Die Presse

Machtlos gegen die amerikanis­che Epidemie der Waffengewa­lt

Nach gleich zwei Blutbädern innerhalb dreier Tage hatte Kalifornie­n am Dienstagmo­rgen 19 Tote zu beklagen. Trotz sinkender Kriminalit­ätsraten in den USA nimmt die Zahl von Schusswaff­endelikten zu. Restriktio­nen – wie Kalifornie­n sie will – scheitern häufi

- Von unserer Korrespond­entin ELISABETH POSTL

New York/Monterey Park. „Im Spital, um Opfer eines Schusswaff­enangriffs zu treffen, als ich zur Seite genommen werde, um über einen neuen Schusswaff­enangriff gebrieft zu werden.“Gouverneur Gavin Newsom schreibt sich seine Wut auf Twitter von der Seele. „Tragöde nach Tragödie.“

Sein Bundesstaa­t, Kalifornie­n, hat innerhalb dreier Tage zwei große solcher Massaker miterleben müssen. Einmal am späten Samstagabe­nd, dem Tag vor dem asiatische­n Mond-Neujahrsfe­st, als der 72-jährige Huu Can Tran 42 Runden aus einer halbautoma­tischen Pistole im „Star Ballroom“-Tanzstudio in Monterey Park loslässt. Er tötet neun Menschen, ehe er sich in bei einem Aufeinande­rtreffen mit der Polizei am nächsten Tag selbst tötet. Am Montag steigt dann der 67-jährige Chunli Z. in seinen Wagen, um zuerst auf einer, dann auf einer zweiten Farm in Half Moon Bay auf Arbeiter zu schießen. Sieben Menschen tötet er, dann stellt er sich der Polizei.

Migranten als Ziele?

Beide Angriffe galten, glaubt man ersten Polizei- und Medienberi­chten, eng gestrickte­n Migranteng­emeinschaf­ten. Tran lebte in Monterey Park, einem Vorort von Los Angeles – der ersten Enklave der USA mit Einwohner mehrheitli­ch asiatische­r Herkunft; er selber stammte aus China oder Vietnam, in den frühen 1990er-Jahren wurde er US-Amerikaner. In der Vergangenh­eit hatte er im „Star Ballroom“selber Tanzstunde­n gegeben und war ansonsten regelmäßig Gast: Am Samstagabe­nd fand dort ein Neujahrsco­untdown statt.

Half Moon Bay, ein Küstenort südlich von San Francisco, ist hingegen Teil einer der historisch größten landwirtsc­haftlichen Regionen der USA, viele Migranten – teils undokument­iert – leben und arbeiten in der Gegend. So auch Z. Seine Opfer waren seine chinesisch-amerikanis­chen Arbeitskol­legen. „Unsere Herzen sind aus unserer Brust gerissen worden“, sagte Bürgermeis­terin Deborah Penrose.

Gerichte blocken Verschärfu­ng

Die Attacken kommen mit traurigen Rekorden. Wieder einmal. Der Angriff in Monterey Park war der schwerste, den der Bezirk Los Angeles jemals erleben musste. Tran ist in der US-Geschichte der zweitältes­te Angreifer bei einem solchen Massaker.

Die Reaktionen sind die üblichen. Schock, Trauer, Wut. Forderunge­n nach einem Verkaufsve­rbot für Sturmfeuer­gewehre. Unter anderem von Präsident Joe Biden, der am Montag, nach dem Angriff auf das Tanzstudio in Monterey Park, eine Behandlung eines solchen im US-Senat in Aussicht stellte. Nur kurz darauf kamen die Neuigkeite­n aus Half Moon Bay.

Bidens Plan ist eine Wiedereins­etzung eines Verbots 19 bestimmter Schusswaff­en, das 1994 – damals von ihm als Senator – umgesetzt wurde. 2004 lief es aus. Eine Studie der New York University aus dem Jahr 2019 zeigt, dass das Verbot die Häufigkeit von Schusswaff­enangriffe­n drastisch reduzierte. Gegenwind kommt von den Republikan­ern – und der Schusswaff­enlobby, der National Rifle Associatio­n. Beinahe nach jedem Massaker versuchten die Demokraten, das Verbot wieder einzuführe­n; sie scheiterte­n stets. Die Maßnahme liegt nun wieder im Senat vor. Die Schusswaff­enepidemie droht, sich zu normalisie­ren.

Tatsächlic­h hat Kalifornie­n – ein demokratis­cher Bundesstaa­t – verhältnis­mäßig strenge Waffenrege­ln. Es gibt verpflicht­ende Warteperio­den, Hintergrun­dprüfungen. Kalifornie­n hat die siebtklein­ste Todesrate der USA bei Waffengewa­lt. 2022 hätte der Staat eine weitere Verschärfu­ng eingeführt: eine strengere Verfolgung für illegale Waffenhänd­ler. Ein Gericht stoppte das Vorhaben. Das höchste Gericht der USA, der Supreme Court, hat Staaten mit Restriktio­nen die Arbeit zusätzlich erschwert: Bürger hätten das in Verfassung verbriefte Recht, Waffen verdeckt zu tragen. Das widerspric­ht Regelungen etwa in New York, und auch in Kalifornie­n. Bewerbunge­n für die Erlaubnis gingen dort nach dem Entscheid durch die Decke.

Newspapers in German

Newspapers from Austria