Champagner, nicht nur als Powder
Im weltgrößten Skigebiet Les Trois Vallées finden passionierte Skifahrer Savoir-vivre, savoyische Küche und das sportliche Flair der nahenden Skiweltmeisterschaft. Keine schlechte Mischung.
Um das ganze Skigebiet abzufahren, brauchst du mindestens eine Woche“, meint Julien Dufranne. „Aber da musst du mit dem ersten Lift starten und darfst keine Pause machen.“Wir stehen mit dem Skilehrer auf dem Gipfel Roc de Fer (2294 m) und versuchen, das unendliche Skiareal von Les 3 Vallées zu überblicken. Mit 600 Pistenkilometern ist es das größte Skigebiet der Welt; dazu gesellen sich 50 Kilometer Routen und ein schier endloses Off-Piste-Revier. „Und dort drüben“– Julien zeigt in die Ferne gegen Norden – „seht ihr den Mont Blanc. Aber der gehört nicht mehr zum Skigebiet.“
Das Panorama am Roc de Fer ist, man kann’s nicht anders sagen, erhaben. Die Nacht brachte 40 Zentimeter feinsten Powder, nun reißt es auf, und Schneekristalle funkeln im Sonnenlicht. Juhu, auf geht’s! Der Roc de Fer begeistert mit Tiefschnee-Runs sowie kupierten, breiten Pisten. Und wir sollten uns den Namen merken: Vom 6. bis 19. Februar 2023 finden hier die Damenbewerbe der FISAlpinen-Ski-Weltmeisterschaften Mé ribel/Courchevel statt.
Neue Strecke, steilste Stellen
Marie Marchand-Arvier hat beste Erinnerungen an den Roc de Fer. Wir treffen die einstige Weltklasserennläuferin in der neuen Talstation Alpinium in Courchevel/Le Praz. „2013 hab ich hier bei der Abfahrt den dritten Platz gemacht“, erzählt sie. Heute ist Marie die Kommunikationsmanagerin der Ski-WM 2023. Sie freut sich wie eine Schneekönigin über den gewaltigen Powder-Nachschub.
Für das Großevent wurde eine neue Herrenabfahrt realisiert: L’É clipse. „Sie hat großes Potenzial, ein Mythos wie eure Streif in Kitzbühel zu werden“, meint Marie. „Die steilsten Passagen mit 61 Prozent Gefälle sind zwar harmloser als die Mausefalle mit 85 Prozent. Mit ihren abrupten Wechseln zwischen gleißendem Sonnenlicht und Finsternis in schattigen Waldpassagen und fünf gewaltigen Sprüngen ist die Éclipse aber auch sehr fordernd.“Nach der WM ist sie dann die neue Topattraktion von Trois Vallées und dient dem Nervenkitzel des normalen Skivolks.
Zaungäste können die Wettkämpfe nicht nur entlang der WMPisten mitverfolgen, sondern im gesamten Skigroßraum. Mit Public Viewing, Konzerten, DJs, SkiShows, Yoga, Kabarett, Kulinarik und Pyrotechnik wird ein Riesenspektakel inszeniert. „Wir machen eine Megaskiparty daraus!“Wer die WM vor Ort miterleben möchte, hat laut Marie noch Chancen, ein Quartier zu finden, zumindest wochenweise und wenn nicht in einem der rund 150.000 Gästebetten von Trois Vallées, so zumindest im Großraum Tarantas (414.000 Betten). Im Sinn der Nachhaltigkeit gibt es ein dichtes Netz an Zubringerbussen (bis nach Lyon oder Grenoble) und regionale Shuttles.
Ski-in, Ski-out laut Schneeplan
Französische Skistationen genießen bei uns nicht den besten Ruf, deren Zweckarchitektur wird von alpenkitsch-gewöhnten Österreichern als potthässlich empfunden. Doch da muss man die Hintergründe kennen: 1964 verkündete die französische Regierung den „Plan Neige“(Schneeplan) zur Erschließung der Alpen für den Wintertourismus und als Mittel gegen Landflucht. Sogenannte integrierte Skistationen sollten den Pistensport demokratisiert der breiten Masse zugänglich machen.
Bettentower, Chalets, ein Dorf
Wo früher Ziegen und Schafe grasten, wurden gewaltige Bettenburgen im Stil des Brutalismus in hochalpine Landschaft geklotzt. Statt Straßen schlängeln sich Skipisten durch Häuserschluchten. Der Vorteil der Retortenskistationen sind jedoch der geringe Flächenverbrauch und maximale Funktionalität mit Ski-in/Ski-out, sonnigen Balkonen und viel Infrastruktur. Irgendwie ein ehrlicherer Zugang zum Thema Massentourismus als dort, wo Zersiedelung und Bodenversiegelung dominieren.
