligkeit und Kälte stets ein Gefühl der Vertrautheit und Geborgenheit ausstrahlen, stellte sich auch Boris Pinkhasovich als Marcello vor. Glaubhaft vermittelte er mit noblem Bariton die Aufgebrachtheit gegenüber seiner Geliebten Musetta (kokett und stimmlich sicher: Anna Bondarenko), ließ aber auch den weichen Kern des harten Kerls erahnen. Fürsorge ausstrahlen konnte auch Peter Kellner als Colline mit rundem, vollem Bass. Er hatte sich in etlichen Partien für Größeres empfohlen. Das tat diesmal der jüngste Debütant, Stefan Astakhov, Jahrgang 1997, als Schaunard.
Alle Darsteller gleichermaßen fügten sich in die Zeffirelli-Inszenierung, ohne sich selbst über Gebühr hervorzustellen. Diese gesunde Bescheidenheit hätte auch der Dirigentin Eun Sun Kim gutgetan, sie hatte zu viel Reformwillen mitgebracht: Wie sie durch manche Passagen förmlich eilte und wie sie sogar Benjamin Bernheim – und das will etwas heißen – in seinen Arien kurzzeitig volltönend zudecken ließ, führte zu einer inhomogenen Wirkung des Abends.