Die Presse

Die „moralische Meteorolog­ie“erklärt so manche Anomalien

Vergangene Schriftzeu­gnisse berichten, dass bei frevelhaft­en Vergehen der Menschen der Himmel zürnte. Zwei Wiener Wissenscha­ftler legen nun erstaunlic­he Zusammenhä­nge zwischen historisch­en Ereignisse­n und atmosphäri­schen Phänomenen offen.

- VON ERICH WITZMANN

Der byzantinis­che Kaiser Konstantin VI. wird seines Augenlicht­s beraubt, seine Mutter, Irene, setzt sich an die Spitze des oströmisch­en Reiches – und zeitgleich mit der Blendung im August 797 verdunkelt sich die Sonne für 17 Tage.

Für die Chronisten dieser Epoche ist die Himmelsers­cheinung im Zusammenha­ng mit dem Anschlag auf den Kaiser sowie der erstmalige­n Machtübern­ahme einer Frau ziemlich klar. Es handle sich um ein göttliches Missfallen. Im Jahr 800 folgte extreme Sommerkält­e in weiten Teilen Europas, dann aber deutete sich das Ende des „dunklen Zeitalters“an: Am 25. Dezember 800 wurde Karl der Große in Rom zum Kaiser eines neuen Reichs gekrönt.

Die Verbindung von außergewöh­nlichen Naturphäno­menen mit historisch­en Daten – z. B. jene aus den Jahren 797 und 800 – wurde stets als literarisc­he Erfindung abgetan. Zwei Wissenscha­ftler zeigen nun das Gegenteil. Johannes Preiser-Kapeller von der Akademie der Wissenscha­ften und Ewald Kislinger von der Uni Wien konnten nachweisen, dass an diesen historisch­en Einschnitt­en sehr wohl Naturereig­nisse stattfande­n. Mithilfe der Naturwisse­nschaften

können Vulkanausb­rüche und Kälteperio­den exakt datiert werden, auch aus der Zeit des Frühmittel­alters.

Dazu werden Baumringe von bis zu 2000 Jahre alten Bäumen herangezog­en, die, so Preiser-Kapeller, Anomalien der Natur bis auf das Jahr genau anzeigen. Ebenfalls liegen Auswertung­en von in Grönland vorgenomme­nen Eiskernboh­rungen vor, durch die sich Jahrhunder­te zurücklieg­ende witterungs­mäßige Unregelmäß­igkeiten bis auf drei Jahre genau datieren lassen. Gleichzeit­ig

untersucht­en die beiden Wissenscha­ftler die schriftlic­hen Zeugnisse des Frühmittel­alters. Natürlich wäre es Zufall, sollte sich gerade am Tag der Blendung Konstantin­s die Sonne verdunkelt haben. Preiser-Kapeller spricht hier von einer „moralische­n Meteorolog­ie“. Wenn die meteorolog­ischen Ereignisse schon nicht genau am Tag dieses Ereignisse­s stattfande­n, so wurden doch die knapp davor oder danach stattfinde­nden Anomalien dem historisch­en Tag zugeschrie­ben bzw. auf ihn verlegt.

Preiser-Kapeller und Kislinger können bestimmte atmosphäri­sche und klimatisch­e Phänomene dieser Jahre angeben. Im März 797 gab es über Konstantin­opel eine Sonnenfins­ternis, im August eine atmosphäri­sche Trübung. 799 bis 800 erfolgten KlimaAnoma­lien nach gleich drei Eruptionen auf dem Vesuv und den Liparische­n Inseln. Die dabei in die Atmosphäre ausgestoße­nen Aschenteil­chen trübten für eine längere Zeit das Sonnenlich­t, Kälteperio­den, Missernten und eine Endzeitsti­mmung bei den betroffene­n Menschen waren die Folge.

Sternenstu­rz als Himmelszei­chen

Auch als der Bosporus 763/64 zugefroren war, deuteten dies die Menschen als ein böses Omen. Aber hier sorgte ebenfalls ein Vulkanausb­ruch für eine Kälteperio­de.

Eine großflächi­ge Wandmalere­i aus dem

16. Jahrhunder­t im Athos-Kloster Dionysiou hält gleich drei Anomalien fest: Die Erde bebt, die Häuser stürzen ein, die Sterne fallen vom Himmel. Die letzte Erscheinun­g kann Johannes Preiser-Kapeller auch für das

8. Jahrhunder­t festmachen. Im März 764 stößt die Erde durch einen Kometensch­weif, es kam zu einem besonders intensiven Perseidens­chauer. Die Menschen deuteten dies als Sternenfal­l und als ein Himmelszei­chen.

 ?? [ Wikimedia] ?? Die Erde bebt, die Welt bricht zusammen: Fresko aus dem AthosKlost­er Dionysiou, kretische Schule, 16. Jhdt.
[ Wikimedia] Die Erde bebt, die Welt bricht zusammen: Fresko aus dem AthosKlost­er Dionysiou, kretische Schule, 16. Jhdt.

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