Der Name sagt es bereits: Les Trois Vallées im Département Savoyen besteht aus drei Tälern. Courchevel, Méribel und dem Vallée des Belleville mit den Skistationen Val Thorens und Les Menuires sowie dem Dorf Saint-Martin. 160 Lifte und 339 Abfahrten verbinden alle Orte. Die Pisten reichen bis 3230 Meter hinauf, das bedeutet Schneesicherheit bis in den Mai.
Jede Skistation hat ihren eigenen Charakter: Val Thorens ist das höchstgelegene Wintersportresort Europas – und das sportlichste der drei Täler. Schon der Ort auf 2300 Metern ist höher gelegen als manche Bergstation in Österreich. Les Menuires knapp darunter ist ein Familienskiresort mit überschaubaren Preisen in gewaltigen Appartementkomplexen (Le Brelin aus den 1970ern verfügt über 670 Wohneinheiten). Courchevel gilt als Upperclass-Resort und teuer; die Bausünden sind hier deutlich dezenter. Méribel präsentiert sich gemütlich als Mittelding zwischen Les Menuires und Courchevel.
Saint-Martin-de-Belleville hingegen ist anders. Erfreulich anders! Die kleine Gemeinde mit rund 500 Einwohnern ist bis heute ein echtes savoyisches Bergdorf (1450 m) geblieben und konnte Tradition und Charme bewahren (per Gondelbahn ist das Dorf an den Skigroßraum angebunden). Die Kirche wird von urigen Steinhäusern
umgeben, die Großteils als stilvolle Ferien-Chalets dienen. Sonst gibt es je zwei feine Vier- und Fünfsternehotels. Kleine Läden, Bars und hervorragende Restaurants sorgen für Leben. Ein Meisterwerk ist die barocke Kapelle Notre Dame de la Vie etwas außerhalb. Ein Kulturerbepfad und die Barockstraße weisen den Weg zu den historischen Juwelen rundum. Ein Heimatmuseum im Zentrum zeichnet 150 Jahre Entwicklung vom kargen Bergbauernleben bis zum jetzigen Tourismus nach.
Erfreulicherweise gibt es noch ein paar – höchst erfolgreiche – bäuerliche Betriebe: In der Ferme La Trantsa in Le Châtelard stellt Serge Joy aus der Milch seiner 70 Schafe so guten Käse (Tomme und Sérac), Joghurt und Eis her, dass die allerbesten Restaurants quasi Schlange stehen und Private monatelang vorbestellen müssen. Gegen Anmeldung empfängt Joy Besucher, hat aber wegen zu geringer Mengen nichts zum Verkosten.
Gourmettreffs neben der Piste
Ziegenkäsefans werden bei der Ferme de Villarenger fündig, Honigfreunde beim Imker, Hirten, Bergführer und Bergretter Kléber Silvestre. Er verschrieb sich der Bewahrung der Dunklen Europäischen Biene. Spannend zum Thema ist auch die interaktive Erlebniswelt Maison de l’abeille noire et de la nature in Les Menuires.
Apropos Gourmets: Sie werden auch direkt an den Pisten bedient. Zum Ski-Savoir-vivre gehört der Einkehrschwung mit Champagner und Köstlichkeiten. Das neue Maya Altitude (zwischen Saint-Martin und Méribel) gefällt innen mit fantasievollem Dekor, auf den Sonnenterrassen mit grandiosem Ausblick. Der neue, asiatisch inspirierte Treff ist jüngster Spross der monegassischen, weltweit agierenden Hospitality-Gruppe Maya Collection und begeistert mit Holzkohlegrill, Tandoor-Ofen und eigener Fleischerei samt Reifekeller.
Etwas abseits der Piste zwischen Val Thorens und Les Menuires hockt in der weiß gepolsterten Landschaft die urige Hütte Chez Pépé Nicolas. Das beliebte Restaurant serviert Deftiges aus Savoy: Käsefondue, Raclette und Croziflette sowie eigene Produkte von der Alm und aus Permakultur. Im Skischlaraffenland Frankreich fehlt nur eines: Alkoholschwangeres Après-Ski mit Skihüttenhits. Aber das geht echt niemandem ab.