Junge Bonobos stressen die Geschwister
Das Stresshormon Kortisol steigt stark an, wenn Bonobos ein Geschwisterchen bekommen. Auch das Immunsystem der Älteren leidet mit der Geburt des neuen Kinds. Die Ursache ist unklar: Mit der Entwöhnung und dem Abstillen hängt es nicht zusammen.
Der „Prinzensturz“ist ein bekanntes Phänomen aus der Verhaltensentwicklung. Es bezeichnet die Phase, in der ein Kind plötzlich die Aufmerksamkeit seiner Mutter teilen muss, wenn ein neues Geschwisterchen kommt. „Jede Mutter, die mehr als ein Kind hat, beschäftigt sich mit der Frage“, sagt Andreas Berghänel vom Domestication Lab der Vet-Med-Uni Wien. Auch in der Einzelkindforschung gibt es die Frage, wie sich Menschen entwickeln, die nie diese Entmachtung erlebt haben.
„Aber bei Menschen wurde noch nie physiologisch untersucht, was mit den Kindern passiert, wenn das Geschwisterkind geboren wird“, so Berghänel. Es gibt zwar viele Verhaltensstudien, aber keine Daten zu Stresshormonen oder Stoffwechselreaktionen der älteren Geschwister. Daher bearbeitete Berghänel mit internationalen Kolleginnen und Kollegen die Fragen anhand von Tieren, die Menschen am ähnlichsten sind: Affen.
Forschung im Freiland
Früher war der Zoologe in Thailand tätig, um die Entwicklung von Makaken zu dokumentieren: „Doch Makaken bekommen ihre Kinder immer in denselben Abständen, alle ein bis zwei Jahre. Damit befinden sich die älteren Geschwister immer in ungefähr demselben Entwicklungsstand und Grad der Abhängigkeit von der Mutter. Da ist es schwer zu sagen, ob Änderungen in der Physiologie der Affenkinder anders begründet sind als mit der Ankunft des Geschwisterkindes“, sagt Berghänel. So werden die Makakenkinder zu dieser Zeit auch von der Mutter entwöhnt, was jeweils bei Tier und Mensch mit Änderungen im Stoffwechsel, Verhalten und Stresslevel einhergeht.
Hier kommen die Langzeitdaten aus der Bonobo-Forschung ins Spiel, die am Primatenforschungszentrum in Göttingen vorliegen, an dem Berghänel seine Dissertation geschrieben hat, bevor er 2019 nach Wien übersiedelt ist.
Die LuiKotale-Forschungsstation in der Demokratischen Republik Kongo wird von engagierten Forschenden der Max-Planck-Institute
in Leipzig und Konstanz betreut. Das Camp liegt meilenweit abseits von Siedlungen am Rande des Salonga-Nationalparks und existiert seit 2002.
„In dem Datensatz, der seit über 20 Jahren immer größer wird, finden wir auf viele Fragen Antworten“, sagt Verena Behringer. In der kongolesischen Forschungsstation erforschen Studierende aus der ganzen Welt nicht nur das Verhalten der Menschenaffen, sondern sammeln auch Urin-, Kotund
Haarproben. Die Lösung auf die Frage, wie ältere Geschwister auf die Ankunft des nächsten Kindes reagieren, fand das Team in den Urinproben.
Stresslevel im Urin bestimmt
„Jeder fragt gleich, wie man bei Affen Urin sammelt“, lacht Behringer und erklärt: „Bonobos halten sich meist auf Bäumen auf und bauen sich ein Nachtnest. Wie wir Menschen gehen sie morgens gleich einmal auf die Toilette. Die Bonobos
halten dazu ihren Popo aus dem Nest heraus.“Die Zoologen vor Ort wissen, welches Tier in welchem Nest geschlafen hat und können den Urin der Bonobos in der Früh mit großen Blättern des Regenwalds einfangen. „Manche nehmen auch Frisbeescheiben, aber die muss man dann ja ständig auswaschen“, sagt Behringer. Die Blätter eignen sich hingegen perfekt für den Einmalgebrauch.
So wurden im Affenharn Stresshormone und andere Biomarker
bestimmt. „Bonobos bekommen ihre Kinder in sehr unterschiedlichen Abständen“, sagt Berghänel. Ähnlich wie bei Menschen sind die älteren zwischen zwei und acht Jahre alt, wenn das nächste Geschwisterchen kommt. Die Phase des Abstillens ist also oft schon Jahre her, wenn der „Prinz“entthront wird. „Wir haben nicht nur Erstgeborene untersucht, sondern auch das zweite oder dritte Kind der Mutter“, sagt Behringer.
Überraschenderweise stieg das Stresshormon Kortisol im Urin der Bonobokinder um das Fünffache, nachdem das Geschwisterkind geboren wurde und blieb für lange Zeit, sieben Monate, so hoch. Das Verhalten zwischen Mutter und älterem Kind änderte sich zu der Zeit kaum: Sie hingen nicht weniger an der Brust, wurden nicht weniger getragen oder umsorgt.
Kinder müssen für sich sorgen
Es könnte sein, dass der Stress eher daher kommt, dass die Kinder Streitigkeiten in der Gruppe selbst lösen oder für ihr eigenes Nachtnest sorgen müssen. „Den genauen Grund für den Kortisolanstieg kennen wir nicht, das sollen Folgeuntersuchungen klären“, so Berghänel. Auch bei Mäusen, Fischen und Reptilien ist bekannt, dass sich Stressfaktoren in der Kindheit auf das spätere Leben auswirken.
„Die älteren Bonobokinder haben zudem ein reduziertes Immunsystem, wenn das Geschwisterkind auf die Welt kommt“, fügt Behringer hinzu. Dieser Effekt dauerte mit fünf Monaten nicht ganz so lang an wie die Steigerung der Stresshormone, aber war doch signifikant.