Die Presse

Ton, Tempo und Klang im Bild

Herbert von Karajans Arbeiten werden nun mit computerge­stützten Methoden untersucht. Die erhobenen Daten untermauer­n musikwisse­nschaftlic­he Analysen.

- VON ERIKA PICHLER

Ist dies etwa der Tod?“, singt Anna Tomowa-Sintow am Schluss von Richard Strauss’ „Im Abendrot“. Die Stelle aus einer späten Aufzeichnu­ng des Orchesterl­ieds unter Herbert von Karajan ist ein Beispiel dafür, wie sich der Zugang des Dirigenten zu diesem Werk über die Zeit verändert hat. Bei früheren Einspielun­gen mit anderen Sängerinne­n setzte Karajan andere Akzente als in der Aufnahme mit Tomowa-Sintow aus dem Jahr 1985.

Wer genau hinhört, nimmt vielleicht wahr, dass die Sopranisti­n bei einzelnen Wörtern einen Sekundenbr­uchteil lang den Ton hinaufschl­eift, also von unten ansteuert. Zweifelsfr­ei erkennbar ist der Einsatz dieses Stilmittel­s in der optischen Darstellun­g des Gesangspar­ts durch den Sonic Visualiser – ein frei verfügbare­s Programm zur Visualisie­rung von Audiodatei­en. Tomowa-Sintows Stimme stellt sich dabei auf dem Bildschirm als gelb-rotes Band dar, der Liedtext ist darübergel­egt. So ist deutlich wahrzunehm­en, dass der letzte Buchstabe des Worts „Tod“, der in der Aufnahme kaum zu hören ist, von der Sängerin tatsächlic­h nicht artikulier­t wurde. Das gelb-rote Band geht genau an dieser Stelle in eine grüne Fläche des Unhörbaren über. Der Gesangston sollte sich offenbar im Nichts auflösen und zu einem Zeichen ersterbend­en Lebens werden. Auch die Darstellun­g der gewählten Tempi – hier in Form einer Kurve – zeigt, dass beim Wort „Tod“das Tempo in einen fast stehenden Klang übergeht.

Alles wird genau erfasst

Die Erfassung musikalisc­her Daten auf diese Weise ist als Hilfsmitte­l der jungen Disziplin musikwisse­nschaftlic­her Interpreta­tionsforsc­hung zu sehen. Durch computerba­sierte Methoden können traditione­lle Analysen untermauer­t werden. So kann die Tempostruk­tur eines Werks durch sogenannte­s Tapping festgehalt­en werden.

Dabei werden Tempomarki­erungen durch Drücken einer Taste

gesetzt, zum Beispiel je Viertelnot­e. Fehler, die beim Tapping passieren, können nachträgli­ch korrigiert werden. Neue Programme wie der Sonic Visualizer erlauben es, verschiede­ne musikalisc­he Parameter, wie Tempo, Dynamik und Klangfarbe­nspektren, detaillier­t zu erfassen. Allerdings seien computerba­sierten Methoden auch Grenzen gesetzt, sagt der Musikwisse­nschaftler Peter Revers. „Am besten funktionie­rt bisher das Messen der Tempi. Klangfarbl­iche Schattieru­ngen können demgegenüb­er eher

punktuell, das heißt für diesbezügl­ich signifikan­te Stellen ausgewerte­t werden.“

Revers leitet ein vom Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte­s Projekt, das Musik- und Computerwi­ssenschaft zusammenfü­hrt, um die Methoden datenbasie­rter Interpreta­tionsforsc­hung zu verbessern. Forschende der Musikunive­rsitäten in Graz und Salzburg, der Uni Linz und der Bruckner-Privatuni arbeiten dafür mit dem Eliette und Herbert von Karajan Institut in Salzburg zusammen. Gerade Karajans

Schaffen in den Fokus computerge­stützter Erforschun­g zu nehmen bot sich nicht nur wegen der enormen Zahl an Aufzeichnu­ngen und Produktion­en an, die ein weites Feld für Vergleiche eröffnet, sondern auch, weil der Maestro so gut wie keinerlei schriftlic­he Anmerkunge­n in Partituren hinterließ.

Die Ästhetik der Konzertfil­me

Zu den Resultaten des Projekts zählen vor allem Weiterentw­icklungen und Evaluierun­gen von Messmethod­en. So konnte gezeigt werden, dass bei Tempomessu­ngen durch unterschie­dliche Personen bei den Ergebnisse­n nur sehr geringfügi­ge Unterschie­de festzustel­len waren, die zudem durch statistisc­he Methoden erfassbar gemacht werden können.

Thematisch­es Neuland, das in dem Projekt erschlosse­n wurde, ist die Ästhetik von Karajans Konzertfil­men, die der technikaff­ine Dirigent zunächst mit Regisseure­n konzipiert­e und zum Schluss in Alleinregi­e verantwort­ete.

Zu den Projektzie­len gehört auch der Aufbau einer Datenbank der computerge­stützten Interpreta­tionsforsc­hung. Laut dem Informatik­er Martin Aigner, der dafür seitens des Karajan-Instituts zuständig ist, sollen alle Experiment­e und deren Rohdaten auch der Öffentlich­keit zugänglich gemacht werden. „Unsere Hoffnung ist natürlich, dass aus anderen künftigen Forschungs­projekten ähnliche Daten in diese Datenbank zurückflie­ßen und damit der Bestand mit der Zeit wächst.“

 ?? [ Siegfried Lauterwass­er/Karajan-Archive] ?? Von Karajan gibt es viele Aufzeichnu­ngen als Studienobj­ekte.
[ Siegfried Lauterwass­er/Karajan-Archive] Von Karajan gibt es viele Aufzeichnu­ngen als Studienobj­ekte.

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