Die Phalanx für bessere Kinderbetreuung wächst
Tag der Elementarbildung. Der nötige Ausbau ist kein Nischenthema mehr, wie die aktuellen Wahlkämpfe zeigen.
Wien. Wären Frauen am Arbeitsmarkt gleichgestellt, wäre das österreichische Bruttoinlandsprodukt um knapp ein Drittel oder rund 123 Mrd. Euro größer, rechnete der linksliberale Thinktank Momentum Institut im Herbst vor. Weil aber 50 Prozent der österreichischen Frauen in der „Teilzeitfalle“sitzen, die ihnen geringere Pensionen und damit ein höheres Risiko für Altersarmut beschert, fordert eine breite Phalanx aus Sozialpartnern, Politik und Unternehmen den Ausbau der Kinderbetreuung. Nicht zuletzt, weil der Wirtschaft in Zeiten des Fachkräftemangels damit auch eine enorme Personalreserve verwehrt bleibt.
Druck der Sozialpartner zeigt Effekte
Am Dienstag wurde der Ausbau zum sechsten Mal auch im Rahmen des Tags der Elementarbildung gefordert. Am Wiener Rathaus hissten Bürgermeister und Vize die „Kindergarten-Fahne“, die Opposition unterstellte der Regierung via Pressekonferenz Unfähigkeit, und das Netzwerk Elementare Bildung Österreichs (Nebö) erneuerte die Forderung, die Kindergarten-Agenden in die Zuständigkeit des Bundes zu verfrachten.
Denn dass Österreich im internationalen Vergleich großen Aufholbedarf bei der Betreuung der unter Zweijährigen hat, liegt nicht zuletzt daran, dass sich das Angebot stark von Bundesland zu Bundesland unterscheidet. Diese sind für die Kindergärten zuständig. Hinsichtlich Gruppengrößen, Kosten, Öffnungszeiten, Qualitätsstandards beim Personal und der Sprachförderung kann der Bund lediglich über die 15a-Vereinbarung eingreifen, in der bestimmte Kriterien vereinbart werden. Nach dem Prinzip: Geld gibt es nur, wenn sie erfüllt werden. Im letzten Sommer präsentierten man die viel zitierte „Kindergartenmilliarde“. Konkret erhalten die Länder in den kommenden fünf Jahren pro Jahr 200 Mio. Euro für den elementaren Bereich. Das ist deutlich mehr Geld als bisher. Allerdings sind 80 Mio. pro Jahr für das letzte, verpflichtende Kindergartenjahr reserviert – es bleiben also nur 120 Mio. übrig. Die Opposition nannte die „kosmetische“Budgeterhöhung – auch angesichts der hohen Inflation – eine „Mogelpackung“.
Die Lage zusätzlich prekär macht der Umstand, dass laut einer Studie des Instituts für Berufsbildungsforschung und der Uni Klagenfurt bis 2030 rund 14.000 Personen als Personal im elementaren Bereich fehlen. Der vielfach geforderte Rechtsanspruch ist damit vorerst Wunschdenken: Es fehlt an Personal. Darauf habe man aber „frühzeitig“reagiert, heißt es aus dem ÖVP-geführten Bildungsministerium. Doch „aufgrund der großen Zersplitterung der Zuständigkeiten“könnten „nachhaltige Lösungen nur gemeinsam“gelingen, wird Minister Martin Polaschek in einer Aussendung zitiert. Er verweist auf Stipendien, die vom AMS seit September 2021 zur Weiterbildung vergeben werden. In Wien bietet der Wiener Arbeitnehmer*innen Förderungsfonds (Waff ) entsprechende Stipendien an. Die grüne Bildungssprecherin, Sibylle Hamann, sieht die „Ausbildungsoffensive voll in Fahrt“.
Dass es die Stipendien gibt, ist nicht zuletzt dem Druck der (Salzburger) Neos geschuldet. Der pinke Parlamentsklub forderte am Dienstag wiederum erneut einen Rechtsanspruch ab dem ersten Geburtstag – und mehr Geld. Während das Vorzeigeland Dänemark rund 1,3 Prozent des BIPs ausgebe, seien es in Österreich nur 0,7 Prozent. Das eint die Pinken mit den Chefinnen von Arbeiter-, Wirtschafts- und Landwirtschaftskammer sowie der Industriellenvereinigung, die Mitte Jänner bei einem gemeinsamen Gipfel einen „Turbo“forderten. Der Druck zeigt inzwischen in den aktuellen Wahlkämpfen gewisse Effekte: Johanna Mikl-Leitner (Niederösterreich) und Wilfried Haslauer (Salzburg, beide ÖVP) erklärten den Ausbau nun zur Chefsache. Niederösterreich will 750 Mio. Euro investieren, Salzburg will den Kindergarten kostenlos anbieten.