Wäre sie doch nie in Katar gewesen!
Expedition Europa: auf den Spuren der Salonikerin Eva Kaili, die durch einen Korruptionsskandal einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde.
Im Oktober 2022 saß die neue Vizepräsidentin des Europaparlaments, Eva Kaili, beim grinsenden Arbeitsminister Katars, im November pries die Griechin angebliche Arbeitsrechtsreformen des Sklavenhalter-Emirats als „Inspiration für die arabische Welt“, im Dezember wurde sie verhaftet, während ihr Vater mit einer Tasche floh, in der sich Hunderttausende Euro und das Milchfläschchen von Kailis noch nicht zweijähriger Tochter befanden. Was ich nicht verstand: Wie konnte sich eine gerade auf dem Höhepunkt ihrer Karriere angekommene Frau vor den Augen der Welt so erniedrigen? Erklärungen versprach eine Athenerin, die von 2013 bis 2014 für Kaili gearbeitet hatte. Ihr Aufdecker-Posting über die „wunderschöne, vulgäre, schamlose, arrogante, korrumpierte, schmutzige Eva Kaili“bekam über 50.000 Reaktionen.
Da die Salonikerin Kaili mit Schwester und Vater – beide ebenfalls lebenslanger Korrumpiertheit verdächtig – nach Athen gezogen war, begab ich mich dort auf ihre Spuren. Als ihr Athener Abgeordnetenbüro hatte Kaili eine Adresse auf Griechenlands Hauptplatz Syntagma angegeben. Ich fand dort – gegenüber vom griechischen Parlament – ein „Bürgerservice“des Europäischen Parlaments, in das sich am Montagvormittag kein Bürger verirrte. Die Security sprach eine halbe Stunde durch die Gegensprechanlage mit mir, ließ mich aber nicht ein. Vor dem Hotel Grande Bretagne reckten währenddessen Hunderte Kleinbürger ihre Hälse. Eine halbe Stunde später sollte der letzte König Konstantin begraben werden, aufgrund seiner anfänglichen Duldung und späteren Bekämpfung der Militärjunta der Totengräber der griechischen Monarchie. Auch eine US-Middle-Class-Family hielt ihre Smartphones hoch. Sie wollten „Royalties“filmen, egal welche.
Ich wanderte ins teuerste Athener Viertel Kolonaki hinauf. Nachdem Kaili und der mit ihr verpartnerte Italiener im März einen doppelt überpreisten Baugrund auf der fernen Insel Paros gekauft hatten, nahmen sie sich zwischen Katar-Besuchen und EU-Spitzenpolitik die Zeit, in der Skoufa-Straße mit je 500 Euro Bareinlage die Immobilienfirma „Estate Aria Properties“zu gründen. Mir fiel auf, dass sich in derselben Straße die Anwaltskanzlei von Alexandros Spyridonos befand, „Senior Legal Counsel“von ELONTech, der Brüsseler NGO von Kailis Schwester, die Kryptowährungsleute in Sachen „smart contracts“beriet. Eva Kaili selbst hatte sich in ihren achteinhalb Brüsseler Jahren als futuristisch hingerissene Fürsprecherin von „legal frameworks“für Blockchain und KI profiliert.
Die Skoufa-Straße duftete. Edle Namen auf Messingplättchen, eine Galerie „Fine Arts“, „Fleures et Plantes d’Art“, Boutiquen, Cafés, vor allem aber familiäre Parfümerien. In der abgesperrten Seitengasse Pindarou sägte man vorstehende Äste fruchttragender Mandarinenbäume brutal ab. Krypto-Anwalt Spyridonos ließ sich am Montag per Gegensprechanlage verleugnen, am Dienstag war seine Kanzlei mit Rollläden verriegelt. Die Skoufa duftete weiter, nur die Pindarou roch nach frischem Asphalt.
Ich traf Sofia Mandilara, 38, eine Journalistin aus einer Alt-Athener Familie. Seit ihrem Posting über die „wunderschöne, schmutzige Eva Kaili“war sie berühmt. Kaili war von 2013 bis 2014 ihre Chefin gewesen, als sie während eines Karrierelochs in der staatlichen „Forschungsstelle für Gleichstellungsfragen“geparkt wurde. Die Bilder mit den Geldsäcken überraschten Mandilara gar nicht, „die Griechen reagierten aber schockiert. Die meisten schrieben mir drei Dinge: 1. Glückwunsch, dass Sie sich zu Wort melden. 2. Ich hätte nicht den Mut dazu gehabt. 3. Sie sah gar nicht danach aus.“
Kaili sei in Sachen Gender Equality inkompetent und desinteressiert gewesen. Sie habe ihre Schwester angestellt und Mandilara gegen eine schlechter qualifizierte Freundin, mit der sie online auf Strandpartyfotos posiert hatte, austauschen wollen. Damals waren 70 Prozent in Mandilaras Altersgruppe arbeitslos, Mitarbeiterinnen wurden mit ausstehenden Löhnen erpresst. Mandilara sicherte sich den Job, indem sie mit Klagen drohte. Daneben sammelte sie Belege über Kailis Bereicherung, etwa über einen als Dienstreise kaschierten Weihnachtsurlaub in New York: „Damit ich, wenn man eines Tages draufkommt, meine Unschuld beweisen kann.“
Dieses Material verwendete Mandilara 2013 und 2014 nicht. Kaili war das „neue Gesicht“der griechischen Politik, eine junge Frau forderte ihren Anteil an der Macht. Hatte die PASOK-Sozialdemokratin je Ideale gehabt? „Nein.“Wie konnte sie glauben, mit einer derartigen Aktion durchzukommen? „Sie ist immer mit allem durchgekommen. Wenn sie das in Griechenland getan hätte, wäre sie damit durchgekommen.“Kaili habe sich seit jeher parteiübergreifend abgesichert, „Korruptionäre wollen mit Korruptionären zusammenarbeiten“. So habe sich Premierminister Mitsotakis von der konservativen ND für Kailis Wahl zur EP-Vizepräsidentin eingesetzt. Kaili habe es ihm gedankt, indem sie Mitsotakis in seinem Abhörskandal mit der Behauptung beisprang, Abhören sei auch in Brüssel ganz normal.
Ich stellte meine Frage: Hatte sie es nicht als Selbsterniedrigung empfunden, sich als Frau an Scheichs zu verkaufen? „Hundertprozentig nein“, antwortete Mandilara, „sie hat kein Schamgefühl.“Wie auch, habe sie doch schon in ihren Anfängen mit ihrem politischen Ziehvater geschlafen und sich nicht gewehrt, als der um Jahrzehnte Ältere sie vor Parteimitgliedern sexistisch demütigte. Kailis Ex-Mitarbeiterin wusste schließlich auch etwas Gutes über die Politikerin mit den Geldsäcken zu sagen: Eva Kaili sei wirklich „verlockend schön. Im echten Leben ist sie sogar noch schöner.“