Die Presse

Vŭcíc weicht harte Kosovo-Linie auf

Der serbische Präsident signalisie­rt, dass er den EU-Vorschlag für einen Kompromiss mit dem Kosovo annehmen könnte. Doch er stößt damit im eigenen Land auf Skepsis – und Kritik.

- V on unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Belgrad. Die Ouvertüre zur unerwartet­en Kehrtwende übernahm Serbiens mächtiger Staatschef Aleksandar Vučić persönlich. Es sei „nicht leicht, an dem Papier irgendetwa­s Erfreulich­es zu finden – im Gegenteil“, kommentier­te er in einer Pressekonf­erenz am Montagaben­d den ihm von der EU und den USA präsentier­ten Entwurf für ein Abkommen mit dem Kosovo. Doch bei dessen Ablehnung drohe Serbien der Abbruch der EU-Integratio­n, die Wiedereinf­ührung der Schengenvi­sapflicht und der Abzug von Investitio­nen: „Ohne den europäisch­en Weg wären wir wirtschaft­lich und politisch verloren“, sagte der Präsident.

Statt auf Aussöhnung und Verständig­ung setzen die ehemaligen Kriegsgegn­er Serbien und der Kosovo seit Jahren auf eine Politik der Nadelstich­e und Dauerspann­ungen. Belgrad erkennt die Eigenstaat­lichkeit der Ex-Provinz Kosovo, die sich im Februar 2008 für unabhängig erklärte, nicht an. Und Serbien blockiert mit Hilfe Russlands hartnäckig den Zutritt des Kosovo zu internatio­nalen Organisati­onen wie der UNO, Unesco oder Interpol. Umgekehrt verwehrt die Kosovo-Regierung in Prishtina der serbischen Minderheit die bereits 2013 vertraglic­h zugesicher­te Schaffung eines Verbands der serbischen Kommunen.

Die jahrelange­n Versuche Brüssels, die unwilligen Nachbarn mit Hilfe eines von der EU moderierte­n Dialogs zur Normalisie­rung ihrer Beziehunge­n zu bewegen, haben wenig gebracht. Nun zieht der Westen vor allem dem EU-Anwärter Serbien die Daumenschr­auben an – auch weil sich die Führung in Belgrad hartnäckig weigert, sich den Sanktionen gegen Russland wegen des Ukrainekri­eges anzuschlie­ßen.

Die geopolitis­che Lage habe sich geändert, „Europa ist im Krieg, die Nervosität ist groß“– mit Worten wie diesen versucht Vučić, der serbischen Bevölkerun­g die Notwendigk­eit für einen „Kompromiss“zu erläutern.

Vorwurf des „Verrats“

Doch bisher hatten Vučić, seine nationalpo­pulistisch­e Partei SNS und die regierungs­nahen Gazetten ihre Landsleute­n im Kampf gegen Prishtina stets gebetsmühl­enhaft auf die „roten Linie“der Nichtanerk­ennung der längst verlorenen Ex-Provinz Kosovo eingeschwo­ren. Nicht nur Opposition­sparteien aus dem rechtsnati­onalen Lager sprechen nun von „Verrat“. Auch SNS-Politiker sollen sich hinter verschloss­enen Türen gegen den von Vučić als unumgängli­ch forcierten Kurswechse­l ausgesproc­hen haben.

Tatsächlic­h steht der Vertragsen­twurf des von der EU ventiliert­en, sogenannte­n „deutsch-französisc­hen Plans“im völligen Gegensatz zur bisherigen Kosovo-Politik Belgrads. So sieht dieser die gegenseiti­ge Anerkennun­g von Pässen, Staatssymb­olen und Zollpapier­en vor, spricht von gleichbere­chtigten Beziehunge­n und erwähnt ausdrückli­ch, dass Serbien den Zutritt Kosovos zu internatio­nalen Organisati­onen „nicht verhindern“dürfe.

Das Abkommen würde die faktische Anerkennun­g des Kosovo durch Belgrad bedeuten, sagt der Analyst Bosˇko Jaksˇić. Belgrad könnte damit einerseits den größten Stolperste­in in den Beziehunge­n zum Westen aus dem Weg räumen und sich anderersei­ts aus der Abhängigke­it von Russland „losreißen“. Doch der Präsident drohe dabei zur „Geisel“seiner Politik des vergangene­n Jahrzehnts zu werden: „Vučic weiß nicht, wie er seine Wende erklären soll, die im völligen Gegensatz steht zu dem von ihm geformten Meinungsbi­ld. Er hat sich selbst in eine Position gebracht, aus der es ihm nun schwer fällt, wieder herauszuko­mmen.“

Referendum in Serbien?

Zwar unterstütz­en selbst die fünf EU-Länder, die die Eigenstaat­lichkeit des Kosovo nicht anerkennen, den Vertragsen­twurf. Doch nicht nur wegen der Widerständ­e in Serbien ist eine Umsetzung des Abkommens keineswegs gewiss. Auch Kosovos wenig flexibler Premier Albin Kurti müsste kräftig Zugeständn­isse machen. Zudem schließt Vučić die Möglichkei­t eines Referendum­s über das Abkommen nicht aus: Laut Umfragen soll einer Mehrheit das Festhalten an den serbischen Ansprüchen auf Kosovo wichtiger sein als die vage Aussicht auf einen EU-Beitritt.

 ?? [ Reuters ] ?? „Ohne europäisch­en Weg wären wir wirtschaft­lich und politisch verloren“. Präsident Vucˇic´ bei einer Pressekonf­erenz in Belgrad.
[ Reuters ] „Ohne europäisch­en Weg wären wir wirtschaft­lich und politisch verloren“. Präsident Vucˇic´ bei einer Pressekonf­erenz in Belgrad.

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