Bandlkramer, Hausierer und „Platzdiener“
Alltag im Wien vor mehr als hundert Jahren – ohne Nostalgie dargestellt.
Er schildert den christsozialen Reichsratsmandatar Hermann Bielohlawek, als hätte er ihn noch am Rednerpult erlebt; erzählt vom ganz und gar nicht vergnüglichen Dasein eines konzessionierten Wiener Dienstmanns; vom Glück und Ende der Hausierer und gewährt uns Einblicke in die heute noch geheimnisumwitterte „Kreta“in Favoriten: Erich Körner-Lakatos, stolzer Wiener und stolzer Ungar, hat sich diesmal jener Zeit angenommen, die Nachgeborene in totaler Verkennung der Lebensumstände als die „gute, alte“bezeichnen.
Geschickt lenkt er den Blick auf den Wiener Vorort Weinhaus im Biedermeier, da im Czartoryski-Schlössel opulente Bälle und Diners abgehalten wurden. Doch die Erben verschleuderten den Besitz (mit immerhin 3670 Quadratmetern Wohnfläche und riesigem Park), 1912 kaufte die Gemeinde Wien die Reste, nach 1945 quartierten sich hier die Kommunisten ein, heute ist eine Sonderschule für Körperbehinderte ein Segen für die Betroffenen.
Bis in die letzten Jahre der Monarchie gab es sie, die „Platzdiener“, in Wien „Dienstmänner“genannt. Ihre Tätigkeit (Besorgungen aller Art, Paketbeförderung usw.) war samt genauer Tarifliste geregelt, ihre Adjustierung hatte gepflegt zu sein, es war also keine Hilfsarbeitertätigkeit für „Strawanzer“. Der Standplatz war genau definiert, begehrt waren naturgemäß die Bahnhöfe. Man hatte von sechs Uhr früh bis acht Uhr abends auszuharren. 40 Heller betrug der Tarif für mündliche Botengänge und Paketbeförderung bis fünf Kilogramm. Darüber galt der doppelte Preis. Vergleich: Ein Krügel Bier kostete 15 Heller. Nicht alle wohnten so komfortabel wie Hans Moser im Film, nämlich bei der Schwester. Viele waren arme Hunde, die nachts arbeiteten und tagsüber ein Bett mieten mussten.
Hausierer bringen die Lebensmittel
Ähnlich erging es den Hausierern. Auch die Tätigkeit dieses bunten Volks war genau reglementiert. Da gab es die Mühlviertler „Sandler“, den Waldviertler „Bandlkramer“, den slowakischen Drahtbinder mit seinen Mäusefallen, den jüdischen Wanderhändler aus Galizien, den „Zwiefelkrowoten“und das Haderlumpenweib. Naturgemäß waren die dem alteingesessenen Handel und Gewerbe ein Dorn im Auge. Um 1900 schätzte man deren Zahl allein im Polizeirayon Wien (samt Niederösterreich) auf 20- bis 30.000. Ab 1. Jänner 1911 war das Hausieren verboten, was für empörte Reaktionen von Hausfrauen sorgte, die es gewöhnt waren, dass ihnen täglich die Butterfrau, die Obst- und Gemüsefrau Lebensmittel ins Haus lieferten.
Eine „Abzocke“spezieller Art stellte die „Verzehrsteuer“dar, die am Linienwall für alle Waren zu leisten war, die vom Land in die Stadt geliefert wurden. Und die lohnte sich für das Ärar durchaus: Im Jahr 1830 verzehrten die 306.000 Bewohner der Inneren Stadt samt den Vorstädten immerhin 77.740 Ochsen, 16.214 Kühe, 126.854 Kälber. Dazu 150.000 Schweine und ebenso viele Schafe. Am Pfingstmontag 1852 vertilgte man im Wiener Prater 12.000 Backhendln, 4000 Gänse und 300 ausgewachsene Ochsen. Diese Verzehrsteuern gab es in vielen Großstädten der Monarchie bis Triest. Es war dies eine einfach handzuhabende, einträgliche Methode des Schröpfens fürs staatliche Budget. Daneben gab es ja auch noch die Monopoleinnahmen für Branntwein, Tabak und Salz.