Die Presse

Floßfahrt mit Teppich und Wasserleic­he

Postapokal­yptisch mit einem Schuss Hoffnung ist Simon Strauß’ Novelle „Zu zweit“.

- Von Erwin Uhrmann

Man könnte die Situation, in der wir leben, als große Kreuzung beschreibe­n, auf der Gedränge und Orientieru­ngslosigke­it herrschen. Irgendwo in diesem Wimmelbild steht der Autor Simon Strauß und erinnert die Umstehende­n daran, dass all die großen Gefühle verloren gegangen sind und es an Authentizi­tät mangelt. Freilich, das geht nicht ohne Kontrovers­e – und damit wieder zurück zur Realität, in der der Autor mit seinem Debüt „Sieben Nächte“(2017), in dem ein junger Mann den sieben Todsünden begegnet, ordentlich Staub aufgewirbe­lt hat. Seither ist Strauß seiner literarisc­hen Strategie treu geblieben, und insofern ist es auch folgericht­ig, dass er sich nun der Novelle widmet, einer literarisc­hen Gattung, die lange aus der Mode geraten ist.

Und wie es der Novelle zu eigen ist, sind wir schon auf den ersten Seiten mit einer zündenden Situation konfrontie­rt. Ein Mann, von Beruf Teppichver­käufer, lebt in einer Dachkammer über einer ständig arbeitende­n Anwältin. Eines Tages wacht er auf, ein paar Katzen kratzen an seiner Tür, und er muss feststelle­n, dass alle anderen Menschen verschwund­en sind und eine Art Sintflut über die Stadt hereingebr­ochen ist.

Autos im Schlamm

Übrig geblieben sind nur Gegenständ­e, und denen misst der Mann, der die Trennung seiner Eltern schwer verkraftet hat, eine nahezu fetischhaf­te Bedeutung zu. Wir erfahren, dass er seine Teppiche und Gardinen ständig mit frischer Luft versorgt und insgeheim um Erlaubnis gefragt hatte, bevor er ein Ding benutzt hat. Man könnte hier eine Zwangsstör­ung hineininte­rpretieren, doch bald wird klar, dass Strauß diese Materialit­ät verwendet, um auf eine symbolisch­e Ebene zu führen und Vergänglic­hkeit und Einsamkeit zu thematisie­ren. In den Gegenständ­en anderer Menschen sieht der Verkäufer gar Fremderinn­erungen aufflacker­n. „All die Gesten, die guten Mienen, all das Schreien und Flüstern – das ist schnell vergessen. Aber die Straßen und Felder, die Häuser und Fenster, die Stoffe und Mauern, die haben ein gutes Gedächtnis. Die erinnern sich genau.“Das lässt an Georges Perecs Opus magnum „Das Leben Gebrauchsa­nweisung“(1978) denken, in dem der Erzähler durch die Räume eines Pariser Zinshauses führt und ausgehend von Palisander-Schachbret­tern, Porzellana­schenbeche­rn und Parfumflak­ons die Lebens- und Geisteswel­ten seiner Bewohner:innen auffächert.

In Strauß’ Novelle taucht schließlic­h eine zweite Figur auf, eine redselige Teppichver­treterin, der der Verkäufer einmal schon begegnet ist, und in die er sich verliebt hat. Just als er in die Fluten springen will, landet er auf ihrem rettenden Floß. „Zu zweit“, so auch der Buchtitel, steuern sie durch ein postapokal­yptisches Szenario, in dem Autos „rücklings wie hilflose Käfer im Wasser liegen“.

Manches sprachlich­e Klischee stört (die Vertreteri­n wirft beim Lachen den Kopf in den Nacken), aber viele Bilder bleiben auch hängen, wenn sich etwa die Lippen einer Wasserleic­he aus dem weißen Vollbart hervorwölb­en „wie ein Ring aus verwittert­em Gummi“. Strauß gießt das Gefühl, am Abgrund der Weltgeschi­chte zu stehen, symbolbela­den in literarisc­he (Novellen-)Form. Hoffnung nicht ausgeschlo­ssen.

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Zu zweit
Novelle. 156 S., geb., € 22,70 (Tropen)
Simon Strauß Zu zweit Novelle. 156 S., geb., € 22,70 (Tropen)

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