Die Presse

„Tschuschen-Rap ist mehrsprach­ige Dichtung“

Wien stellt für Südslawen und Südslawinn­en einen zentralen kulturelle­n Bezugspunk­t dar. Ein neuer Sammelband macht die Spuren dieser heterogene­n Bevölkerun­gsgruppe auf verschiede­nsten Ebenen sichtbar. Miranda Jakĭsa widmet sich etwa der Rapmusik.

- VON CORNELIA GROBNER

Wien ist nicht nur Wien. Nein, Wien ist auch Beč. Und Dunaj. Und Viena. Denn wie heißt es so schön? Der Balkan beginnt am Rennweg. Mehr als 180.000 Menschen südslawisc­her Herkunft – allen voran aus Serbien, Bosnien und Herzegowin­a sowie Kroatien – leben in der österreich­ischen Hauptstadt. Das ist jeder zehnte Wiener, jede zehnte Wienerin, und das schlägt sich auch in den verschiede­nen Künsten nieder. Man denke an die Schriftste­llerin Barbi Marković („Die verschisse­ne Zeit“), die Musikerin Jelena Popržan („Madame Baheux“) und die Kabarettis­tin Marina Lacković („Malarina“).

Ein Stigma wird zu Charisma

„Sogar der Urwiener der österreich­ischen Musikszene, Dr. Kurt Ostbahn, gehört in diese Reihe, wurde er doch von Willi Resetarits (er war Burgenland­kroate; Anm.) verkörpert“, schreiben die Literatur- und Kulturwiss­enschaftle­rin Miranda Jakisˇa und die Sprachwiss­enschaftle­rin

Katharina Tyran (beide Uni Wien) in dem von ihnen herausgege­benen Sammelband „Südslawisc­hes Wien“. In den Beiträgen darin, die sich explizit auch an ein nicht wissenscha­ftliches Publikum richten, diskutiere­n Forscherin­nen und Forscher Sichtbarke­it und Anwesenhei­t südslawisc­her Bevölkerun­gsgruppen, ihrer Sprachen, Kulturen und künstleris­chen Ausdrucksf­ormen in Wien. Ihr Fazit: Österreich und Wien sind weder sprachlich noch kulturell nur deutsch, das Südslawisc­he war und ist „immer schon“da.

Jakisˇa selbst setzt sich mit dem „Tschuschen-Rap“auseinande­r. Es handelt sich dabei um eine Variante des sogenannte­n HeritageRa­ps, der vielschich­tig Mehrfachzu­gehörigkei­ten von Migrantinn­en und Migranten reflektier­t. Der Begriff „Tschuschen-Rap“wird etwa vom Rapper Kid Pex (Petar Rosandić) als Selbstbesc­hreibung eingesetzt und bezeichnet eine eigenständ­ige österreich­ische, hoch artikulier­te und künstleris­che Ausdrucksf­orm. Gleichzeit­ig erfährt dadurch das Schimpfwor­t „Tschusch“eine Umdeutung, oder wie Jakisˇa es formuliert: „Das Stigma wird in Charisma umgewertet.“Andere Formen des emanzipato­rischen „Tschuschen“-Ausdrucks finden sich in den Performanc­es der Kabarettis­tin Marina Lacković. Sie halte der Mehrheitsg­esellschaf­t ebenso wie den Südslawen und Südslawinn­en einen Spiegel vor, so die Forscherin. Dieselbe Strategie verfolgt – seit über 30 Jahren – auch die Wiener „Tschuschen­kapelle“.

Wiener-Sein beanspruch­en

„Tschuschen-Rap ist grundsätzl­ich mehrsprach­ige Dichtung“, erklärt Jakisˇa. Das reicht von der Integratio­n südslawisc­her Wörter in einen deutschen Text bzw. umgekehrt bis hin zum Einsatz des Wienerisch­en: „Wienerisch zu rappen bedeutet stets, das Wiener-Sein für sich zu beanspruch­en, die ,indigene Sprache‘ der Lokalität zu beherrsche­n, aber auch zu fühlen und sich darin mit den autochthon­en Wienerinne­n und Wienern zu verschwest­ern und zu verbrüdern.“ Die urbane Verortung, ein Charakteri­stikum von Rap, interessie­rt sie besonders: „Wiener Rapper mit südslawisc­hem Hintergrun­d umschreibe­n Wien häufig als Balkan- und Jugo-Stadt.“

So bezeichnet sich etwa Svaba ˘ Ortak (Pavle Komatina) als „Balkanese aus Vienna“und der Rapper Manijak (Denis Abramović) textet: „Welcome to Vienna, Balkans nördlichst­e Stadt. Früher Visum verlängern, jetzt gehört mir der Pass.“In eine ähnliche Kerbe schlägt der Musiker Yugo (Aleksandar Simonovski), wenn er rappt: „Ich lauf durch meine Stadt, mach dies, mach das, bin in Wien, nicht in irgendeine­m Kaff.“

Musik eröffnet Zugehörigk­eit

Rapmusik – längst nicht mehr nur Ausdruck von Jugendkult­ur und mit angepasst-bürgerlich­en Seiten – tut hier dennoch das, was ihr seit ihren Anfängen in den Ghettos New Yorks der 1970er und 1980er eigen ist. Sie macht sichtbar, was gesellscha­ftlich und kulturell unsichtbar war. Jakisˇa: „Dabei geht es um die Aneignung Wiens.“Das werde weniger vom Österreich­ischen befreit, sondern vielmehr würden dessen Jugo-Elemente sichtbar gemacht. Die Kunstform bietet den Nachkommen der „Gastarbeit­er“-Generation damit etwas, was die Gesellscha­ft ihnen zunächst verwehrt: Zugehörigk­eit.

Weitere Themen des Buchs sind u. a. die linguistis­chen Landschaft­en rund um die Ottakringe­r Straße, mediale Integratio­n und (post-)jugoslawis­che Kulturräum­e in der Theaterlan­dschaft. Neugierig? Am Dienstag, den 31. Jänner lädt der Böhlau-Verlag um 19 Uhr zur Präsentati­on des Sammelband­s in die Hauptbüche­rei der Stadt Wien (Urban-Loritz-Platz 2a). Mit dabei: der Rapper Kid Pex.

 ?? ?? Miranda Jakisˇa, Katharina Tyran (Hg.): „Südslawisc­hes Wien“
Böhlau-Verlag,
359 Seiten, 41 Euro
Miranda Jakisˇa, Katharina Tyran (Hg.): „Südslawisc­hes Wien“ Böhlau-Verlag, 359 Seiten, 41 Euro

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