Technikerinnen für Klima und Umweltschutz
Warum ist die Zukunft überreif für Frauen in der Technik? Das beantworten TU-Wien-Rektorin Sabine Seidler, Wilfried Eichlseder, Rektor der Montanuniversität Leoben, und Harald Kainz, Rektor der TU Graz.
Wie hoch ist aktuell der Frauenanteil an den technischen Universitäten?
Wir müssen einfach dranbleiben – als Universität und als Gesellschaft. Sabine Seidler, Rektorin TU Wien
Sabine Seidler: Besser, als man es erwarten würde: An der TU Wien ist jeder dritte Hörsaalplatz von einer Studentin besetzt. Allerdings gibt es eine ungleichmäßige Verteilung: Architektur studieren ca. 50 Prozent Frauen, in der Elektrotechnik sind es um die zwölf Prozent. Beim wissenschaftlichen Personal sehen wir eine grobe Verteilung von 80 Prozent Männern zu 20 Prozent Frauen. Ab 2023 arbeiten 39 Professorinnen bei uns, 2005 waren es acht. Wilfried Eichlseder: Aufgrund der sehr spezifischen Studienrichtungen wie Bergbau und Hüttenwesen gab es an der Montanuni Leoben historisch gesehen sehr wenige Frauen. Mit der Weiterentwicklung des Studienangebotes erhöhte sich der Anteil auf rund 25 Prozent – Tendenz steigend. Beim wissenschaftlichen Personal sind fünf Prozent der Professuren weiblich besetzt. Wir fördern gezielt Nachwuchswissenschaftlerinnen. Da liegt das Verhältnis bereits bei 50:50.
Harald Kainz: Die Verteilung an der TU Graz ist sehr ungleich. Aber wir sehen eine positive Entwicklung – Waren es vor fünf Jahren noch 23 Prozent weibliche Studierende, sind es mittlerweile 28 Prozent. Unser Ziel ist es, bis 2030 auf 35 Prozent zu kommen.
Warum interessieren sich so wenige Frauen für technische Studien?
Eichlseder: Frauen sind in der Technik unterrepräsentiert. Deshalb fehlt es der jungen Generation an weiblichen Rolemodels. Ein weiteres Problem ist bestimmt das veraltete Rollendenken, Mädchen seien weniger in Mathematik und mehr in sprachlichen Fächern begabt. Erstens stimmt das nicht, und zweitens kenne ich niemanden, der mehr Fremdsprachen beherrschen muss als ein Techniker. Kainz: Das Problem ist auch kulturell bedingt. Im Osten und Südosten Europas ist es normal, dass der Frauenanteil in den Ingenieursfächern bei 50 Prozent liegt. Ich habe früher Bauingenieurswesen in Weimar, Kosice und Timisoara gelehrt. Die Hälfte der Studierenden war weiblich. Bei uns wird an den Schulen ein eher humanistisches Bildungsideal verfolgt. Das führt dazu, dass Mint-Fächer an den AHS nicht in dem Ausmaß unterrichtet werden, wie es aus unserer Sicht notwendig wäre. Seidler: Fest steht: Es liegt weder an mangelnder Eignung der Frauen noch an fehlendem Interesse. Technisch-naturwissenschaftliches Interesse und Talent wird bei Schülerinnen oftmals durch gesellschaftliche Hürden oder veraltete Rollenbilder gedämpft. Eine kürzlich vom Bundesministerium für
Bildung, Wissenschaft und Forschung durchgeführte Maturierendenbefragung zeigt zum Beispiel, dass Studieninteressierten oftmals konkrete Informationen über Inhalte und Berufsbilder nach dem Studium fehlen.
Mit welchen Projekten gehen die technischen Unis an die Schulen, und wie werden Frauen während des Technikstudiums unterstützt?
