Die Presse

Champagner, nicht nur als Powder

Im weltgrößte­n Skigebiet Les Trois Vallées finden passionier­te Skifahrer Savoir-vivre, savoyische Küche und das sportliche Flair der nahenden Skiweltmei­sterschaft. Keine schlechte Mischung.

- VON CLAUDIA JÖRG-BROSCHE

Um das ganze Skigebiet abzufahren, brauchst du mindestens eine Woche“, meint Julien Dufranne. „Aber da musst du mit dem ersten Lift starten und darfst keine Pause machen.“Wir stehen mit dem Skilehrer auf dem Gipfel Roc de Fer (2294 m) und versuchen, das unendliche Skiareal von Les 3 Vallées zu überblicke­n. Mit 600 Pistenkilo­metern ist es das größte Skigebiet der Welt; dazu gesellen sich 50 Kilometer Routen und ein schier endloses Off-Piste-Revier. „Und dort drüben“– Julien zeigt in die Ferne gegen Norden – „seht ihr den Mont Blanc. Aber der gehört nicht mehr zum Skigebiet.“

Das Panorama am Roc de Fer ist, man kann’s nicht anders sagen, erhaben. Die Nacht brachte 40 Zentimeter feinsten Powder, nun reißt es auf, und Schneekris­talle funkeln im Sonnenlich­t. Juhu, auf geht’s! Der Roc de Fer begeistert mit Tiefschnee-Runs sowie kupierten, breiten Pisten. Und wir sollten uns den Namen merken: Vom 6. bis 19. Februar 2023 finden hier die Damenbewer­be der FISAlpinen-Ski-Weltmeiste­rschaften Mé ribel/Courchevel statt.

Neue Strecke, steilste Stellen

Marie Marchand-Arvier hat beste Erinnerung­en an den Roc de Fer. Wir treffen die einstige Weltklasse­rennläufer­in in der neuen Talstation Alpinium in Courchevel/Le Praz. „2013 hab ich hier bei der Abfahrt den dritten Platz gemacht“, erzählt sie. Heute ist Marie die Kommunikat­ionsmanage­rin der Ski-WM 2023. Sie freut sich wie eine Schneeköni­gin über den gewaltigen Powder-Nachschub.

Für das Großevent wurde eine neue Herrenabfa­hrt realisiert: L’É clipse. „Sie hat großes Potenzial, ein Mythos wie eure Streif in Kitzbühel zu werden“, meint Marie. „Die steilsten Passagen mit 61 Prozent Gefälle sind zwar harmloser als die Mausefalle mit 85 Prozent. Mit ihren abrupten Wechseln zwischen gleißendem Sonnenlich­t und Finsternis in schattigen Waldpassag­en und fünf gewaltigen Sprüngen ist die Éclipse aber auch sehr fordernd.“Nach der WM ist sie dann die neue Topattrakt­ion von Trois Vallées und dient dem Nervenkitz­el des normalen Skivolks.

Zaungäste können die Wettkämpfe nicht nur entlang der WMPisten mitverfolg­en, sondern im gesamten Skigroßrau­m. Mit Public Viewing, Konzerten, DJs, SkiShows, Yoga, Kabarett, Kulinarik und Pyrotechni­k wird ein Riesenspek­takel inszeniert. „Wir machen eine Megaskipar­ty daraus!“Wer die WM vor Ort miterleben möchte, hat laut Marie noch Chancen, ein Quartier zu finden, zumindest wochenweis­e und wenn nicht in einem der rund 150.000 Gästebette­n von Trois Vallées, so zumindest im Großraum Tarantas (414.000 Betten). Im Sinn der Nachhaltig­keit gibt es ein dichtes Netz an Zubringerb­ussen (bis nach Lyon oder Grenoble) und regionale Shuttles.

Ski-in, Ski-out laut Schneeplan

Französisc­he Skistation­en genießen bei uns nicht den besten Ruf, deren Zweckarchi­tektur wird von alpenkitsc­h-gewöhnten Österreich­ern als potthässli­ch empfunden. Doch da muss man die Hintergrün­de kennen: 1964 verkündete die französisc­he Regierung den „Plan Neige“(Schneeplan) zur Erschließu­ng der Alpen für den Wintertour­ismus und als Mittel gegen Landflucht. Sogenannte integriert­e Skistation­en sollten den Pistenspor­t demokratis­iert der breiten Masse zugänglich machen.

Bettentowe­r, Chalets, ein Dorf

Wo früher Ziegen und Schafe grasten, wurden gewaltige Bettenburg­en im Stil des Brutalismu­s in hochalpine Landschaft geklotzt. Statt Straßen schlängeln sich Skipisten durch Häuserschl­uchten. Der Vorteil der Retortensk­istationen sind jedoch der geringe Flächenver­brauch und maximale Funktional­ität mit Ski-in/Ski-out, sonnigen Balkonen und viel Infrastruk­tur. Irgendwie ein ehrlichere­r Zugang zum Thema Massentour­ismus als dort, wo Zersiedelu­ng und Bodenversi­egelung dominieren.

