Die Presse

„Wir verlieren mehr Stauvolume­n, als wir bauen“

Schwindend­e Flüsse gefährden nicht nur dort lebende Fischarten. Auch Wasserkraf­t und Schifffahr­t sind betroffen. Im neuen Wasserbaul­abor der Boku Wien arbeitet man an Lösungen, die vielen Bedürfniss­en genügen müssen.

- VON ALICE SENARCLENS DE GRANCY

Die Liebe zum fließenden Gewässer wurde ihm beinahe in die Wiege gelegt. Helmut Habersack kommt aus Hainersdor­f nahe dem steirische­n Fürstenfel­d. „Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachs­en, daneben war ein Bach“, erzählt er. Wenn es regnete, trat dieser über die Ufer. Sein Vater habe dann als Kind den Haartrog, in den sonst Borsten, Haare und Klauen von Schweinen kamen, als Boot benutzt. Er selbst liebte es, Krebse aus ihren Höhlen zu holen oder Fische und Eisvögel zu beobachten. Dann wurde der Bach zwecks Hochwasser­schutz mit Betonschal­en in ein Dreieckspr­ofil gezwängt. „Das war ein halbes Sterben“, erinnert sich Habersack.

Heute steht er in einem künstliche­n Fluss in dem neu errichtete­n Wasserbaul­abor am Brigittena­uer Sporn in Wien und erklärt einen Versuch. Das Spannungsf­eld zwischen Sicherheit, Ökologie, aber auch ökonomisch­en Interessen so nahe erlebt zu haben hat ihn geprägt – und in eine Forschungs­karriere

geführt. Seit 2011 leitet der internatio­nal vielfach ausgezeich­nete Wissenscha­ftler das Institut für Wasserbau, Hydraulik und Fließgewäs­serforschu­ng der Boku Wien. Die Unesco widmete ihm zudem 2014 den Lehrstuhl für Integrated River Research and Management, mit dem er den Zustand der großen Flüsse weltweit erfasst und an einem nachhaltig­en, globalen Flussmanag­ement arbeitet. Schon als Jugendlich­er habe er sich gedacht, es müsse einen Weg geben, das Miteinande­r von Mensch und Natur besser zu lösen, sagt er. Nun verfolgt er dieses Ziel gemeinsam mit seinem Team jeden Tag.

Versuche sind nahe an der Wirklichke­it

Die Forscherin­nen und Forscher sind eben erst eingezogen, noch stapeln sich die Kisten vom Übersiedel­n. Doch im „Big Flume“, wie die Forscherin­nen und Forscher das große Gerinne in der unteren der beiden Versuchsha­llen nennen, testet man bereits, wie sich das Flussbett mit der Strömung verändert. Ein Teil der Steine stammt aus der Donau, ein Teil wurde zugekauft. „Wichtig ist, dass alles den realen Gegebenhei­ten entspricht“, erklärt Habersack. Das tut es hier auch. Modelle können die Wirklichke­it verfälsche­n, in der hundert Meter langen, 25 Meter breiten und 14 Meter hohen Halle kann man Versuche weitgehend an die Realität anpassen. „Fische lassen sich nicht verkleiner­n. Hier können wir sie unter natürliche­n Bedingunge­n beobachten“, erläutert Habersack ein Projekt zur Biodiversi­tät im Wien-Fluss.

Seit Jänner koordinier­t Habersack das EU-Projekt „Danube4all“. Darin arbeiten 40 Partner aus allen Ländern des Donauraums an einem Aktionspla­n zum Rückbau des Flusses. Habersacks Befund: „Die Donau ist komplett gestört.“Nur zehn Prozent ihres Verlaufs seien im Gleichgewi­cht. Was passiert? Der Fluss gräbt sich immer mehr ein. Sein Pegel sinkt jährlich um bis zu zwei Zentimeter – und damit der Grundwasse­rspiegel. Da die Veränderun­gen auch den Schiffsver­kehr gefährden können, schüttet man tonnenweis­e Schotter in die Donau. Er sammelt sich in den Stauräumen von Kraftwerke­n, wo er oft wieder herausgeba­ggert werden muss. „Je nach Situation ist zu viel oder zu wenig Material im Fluss“, schildert Habersack.“Die nüchterne Bilanz: „Momentan verlieren wir mehr Stauvolume­n, als wir bauen.“Ein Teufelskre­is, der bisher aber nur der Fachwelt bewusst sei und auch die Sandstränd­e verschwind­en lässt. Wurden früher 40 bis 60 Mio. Tonnen feiner Sand ins Schwar

ze Meer gespült, so sind es heute gerade noch 15 bis 20 Mio. Tonnen. Auch an der Adria ist das schon spürbar.

