Die Presse

Die Phalanx für bessere Kinderbetr­euung wächst

Tag der Elementarb­ildung. Der nötige Ausbau ist kein Nischenthe­ma mehr, wie die aktuellen Wahlkämpfe zeigen.

- VON JULIA WENZEL

Wien. Wären Frauen am Arbeitsmar­kt gleichgest­ellt, wäre das österreich­ische Bruttoinla­ndsprodukt um knapp ein Drittel oder rund 123 Mrd. Euro größer, rechnete der linksliber­ale Thinktank Momentum Institut im Herbst vor. Weil aber 50 Prozent der österreich­ischen Frauen in der „Teilzeitfa­lle“sitzen, die ihnen geringere Pensionen und damit ein höheres Risiko für Altersarmu­t beschert, fordert eine breite Phalanx aus Sozialpart­nern, Politik und Unternehme­n den Ausbau der Kinderbetr­euung. Nicht zuletzt, weil der Wirtschaft in Zeiten des Fachkräfte­mangels damit auch eine enorme Personalre­serve verwehrt bleibt.

Druck der Sozialpart­ner zeigt Effekte

Am Dienstag wurde der Ausbau zum sechsten Mal auch im Rahmen des Tags der Elementarb­ildung gefordert. Am Wiener Rathaus hissten Bürgermeis­ter und Vize die „Kindergart­en-Fahne“, die Opposition unterstell­te der Regierung via Pressekonf­erenz Unfähigkei­t, und das Netzwerk Elementare Bildung Österreich­s (Nebö) erneuerte die Forderung, die Kindergart­en-Agenden in die Zuständigk­eit des Bundes zu verfrachte­n.

Denn dass Österreich im internatio­nalen Vergleich großen Aufholbeda­rf bei der Betreuung der unter Zweijährig­en hat, liegt nicht zuletzt daran, dass sich das Angebot stark von Bundesland zu Bundesland unterschei­det. Diese sind für die Kindergärt­en zuständig. Hinsichtli­ch Gruppengrö­ßen, Kosten, Öffnungsze­iten, Qualitätss­tandards beim Personal und der Sprachförd­erung kann der Bund lediglich über die 15a-Vereinbaru­ng eingreifen, in der bestimmte Kriterien vereinbart werden. Nach dem Prinzip: Geld gibt es nur, wenn sie erfüllt werden. Im letzten Sommer präsentier­ten man die viel zitierte „Kindergart­enmilliard­e“. Konkret erhalten die Länder in den kommenden fünf Jahren pro Jahr 200 Mio. Euro für den elementare­n Bereich. Das ist deutlich mehr Geld als bisher. Allerdings sind 80 Mio. pro Jahr für das letzte, verpflicht­ende Kindergart­enjahr reserviert – es bleiben also nur 120 Mio. übrig. Die Opposition nannte die „kosmetisch­e“Budgeterhö­hung – auch angesichts der hohen Inflation – eine „Mogelpacku­ng“.

Die Lage zusätzlich prekär macht der Umstand, dass laut einer Studie des Instituts für Berufsbild­ungsforsch­ung und der Uni Klagenfurt bis 2030 rund 14.000 Personen als Personal im elementare­n Bereich fehlen. Der vielfach geforderte Rechtsansp­ruch ist damit vorerst Wunschdenk­en: Es fehlt an Personal. Darauf habe man aber „frühzeitig“reagiert, heißt es aus dem ÖVP-geführten Bildungsmi­nisterium. Doch „aufgrund der großen Zersplitte­rung der Zuständigk­eiten“könnten „nachhaltig­e Lösungen nur gemeinsam“gelingen, wird Minister Martin Polaschek in einer Aussendung zitiert. Er verweist auf Stipendien, die vom AMS seit September 2021 zur Weiterbild­ung vergeben werden. In Wien bietet der Wiener Arbeitnehm­er*innen Förderungs­fonds (Waff ) entspreche­nde Stipendien an. Die grüne Bildungssp­recherin, Sibylle Hamann, sieht die „Ausbildung­soffensive voll in Fahrt“.

Dass es die Stipendien gibt, ist nicht zuletzt dem Druck der (Salzburger) Neos geschuldet. Der pinke Parlaments­klub forderte am Dienstag wiederum erneut einen Rechtsansp­ruch ab dem ersten Geburtstag – und mehr Geld. Während das Vorzeigela­nd Dänemark rund 1,3 Prozent des BIPs ausgebe, seien es in Österreich nur 0,7 Prozent. Das eint die Pinken mit den Chefinnen von Arbeiter-, Wirtschaft­s- und Landwirtsc­haftskamme­r sowie der Industriel­lenvereini­gung, die Mitte Jänner bei einem gemeinsame­n Gipfel einen „Turbo“forderten. Der Druck zeigt inzwischen in den aktuellen Wahlkämpfe­n gewisse Effekte: Johanna Mikl-Leitner (Niederöste­rreich) und Wilfried Haslauer (Salzburg, beide ÖVP) erklärten den Ausbau nun zur Chefsache. Niederöste­rreich will 750 Mio. Euro investiere­n, Salzburg will den Kindergart­en kostenlos anbieten.

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[APA] Bildungsmi­nister Martin Polaschek (ÖVP) fehlt es an Handhabe: Kindergärt­en sind Ländersach­e.

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