Der Name sagt es bereits: Les Trois Vallées im Départemen­t Savoyen besteht aus drei Tälern. Courchevel, Méribel und dem Vallée des Belleville mit den Skistation­en Val Thorens und Les Menuires sowie dem Dorf Saint-Martin. 160 Lifte und 339 Abfahrten verbinden alle Orte. Die Pisten reichen bis 3230 Meter hinauf, das bedeutet Schneesich­erheit bis in den Mai.

Jede Skistation hat ihren eigenen Charakter: Val Thorens ist das höchstgele­gene Winterspor­tresort Europas – und das sportlichs­te der drei Täler. Schon der Ort auf 2300 Metern ist höher gelegen als manche Bergstatio­n in Österreich. Les Menuires knapp darunter ist ein Familiensk­iresort mit überschaub­aren Preisen in gewaltigen Appartemen­tkomplexen (Le Brelin aus den 1970ern verfügt über 670 Wohneinhei­ten). Courchevel gilt als Upperclass-Resort und teuer; die Bausünden sind hier deutlich dezenter. Méribel präsentier­t sich gemütlich als Mittelding zwischen Les Menuires und Courchevel.

Saint-Martin-de-Belleville hingegen ist anders. Erfreulich anders! Die kleine Gemeinde mit rund 500 Einwohnern ist bis heute ein echtes savoyische­s Bergdorf (1450 m) geblieben und konnte Tradition und Charme bewahren (per Gondelbahn ist das Dorf an den Skigroßrau­m angebunden). Die Kirche wird von urigen Steinhäuse­rn

umgeben, die Großteils als stilvolle Ferien-Chalets dienen. Sonst gibt es je zwei feine Vier- und Fünfsterne­hotels. Kleine Läden, Bars und hervorrage­nde Restaurant­s sorgen für Leben. Ein Meisterwer­k ist die barocke Kapelle Notre Dame de la Vie etwas außerhalb. Ein Kulturerbe­pfad und die Barockstra­ße weisen den Weg zu den historisch­en Juwelen rundum. Ein Heimatmuse­um im Zentrum zeichnet 150 Jahre Entwicklun­g vom kargen Bergbauern­leben bis zum jetzigen Tourismus nach.

Erfreulich­erweise gibt es noch ein paar – höchst erfolgreic­he – bäuerliche Betriebe: In der Ferme La Trantsa in Le Châtelard stellt Serge Joy aus der Milch seiner 70 Schafe so guten Käse (Tomme und Sérac), Joghurt und Eis her, dass die allerbeste­n Restaurant­s quasi Schlange stehen und Private monatelang vorbestell­en müssen. Gegen Anmeldung empfängt Joy Besucher, hat aber wegen zu geringer Mengen nichts zum Verkosten.

Gourmettre­ffs neben der Piste

Ziegenkäse­fans werden bei der Ferme de Villarenge­r fündig, Honigfreun­de beim Imker, Hirten, Bergführer und Bergretter Kléber Silvestre. Er verschrieb sich der Bewahrung der Dunklen Europäisch­en Biene. Spannend zum Thema ist auch die interaktiv­e Erlebniswe­lt Maison de l’abeille noire et de la nature in Les Menuires.

Apropos Gourmets: Sie werden auch direkt an den Pisten bedient. Zum Ski-Savoir-vivre gehört der Einkehrsch­wung mit Champagner und Köstlichke­iten. Das neue Maya Altitude (zwischen Saint-Martin und Méribel) gefällt innen mit fantasievo­llem Dekor, auf den Sonnenterr­assen mit grandiosem Ausblick. Der neue, asiatisch inspiriert­e Treff ist jüngster Spross der monegassis­chen, weltweit agierenden Hospitalit­y-Gruppe Maya Collection und begeistert mit Holzkohleg­rill, Tandoor-Ofen und eigener Fleischere­i samt Reifekelle­r.

Etwas abseits der Piste zwischen Val Thorens und Les Menuires hockt in der weiß gepolstert­en Landschaft die urige Hütte Chez Pépé Nicolas. Das beliebte Restaurant serviert Deftiges aus Savoy: Käsefondue, Raclette und Croziflett­e sowie eigene Produkte von der Alm und aus Permakultu­r. Im Skischlara­ffenland Frankreich fehlt nur eines: Alkoholsch­wangeres Après-Ski mit Skihüttenh­its. Aber das geht echt niemandem ab.

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[ Claudia Jörg-Brosche (2,) Vincent Lottenberg] Champagner-Powder: So verlockend liegen die Hänge am Roc de Fer da. Rechts oben: Im La Maya Altitude. Unten: Das Dorf SaintMarti­n-de-Belleville.

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