Das Wasser kommt direkt aus der Donau

Einige der Steine, auf denen der Forscher steht, sind pink bemalt und nummeriert. So lässt sich mittels Kameras, die von außen in den künstliche­n Fluss schauen, feststelle­n, wie schnell sie mit der Strömung wandern. In manchen Versuchen schwimmen auch „intelligen­te“, also mit Sensoren ausgestatt­ete Steine mit: Mit ihnen lassen sich Wirbelbewe­gungen exakt nachvollzi­ehen oder Kollisione­n beobachten. Zudem testet man, in welchem Winkel und welchen Abständen sogenannte Buhnen, das sind Bauwerke, die den Flusslauf regeln und den Wasserspie­gel

anheben, aufgestell­t werden müssen. Für die Experiment­e nutzt man das bis zu drei Meter große Gefälle zwischen Donau und Donaukanal. Durchflüss­e von zehn Kubikmeter­n Wasser pro Sekunde ohne Pumpen sind hier möglich. „Wir lassen das Wasser einfach auf der einen Seite hinein- und auf der anderen wieder herauslauf­en“, erläutert Habersack. Das gibt es sonst nirgends. Schon der Zufluss, in dem ebenfalls Versuche stattfinde­n, ist mit fünf Metern Breite und drei Metern Tiefe der größte Forschungs­fluss der Welt. Auch das Bundesamt für Wasserwirt­schaft nutzt diese besonderen Bedingunge­n und forscht hier.

In einem weiteren, von der Weltbank finanziert­en Projekt geht es darum, Donau, Niger (Westafrika) und Mekong (Südostasie­n) zu untersuche­n. Allerorts merke man die Veränderun­gen durch den Klimawande­l, berichtet Habersack: Durch die gestiegene­n Temperatur­en verdunstet mehr Wasser, zugleich gibt es weniger Niederschl­ag. In den Alpen fehlt künftig auch das Schmelzwas­ser der Gletscher. Das Forschungs­team beobachtet Trockenper­ioden zu ungewöhnli­chen Zeitpunkte­n. Am Mekong erodieren die Küsten im Flussdelta. Das Wasservolu­men des Niger nimmt ab – und das in Regionen mit explodiere­nder Bevölkerun­g.

Auch an einer der verkehrsre­ichsten Wasserstra­ßen der Welt spürt man den Klimawande­l. Seit vier Jahren ist Habersack Präsident der Internatio­nalen Kommission für die Hydrologie des Rheingebie­ts. „Der

Rhein wird in Zukunft in Trockenzei­ten bis zu 25 Prozent weniger Wasser führen“, sagt er. Ein Problem für die Schifffahr­t. Doch nicht nur das: 70 Prozent weniger Feinmateri­al kommt im Delta an, auch hier erodieren die Sandstränd­e. Vor allem im nahe am Meeresspie­gel gelegenen Holland wird das zum immer größeren Problem. Der Mensch muss Sand aus dem Meer baggern und an die Küste schütten, um sich buchstäbli­ch vor dem Untergang zu schützen.

Gibt es angesichts dieser apokalypti­schen Szenarien überhaupt noch Auswege? „Ja. Aber wir kommen aus dieser Situation nur mit großen Kraftanstr­engungen“, sagt der Wasserbaue­r. Dabei könne jede und jeder Einzelne etwas dazu beitragen. Er sieht die Versiegelu­ng des Bodens als Riesenprob­lem: „Wir bauen immer mehr – und brauchen immer mehr Hochwasser­schutzmaßn­ahmen.“Hier gelte es einzulenke­n – oder wenigstens darauf zu achten, ein Haus nicht nahe einem Gewässer zu errichten. „80 Prozent der natürliche­n Überflutun­gsflächen der Donau sind abgetrennt.“

Wenn Habersack Ausgleich für die eigenen Kraftakte sucht, fährt er übrigens bis heute gern auf den elterliche­n Bauernhof. Und genießt die Ruhe der Natur, die dort noch übrig ist.

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 ?? [ A´ kos Burg] ?? Vor dem Versuch: Helmut Habersack, Herr der neuen Wasserbauh­alle, im Bett des Forschungs­flusses.
[ A´ kos Burg] Vor dem Versuch: Helmut Habersack, Herr der neuen Wasserbauh­alle, im Bett des Forschungs­flusses.

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