Seidler: Mit dem Projekt „Girls’ Day Mini“arbeiten wir gezielt mit Mädchen im Kindergarten, um ihre Begeisterung für Technik und Naturwissenschaften zu stärken. Schülerinnen können am Wiener Töchtertag in die Forschung und Lehre an der TU Wien schnuppern und für weibliche Studierende bieten wir OnlineMentoring an, um sie im Studienalltag zu unterstützen.
Kainz: Gerade bauen wir ein eigenes Labor, in dem jedes Jahr 8000 bis 10.000 Schülerinnen und Schüler Chemie, Physik und Technik hautnah erleben und selbst durchführen können. Außerdem haben wir eigene EDVKurse für Mädchen und Sommerschulen, in denen Mädchen und Burschen in technische Berufe hineinschnuppern können.
Eichlseder: Auch in der Studienberatung treten wir bewusst mit weiblichen Rolemodels auf. Im Rahmen der TU Austria – dem Zusammenschluss von TU Wien, TU Graz und Montanuni – haben wir nachhaltige Initiativen gestartet, etwa das Projekt „Technikerinnen der Zukunft“, ein Preis für das beste technisch-naturwissenschaftliche Konzept, das ausschließlich von jungen Damen eingereicht wird.
Müssen die Universitäten neue Wege finden, um noch mehr junge Frauen für ein technisches Studium zu begeistern?
Kainz: Seit Jahrzehnten geben wir uns größte Mühe, mehr Mädchen für technische Wissenschaften und Naturwissenschaften zu gewinnen. Letztendlich müssen wir noch überzeugender werden.
Seidler: Die Universitäten müssen keine neuen Wege finden, das tun sie seit vielen Jahren kontinuierlich. Wir müssen einfach dranbleiben – als Universität und als Gesellschaft. Junge Menschen, insbesondere Mädchen, müssen von der Elementarpädagogik angefangen mit den Themen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik in Kontakt kommen. Solang es „schick“ist, in der Schule schlecht in Mathematik gewesen zu sein, so lang werden wir ein Problem haben, junge Menschen für Technik zu begeistern.
Eichlseder: Die Montanuniversität Leoben hat es sich in ihrem strategischen Entwicklungsplan zum Ziel gesetzt, den Frauenanteil unter den Studierenden auf 40 Prozent zu erhöhen. An der Fächerverteilung beobachten wir bereits eine Trendumkehr: Neben der Umwelttechnik wird auch Rohstoffingenieurswesen, eine frühere Männerdomäne, zunehmend von Damen inskribiert.
Wir brauchen alle talentierten Köpfe, um globale Probleme lösen zu können. Wilfried Eichlseder, Rektor Montanuniversität Leoben
Es ist wichtig, drängende Themen nicht nur aus einer männlichen Perspektive zu betrachten.
Harald Kainz, Rektor TU Graz
Warum ist es wichtig, dass mehr Frauen ein technisches Studium absolvieren?
Seidler: Gemischte Teams arbeiten nachweislich effizienter, kommunikativer und effektiver zusammen als homogene. Die Hälfte der Bevölkerung in der Technik unterrepräsentiert zu haben schadet definitiv dem Fortkommen einer modernen, innovativen Wissensgesellschaft.
Eichlseder: Wir haben einen großen Technikermangel und brauchen alle talentierten Köpfe, um globale Probleme wie Klimawandel und Umweltschutz lösen zu können.
Kainz: Bei den drängenden Themen wie Energieversorgung, Klima und Umwelt ist es wichtig, dass diese nicht nur aus einer männlichen Perspektive betrachtet werden. Ein Beispiel: Wir haben eine eigene Entwicklung von Dummies für Autocrash-Versuche. Bis vor zehn Jahren hat es nur Männer als Dummies gegeben. Mittlerweile gibt es auch Frauen, Kinder, ältere Menschen. Und das brauchen wir als Gesellschaft: Diverse Persönlichkeiten, um die Sichtweisen aller Gruppen einzubringen.